1. Startseite
  2. Lokales
  3. München

Münchner Krankenschwester sucht Wohnung und bietet ungewöhnliche Zusatzleistung an

Erstellt:

Kommentare

Die hohe Mieten in München zwingen ein Krankenpflege-Ehepaar zu einer ungewöhnlichen Wohnungsanzeige.
Die hohe Mieten in München zwingen ein Krankenpflege-Ehepaar zu einer ungewöhnlichen Wohnungsanzeige. © dpa / Matthias Balk

Isabell Wäß (39) ist Kinderkrankenschwester und Pflegepädagogin in München, ihr Mann (44) ist bald fertig ausgebildeter Krankenpfleger. Sie wollen mit ihren Kindern in eine größere Wohnung ziehen. Keine Chance mit dem Gehalt. Darum machen sie etwas Ungewöhnliches.

Pflegenotstand hätte womöglich mittlerweile gute Chancen das Unwort des Jahres zu werden. Nun schon abgedroschen, löst diese Vokabel wohl bei den meisten Menschen keine emotionale Regung aus, weckt vielleicht gerade noch einen kurzen Gedanken an die Möglichkeit, selber einmal davon betroffen zu sein, aber damit hat es sich. Verständlich! Bei mir löst das Wort doch einiges mehr aus. 

Ich, passionierte Kinderkrankenschwester und Pädagogin in der Ausbildung von Krankenschwestern, Ehefrau eines Krankenpflegeschülers vor dem Abschluss und Mutter von zwei Kleinkindern, kenne den Pflegenotstand nicht nur aus den Medien. Ich erlebe seine verschiedenartigen Facetten jeden Tag. Über die Missstände wird gerade schon viel veröffentlicht. Die Politik ist alarmiert! Den Anschein hat es zumindest?! An dieser Stelle möchte ich aufzeigen, welche Problematik aus meiner Sicht hinter dem extremen Mangel an Pflegefachkräften steckt und warum wir, Krankenpflege-Ehepaar mit zwei Kindern (1 und 3), höchstwahrscheinlich zu diesem Notstand in Münchner Kliniken beitragen werden (müssen). Wenn sich keine Lösung auftut!? 

Gehe ich einmal von den Fakten auf meiner Stammstation, der kinderkardiologischen Intensiv Station an der LMU aus (chronischer Personalmangel mit 50 Prozent Bettenschließung), kündigen die Hälfte der Pflegekräfte, weil sie sich für ihre Familie keine geeignete Wohnung/ Immobilie leisten können. Für eine 4-Zimmer-Wohnung bezahlt man im Schnitt 1600 bis 1800 Euro warm. Das ist fast das Anfangsgehalt meines Mannes. Da müssten wir beide Vollzeit arbeiten, um als Familie annähernd „zu leben“. 2,5 Zimmer, 4. Stock ohne Lift, ohne Garten reichen uns einfach nicht mehr aus zu viert! Eine Immobilie kaufen, um so eine Sicherheit für die Zukunft zu haben, ist utopisch. Wir stellen uns also gerade auch die entscheidende Frage, die sich fast alle Familien hier stellen: Wollen wir München noch? 

Ich, nach 18 Jahren Berufspraxis, gut aus- und fortgebildet, mit Bachelorabschluss, würde alleine nicht

Gastautorin Isabell Wäß wird in der Not erfinderisch.
Gastautorin Isabell Wäß wird in der Not erfinderisch. © privat

annähernd genug verdienen für ein Leben hier. Mein Netto-Gehalt (Lohnsteuerstufe 1) in der Pflege läge Vollzeit momentan bei ca. 2200 Euro. Hier würden noch je nach geleisteten Wechselschichtdiensten ca. 200 Euro hinzukommen, die jedoch verglichen mit der Belastung der Schichtarbeit, fast vernachlässigbar sind. Da man auch nach Abschluss eines Bachelor-Studiums in Pflegepädagogik nicht viel mehr als in der Pflege am Bett verdient, bleibt die Frage: Sich München leisten können oder nicht?

Ich liebe meine Arbeit! Aber ja, ich wünsche mir mehr Geld! Für meine Qualifikation, mein Engagement und die tägliche Verantwortung, die ich übernehme! Es sollte nicht nur das Einstiegsgehalt von Pflegenden erhöht werden, sondern endlich auch leistungsgerecht bezahlt werden mit monetär erkennbaren Aufstiegsmöglichkeiten für Pflegende! Nach einer mehrjährigen Fachweiterbildung im Bereich z.B. Intensivpflege muss der Nettoanstieg deutlich mehr als 100 Euro sein. Der Pflegeberuf muss endlich für diejenigen attraktiver werden, die „lebenslang lernen“ möchten und für die selbstverantwortliches Handeln auf Augenhöhe mit dem ärztlichen Personal keine Utopie ist! Die Unattraktivität des Berufes zeigt sich jedes Jahr erneut in der fehlenden Einmündung von Pflegeschülern nach der Ausbildung. Das alles ist zwar kein München spezifisches Problem, wirkt sich jedoch in attraktiven Großstädten am deutlichsten aus. München ist für Pflegende zu teuer. 

Viele meiner Kollegen verlassen die Stadt und fallen als qualifizierte Fachkräfte in den Kliniken weg. In unserem Fall wäre dies auch so! Minusbilanz für München und vor allem die Münchner! Der Pflegenotstand unterscheidet nicht zwischen privat und pflichtversichert. Der Fachkräftemarkt ist leer. Da Privatkliniken ihr Personal auch nicht besser bezahlen, fehlen auch dort die Leute. Es betrifft also letztendlich jeden! Durch alle Schichten durch. Ausländische Kräfte ins Land zu holen, ist keine ausreichende Lösung! Das weiß jeder, der in dem System arbeitet. Der ganze Pflegeprozess baut auf Kommunikation auf. Auch nach Erreichen des B2-Sprachniveaus, das benötigt wird, um als Gesundheits- und Krankenpfleger zu arbeiten, braucht man meist mit gutem Training und Engagement noch Jahre, um den Anforderungen des Berufes wirklich gerecht zu werden. Die Pflegequalität sinkt. Mangelnde Kommunikationsfähigkeit ist hier als Gefahrenquelle nicht zu unterschätzen! 

Kabinett Bayern
Das Klinikum der Universität München am Campus Großhadern. Hier arbeitet Isabell Wäß. © dpa / Sven Hoppe

Mein Mann und ich versuchen nun gerade etwas Neues aus, um in München bleiben zu können Die erste Anzeige habe ich bereits geschaltet mit dem Angebot: „Krankenpflege-Ehepaar sucht bezahlbaren Wohnraum und wäre dafür ggf. Ansprechpartner bei alltäglichen Pflegeproblemen im häuslichen Bereich.“ 

Man muss kreativ sein. Ressourcen nutzen, eines der wichtigsten Mantras in der Pflege. Wohnungsnotstand kombiniert mit Pflegenotstand. Wer also zum Beispiel als Vermieter ein Familienmitglied zu Hause pflegt, der ist vielleicht dankbar, wenn er in seinem nahen Umfeld auf die fachkompetente Hilfe in mancherlei Situation zurückgreifen kann. Auch wäre stundenweises Entlasten des Pflegenden denkbar. Alles natürlich, wenn wir als Familie geeigneten und bezahlbaren Wohnraum dafür bekommen würden. Da wäscht eine Hand die andere. Nachbarschaftlicher Austausch. Ein Gedanke, der nicht nur seit nebenan.de immer weiter wächst.

Vielleicht tut sich so ja eine Lösung für uns auf, sodass wir unser Engagement weiterhin in Münchner Kliniken einbringen können.

Diesen Gastbeitrag schrieb Isabell Wäß, Kinderkrankenschwester im Klinikum Großhadern, Pflegepädagogin B.A. und Mutter.

Wichtiger Hinweis der Redaktion: Das Krankenhaus hatte Gelegenheit zur Stellungnahme, ließ diese aber ungenutzt. 

Lesen Sie weitere Gastbeiträge auf unserer Nachrichtenseite, den Bericht „Münchner Krankenschwester erlebt Horror-Wohnungssuche“ und den Bericht „Pflege-Notstand in München: Mein Vater wurde vier Tage nicht gewaschen“.

Auch interessant

Kommentare