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50 Jahre Münchner U-Bahn: Der damalige OB erinnert sich

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Der Mann, der die U-Bahn auf den Weg brachte: Hans-Jochen Vogel mit Modellen der zweiten Fahrzeugreihe (B-Wagen). © Schlaf

München - Vor 50 Jahren, am 1. Februar 1965, begann an der Ungererstraße der Bau der Münchner U-Bahn. Der damalige OB Hans-Jochen Vogel erinnert sich.

95 Kilometer Strecke, 100 Bahnhöfe, 384 Millionen Fahrgäste im Jahr: Hatten sie so etwas vor Augen, als Sie vor 50 Jahren das Startsignal zum Bau der Münchner U-Bahn gaben?

Die Perspektive dorthin hatten wir schon im Blick. Deswegen haben wir dieses Projekt ja auch mit aller Intensität betrieben. Wenn man mich nach konkreten Zahlen gefragt hätte, dann wäre meine Prognose sicherlich etwas darunter geblieben. Aber der 1. Februar 1965 war zweifellos ein wichtiger Tag.

Können Sie sich München heute ohne U-Bahn vorstellen?

Nein. Aber das konnten wir damals schon nicht. Es war ja ein komplizierter Prozess, bis wir so weit waren. Als ich die Nachfolge von Thomas Wimmer als Münchner Oberbürgermeister angetreten habe, stand schon zur Debatte, dass die Bundesbahn ihre Linien im Westen und im Osten miteinander verbindet. Und es gab erste Überlegungen, dass man für das städtische Verkehrssystem, also insbesondere die Straßenbahn, eine Perspektive eröffnen muss. Aber im Mittelpunkt stand ein sehr harter Streit um die klassische Trasse.

Worum ging es?

Die Bundesbahn bestand auf der Trasse über den Marienplatz, und auf städtischer Seite fand ich eine ebenso feste Position vor: Man wollte den Marienplatz nicht hergeben, die Bundesbahn sollte ihre Verbindung über die Maximilianstraße herstellen. Es war nicht einfach, diese Hürde in mehreren Schritten zu überwinden. Das ist endgültig im Stadtentwicklungsplan von 1963 geschehen, der sich für die dann realisierte Lösung entschied.

Also für die heutige Stammstrecke. Eine U-Bahn war aber nicht vorgesehen. Im Gespräch war eine Tiefbahn oder Unterpflasterbahn für die Tram.

Ich habe damals schon Zweifel gehabt, ob wir nicht gleich den Schritt zur U-Bahn machen sollten. Im Stadtentwicklungsplan wurde der Auftrag erteilt zu prüfen, ob die Unterpflaster- oder die U-Bahn den Vorzug verdiene. Dazu hat dann Herr Zimniok, den ich hier mit Respekt nenne, weil er später als U-Bahn-Referent Hervorragendes geleistet hat, eine Studie erarbeitet. Deren Ergebnis lief klar auf die U-Bahn hinaus. Es waren auch Stadtratsdelegationen in Stockholm und Brüssel und haben dort gesehen, dass das mit der Unterpflasterstraßenbahn keine befriedigende Lösung sein würde. Anfang 1964 hat sich der Stadtrat dann für die U-Bahn entschieden.

Wie kam das bei der Bevölkerung an?

Ich muss den Münchner Bürgerinnen und Bürgern in dieser Hinsicht auch im Nachhinein ein sehr gutes Zeugnis ausstellen. Es gab keinen Widerstand. Es wurde dann für uns noch ein bisschen einfacher, als wir Ende April 1965 in Rom den Zuschlag für die Olympischen Spiele erhielten. Das hat den Druck zur Realisierung sehr verstärkt. Und es gab in München gegen die Olympischen Spiele selbst bei den 68ern keinen wahrnehmbaren Widerspruch.

Aus heutiger Sicht ist das erstaunlich.

Wir haben ja die Menschen nicht überrascht. Schon im Wahlprogramm zur Kommunalwahl 1960, bei der ich zum Nachfolger von Thomas Wimmer gewählt wurde, waren die Verkehrsprobleme konkret angesprochen worden. Die Zustimmung zum Bau der U- und S-Bahn war dann deshalb so groß, weil die Menschen das als Fortschritt gesehen haben, und zwar als einen Fortschritt, der ihnen allen zugute kommt.

Hielt die Begeisterung an, als die Anwohner riesige Baustellen vor der Tür hatten?

Es gab im Einzelfall schon Fragen und Klagen, aber die betrafen nie das Gesamtprojekt, sondern eine konkrete Situation. Außerdem ist ja eine Bauweise verwendet worden, die in großem Ausmaß unter Tage gearbeitet hat. Und es wurde damals erstaunlich rasch gebaut. Die Arbeiten für die S-Bahn beispielsweise begannen 1968/69, und 1972 war alles fertig. Da waren natürlich die Olympischen Spiele ein Druckmittel, das andere Städte nicht hatten.

Zwei Großprojekte parallel – hatten Sie manchmal Angst, dass die Stadt das nicht stemmen kann?

Meine Freude darüber, dass wir jeweils pünktlich fertig wurden, und dass die Kostenschätzungen im Wesentlichen eingehalten wurden, ist im Nachhinein noch größer geworden. Der Gedanke, dass das Stadion nicht fertig wird oder dass die U-Bahn von Freimann bis zum Goetheplatz und die hinzugekommene Strecke von der Münchner Freiheit zum Olympiapark nicht fertig werden, kam gar nicht auf. In der Hinsicht gab es keine Sorgen.

Keine schlaflosen Nächte?

Doch, die gab es, aber eher in der Phase der Finanzierungsverhandlungen. Die waren schwierig, gingen damals aber schneller als heute die Verhandlungen über die Zweite Stammstrecke. Diese Fragen wurden innerhalb von nicht ganz zwei Jahren gelöst. Da muss ich noch jemandem ein großes Kompliment machen: nämlich Alfons Goppel. Er hat das alles in außerordentlich kooperativer Weise gefördert. 1965 habe ich bei einem Parteitag in Nürnberg mitgeteilt, dass die Vereinbarungen über die Finanzierung von S-Bahn und U-Bahn in München soeben nicht zuletzt dank Goppel abgeschlossen werden konnten. Da habe ich ein einziges Mal erlebt, dass ein SPD-Parteitag den CSU-Ministerpräsidenten Alfons Goppel in Abwesenheit lebhaft mit Beifall bedacht hat.

Beim Stachus liefen die Kosten aus dem Ruder.

Ja. In diesem Fall erwies sich die Kostenschätzung als unzutreffend. Wir haben dann die Zuständigkeit vom Baureferat auf das U-Bahn-Referat, also an Herrn Zimniok, übertragen, und dann war die Sache bald wieder unter Kontrolle.

München wurde damals regelrecht umgekrempelt . . .

Entwickelt!

Gut, entwickelt. Hatten Sie da zwischendurch auch einmal Zweifel, ob die Richtung stimmt?

Nein, ich war mir der Sache sicher und ich habe ja auf Grund von Beschlüssen des Stadtrats arbeiten können, die mit ganz breiter Mehrheit gefasst wurden. Und in einer Kooperation mit dem Land und sogar mit Unterstützung Ludwig Erhards (1963 bis 1966 Bundeskanzler, Anm. der Red.), als es um die Bewerbung für die Olympischen Spiele ging. An diesem Punkt muss ich nochmal eines sagen: Manche meinen heute, wir hätten die Voraussetzungen für den Bau der U- und S-Bahn erst geschaffen und mit dem U-Bahn-Bau erst begonnen, nachdem die Entscheidung für die Vergabe der Olympischen Spiele gefallen sei: Das ist falsch! (klopft energisch auf den Tisch) Aber selbstverständlich hat der Zuschlag dann vieles erleichtert und beschleunigt.

So ein überparteiliches Einverständnis würde man sich heute auch mal wieder wünschen . . .

Ja, vor allem bei der Stammstrecke!

Glauben Sie, dass sich so ein Mammutprojekt heute noch verwirklichen ließe?

Ich will gegenüber der heutigen Zeit nicht ungerecht sein. Es ist ein Unterschied, ob etwas völlig Neues in Angriff genommen wird, oder ob in ein vorhandenes System ein weiteres, wichtiges Glied eingefügt wird und man darüber streitet, welche Alternativen es zu diesem Glied gibt. Das ist nicht mit dem zu vergleichen, was wir damals gemacht haben. Bei uns gab es nur einen einzigen fundamentalen Streit, und zwar den über die Führung der S-Bahn-Trasse.

Die Empfindlichkeiten bei Großprojekten scheinen heute größer zu sein . . .

Ja, die Bürger sind heute rascher geneigt, Widerspruch zu erheben. Oder sich auch für eine Sache einzusetzen. Mehr als damals. Erfreulicherweise haben auch die 68er, die in München durchaus aktiv waren, gegen die Maßnahmen, über die wir hier reden, nichts unternommen.

Die Bürger hätten Ihnen also auch damals das Leben schwer machen können?

Richtig, klagen hätten sie auch damals schon können. Aber das hat keiner gemacht. Dass man gegen so ein Projekt klagt und es damit zumindest aufhält, das entsprach nicht der damaligen Vorstellung.

Hat die U-Bahn das Wesen Münchens und das der Bürger verändert?

Ich glaube nicht. Die U-Bahn ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Und dass die Verkehrsverhältnisse in München noch einigermaßen erträglich sind, ist auch der U-Bahn zu verdanken. Das wissen die Bürger. Dazu eine kleine Anmerkung: Ich habe kein Auto mehr und benutze, wenn ich irgendwie kann, die U-Bahn. Wenn mich dann, meist ältere, Bürger ansprechen und sagen „Das ist schön, dass zu Ihrer Zeit die U-Bahn gebaut wurde“, dann freut mich das schon.

Wie oft passiert das?

So dann und wann. Es sind natürlich meist die älteren Bürger, die mich ansprechen. Die Jüngeren können nicht mehr so viel mit mir anfangen.

Wie war das zu Ihrer aktiven Zeit, waren Sie da auch öffentlich unterwegs?

Ich habe bis 1967 in der Beblostraße gewohnt. Da bin ich in der Regel zu Fuß zum Vogelweideplatz und von dort mit der Linie 19 zum Rathaus gefahren. Das war deswegen sinnvoll, weil dadurch mein Fahrer erst um 11 Uhr beginnen musste und er dann den ganzen Tag zur Verfügung stand. Außerdem war man mit den Menschen in unmittelbarer Berührung.

Es gibt immer wieder Beschwerden, das Ticketsystem in München sei zu kompliziert.

Ich verstehe solche Klagen und Einwendungen. Manches ist kompliziert, das gebe ich zu. Aber ich erlaube mir den Hinweis, dass es seinerzeit eine große Aufgabe war, ein einheitliches Tarif- und Fahrplansystem für den ganzen Münchner Verkehrsverbund zu schaffen. Etwa wer welche Einnahmen bekommt, oder wer die Zuschüsse für die ungedeckten Teile der Betriebskosten leistet. Das war etwas, das nicht so aufmerksam verfolgt wurde wie die Bauarbeiten, die man ja sehen konnte.

Die U-Bahn stößt heute an Kapazitätsgrenzen. Glauben Sie, dass es nochmals einen ganz großen Wurf braucht, um weitere Kapazitäten zu schaffen?

Es bedarf der Zweiten Stammstrecke und anderer Einzelverbesserungen. Ich sehe aber nicht, dass ein völlig neues System an die Stelle der U-Bahn treten kann. Sie wird zusammen mit der S-Bahn und unterstützt von Straßenbahnen und Bussen noch für lange Zeit das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs sein.

Wollten Sie sich mit dem Olympischen Gelände und dem U-Bahnbau ein Denkmal setzen?

Einem Denkmal zu Lebzeiten kann ich überhaupt nichts abgewinnen. Eher im Gegenteil. Es ist auch eine vernünftige Regel, dass Straßen erst nach dem Tod einer bestimmten Person nach dieser benannt werden können. Ich habe das Ganze ja nicht gemacht, damit man sich an mich erinnert, sondern weil es eben notwendig war, damit die Menschen in München ein erträgliches, ja sogar ein besseres Leben führen können.

Gibt es einzelne Erlebnisse aus dieser Zeit, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Da könnte ich manches nennen. Aber ich möchte insbesondere, dass die Namen der fünf Arbeiter vor dem Vergessen bewahrt werden, die damals durch tragische Unfälle ums Leben gekommen sind. Sie hießen Karl Alzenauer, Rudolf Alzenauer, Domenico Caposano, Heinrich Israel und Albert Stang.

Was wünschen Sie der U-Bahn zum 50. Geburtstag?

Ich wünsche ihr, dass sie weiterhin den Menschen dient, und allzeit gute Fahrt. Und ich wünsche mir persönlich, dass mit der zweiten Stammstrecke alsbald begonnen wird.

Interview: Peter T. Schmidt und Andrew Weber

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