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Expertin erklärt das Phämonen Wiesn-Tracht

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"Tracht verbindet“, sagt Volkskundlerin Simone Egger, hier in der Oktoberfest-Ausstellung in der Monacensia. © Klaus Haag

München - Ein Gespräch mit Volkskundlerin Simone Egger von der LMU zum Phänomen Wiesn-Tracht.

Ein paar Wochen ist das Oktoberfest vorbei, doch die Tracht ist nach wie vor ein Thema: Heute ab 19 Uhr hält Simone Egger (31) vom Institut für Volkskunde an der LMU im Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, einen Vortrag zum „Phänomen Wiesn-Tracht“ (Eintritt: 6 Euro). Ihre These: Dank Tracht darf und soll sich jeder als Bayer fühlen.

Frau Egger, vor 20 Jahren wären viele Jugendliche lieber daheim geblieben, als in Tracht auf die Wiesn zu gehen. Was ist passiert, dass sich das so grundlegend geändert hat?

Man kann tatsächlich sagen, dass es ungefähr ab dem Jahr 2000 einen neuen Trend gab. Zuerst haben 16- bis 20-Jährige damit begonnen, sich in Second-Hand-Läden einzukleiden, sie haben die als Retro-Look getragen, hatten einfach Spaß dran, wieder mit so etwas spielerisch umzugehen. Da spielt sicher eine Rolle, dass diese Generation sich nicht mehr abgrenzen musste, sie hatte nicht mehr das Eltern-Feindbild, gegen das man sich abarbeiten musste.

Beim Oktoberfest laufen aber nicht nur jugendliche Münchner mit Tracht herum, sondern fast alle.

Die Jugendlichen waren der Auslöser. 2004, 2005 haben die allseits bekannten Hersteller festgestellt: Da passiert jetzt was, es gab neue Kollektionen, neue Anbieter, eine Vermarktung. Auf einmal machen alle mit. Das heißt: Mit dieser Kleidung kann auf einmal jeder wieder was anfangen.

Sie sprechen von „urbanen Identitätspraxen“. Was ist das?

Es gibt in der Region, der Stadt ganz klare Zeichen, mit denen man auch spielen kann: Brezn, Dackel, die Mass Bier, das Edelweiß. Dazu gehören auch Dirndl und Lederhosen. Natürlich ist es gerade bei der Wiesn-Tracht so, dass einem auch mal was nicht gefällt. Aber es ist doch viel interessanter zu sehen, was es da für eine Bandbreite gibt. Ich finde es schwierig zu sagen: Das darf nur der gebürtige Bayer anziehen. Tracht ist ein Angebot für alle, auch ein Teil von München und Bayern zu werden. Es hat eine integrative Funktion. Das Gute ist, dass das Dirndl immer den gleichen Grundschnitt hat: eng anliegendes Oberteil, angereihter Rock. Jede Frau kann ihrem Stil entsprechend diesen Grundschnitt dekorieren. Wer Lust hat, kann weiße Lackstiefel mit einem lila Glitzerdirndl kombinieren. Und der modischere Mann trägt ein lila-kariertes Hemd zur Lederhose.

Die Verfechter der traditionellen Tracht lehnen vieles ab, was man auf der Wiesn sieht.

Natürlich. Die wollen ja ihre Deutungshoheit behalten. Aber wir leben 2010, nicht 1960, da hat sich einfach etwas verändert. Klar: Im Trachtenverein hatte man vorher etwas Exklusives, und auf einmal macht das die ganze Welt. So etwas löst Unsicherheiten aus. Aber es hat doch niemand das Recht, zu sagen: Die haben Schrott an, jene nicht.

Wann gab es den letzten Trachten-Boom?

Das bayerische Dirndl ist erstmals 1972 im Rahmen der Olympischen Spiele zu einem richtigen Markenzeichen geworden. Entstanden ist es in den 1870ern. Es muss eine findige Schneiderin gegeben haben, die aus dem Unterkleid der Mägde eine Art Sommerkleid für die Städterin auf Sommerfrische kreiert hat. Geschäftsleute wie Trachten Wallach, die früher in der Innenstadt waren, haben das Dirndl sehr populär gemacht, weil sie auch die Operette „Weißes Rössl“ ausgestattet haben. Das haben alle gesehen und wollten so etwas auch. Solche Anlässe gab es immer wieder.

Was ist laut den Umfragen, die Sie geführt haben, der Grund für Wiesnbesucher, Tracht zu tragen?

Ich war ziemlich überrascht, dass die Leute doch hauptsächlich Stichworte wie Heimat und Tradition nannten. Man möchte dazugehören und das auch zeigen. Im Rahmen der Oktoberfest-Ausstellung ging es uns noch einmal stärker darum, wie die Medien solche Bilder multiplizieren – das spielt natürlich auch eine Rolle. Denn wenn ich sehe: Meine Stars vom FC Bayern kommen alle in Tracht, dann wird das sicher auch eine Anregung sein.

Man hat das Gefühl, die bayerische Tracht nimmt ganz Deutschland ein – täuscht das?

Das ist schon so. Offensichtlich hat dieses „bayerisch feiern“, das schon seit dem 19. Jahrhundert ein Exportschlager ist, wieder einen extremen Auftrieb. Übrigens auch in Österreich und der Schweiz. Engländer, Holländer kaufen hier Tracht und nehmen sie mit nach Hause – was ein großer Werbeeffekt für München ist.

Inwiefern kann man die Wiesn-Tracht als Verkleidung während einer Ausnahmesituation ansehen – wie beim Fasching?

Wenn man es wertfrei gebraucht, kann ich dem zustimmen. Aber auch diese außergewöhnlichen Situationen breiten sich ja aus – es gibt immer mehr Situationen, zu denen man Tracht tragen kann.

Tatsächlich? Man hat das Gefühl, man sieht sie fast nur zur Wiesn.

Nein. Maibaumaufstellen hat wieder Konjunktur. Es gibt den Kocherlball, die Nacht der Tracht. Und schauen Sie sich nur die Meisterfeier des FC Bayern an: Da ist auffallend viel junges Publikum, das trägt Trikot, Lederhose und die Stutzen dazu. Auch eine interessante Kombination.

Das Interview führte Johannes Löhr

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