Münchner U-Bahn: Dieser Mann ließ die Stadt aufgraben

München - Dass die Münchner U-Bahn rechtzeitig zu den Olympischen Spielen fertig wurde, schreiben Wegbegleiter Klaus Zimniok zu. Der erste Chef des U-Bahn-Referats gilt vielen bis heute als „Vater der U-Bahn“.
Der Mann war nicht vom Fach; ein Jurist. Und der sollte das größte Bauvorhaben leiten, an das sich München je gewagt hat? An Zweiflern fehlte es nicht. Doch der Erfolg ließ sie alle verstummen.
Der CSU-Stadtrat Georg Kronawitter sagte später einmal, es sei „eine der besten Entscheidungen des damaligen Oberbürgermeisters Hans-Jochen Vogel“ gewesen, Klaus Zimniok für diese Aufgabe zu verpflichten.
Präzision und Geschwindigkeit ziehen sich durch Zimnioks Lebenslauf wie ein roter Faden. 1922 in Greiffenburg (das heutige Gryfów Slaski) in Niederschlesien geboren, verschlägt es ihn nach dem Zweiten Weltkrieg in den Westen. In Erlangen studiert er Jura, bringt es in nur sechs Semestern zum Doktor.
Er entscheidet sich für eine Karriere im Staatsdienst und wird nur zehn Jahre später zum Oberregierungsrat ernannt. Nebenbei bringt er noch einige Rechtskommentare und mehr als 100 juristische Schriften heraus. Hans-Jochen Vogel, damals noch mitten im Wahlkampf, holt den Top-Beamten im März 1960 nach München.
Der parteilose Zimniok zögert, schließlich hat die SPD die Wahl noch nicht gewonnen. Doch der selbstbewusste Hans-Jochen Vogel überzeugt ihn mit dem Satz: „Die Wahl ist längst gelaufen.“ Er sollte Recht behalten: Vogel wird mit gerade einmal 34 Jahren jüngster OB einer deutschen Großstadt.
Zwei Männer, so scheint es, haben sich gefunden, die einander an Tatkraft und Tempo ebenbürtig sind. Nach einem Besuch in Hamburg, wo schon seit langem eine U-Bahn fährt, verfasst Zimniok in der ihm eigenen Geschwindigkeit den Band „Die Nord-Süd-U-Bahn in rechtlicher, technischer und finanzieller Sicht“.
Bürgermeister Georg Brauchle prägt dazu den Satz: „In Indien würde Dr. Zimniok als Schreibmaschine wiedergeboren.“ Zimnioks Analysen überzeugen den Stadtrat. Die bereits beschlossene „Unterpflasterbahn“, eine Art unterirdischer Tram, ist Geschichte, ein neuer Beschluss befürwortet im Juni 1964 die U-Bahn. Für diese wird ein eigenes Referat geschaffen – Leiter: Klaus Zimniok.
Am 1. Februar 1965 ist die offizielle feierliche Eröffnung des U-Bahnbaus an der Schenkendorf-/Ungererstraße – die spätere Haltestelle „Nordfriedhof“. Es liegt eine leichte Schneedecke auf der Baustelle. Der bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel hält eine Rede, danach wird der Bayerische Defiliermarsch gespielt.
Damit ist der gemütliche Part vorbei. Doch das Team des Baureferats ist vom Pioniergeist gepackt und macht sich an die Arbeit. Nur wenige Wochen später ist München eine einzige riesige Baustelle. Die Strecke der Nord-Süd-U-Bahn-Linie 6 zieht sich über 19 Kilometer, 19 U-Bahnstationen verbinden die Tunnel später miteinander.
Die Münchner Freiheit gleicht während der Bauphase einem riesigen Krater, aus dem einige „Zahnstocher“ ragen, die mit Schienen verbunden sind. Über diese ruckelt die Tram, während die Pendler sich mit ihren Autos geduldig auf engen, provisorischen Fahrbahnen stauen.
Zwei schwere Unfälle kosten fünf Bauarbeiter das Leben
In der Innenstadt angekommen gibt es keine Erlösung, denn am Stachus, zuvor einer der verkehrsreichsten Plätze Europas, bietet sich das gleiche Bild. Hier wird nicht nur die U-Bahn, sondern auch die S-Bahn gebaut, und an der Schnittstelle soll ein großzügiges unterirdisches Einkaufszentrum entstehen.
So groß ist die Baustelle, dass Fußgänger sie nur auf einer riesigen Holzbrücke überqueren können. Das Mammutprojekt Stachus führt zum einzigen Finanzskandal während der U-Bahn-Bauzeit. Statt der ursprünglich veranschlagten 93,5 Millionen Mark soll die Fertigstellung nun 145 Millionen Mark kosten.
OB Vogel schaltet schnell und überträgt die Verantwortung vom Baureferat auf das U-Bahn-Referat. Klaus Zimniok übernimmt, Ruhe kehrt ein. Der „Obermaulwurf“ steht unter Zeitdruck, denn mittlerweile hat München den Zuschlag zur Austragung der Olympischen Sommerspiele bekommen. Bis August 1972 muss die U-Bahn fertig sein!
Zimniok drückt auf die Tube, nutzt alle verfügbaren Bautechniken aus, behält aber immer die Kosten im Auge. Ab 1967 ist die „Olympialinie“ U 3 im Bau, von der Münchner Freiheit zum Olympiazentrum. 1971 beginnen die Arbeiten an der Strecke für die kommende U2 vom Scheidplatz nach Neuperlach Süd.
Immer wieder behindern Weltkriegs-Blindgänger den Bau, zwei schwere Unfälle kosten fünf Bauarbeiter das Leben. Zimniok fragt sich zwischendurch voller Sorge, wie viele Menschenleben dieses Bauwerk fordern wird. Doch es wird bei fünf Opfern bleiben.
Widerstand aus den Reihen der Ingenieure hat Zimniok erwartet und sich mit akribischem Selbststudium gewappnet. Er quält Manager mit präzisen Fragen zu Geologie und Hydraulik, zerpflückt Kalkulationen. Er bestellt sogar selber Material, um die Spanne, die der ausführende Unternehmer sonst einfährt, für sein Ressort zu kassieren. Hat er Geld zur Verfügung, das gerade nicht gebraucht wird, investiert er es an der Börse.
Heute undenkbar, doch Zimniok erwirtschaftet zu seiner Zeit dadurch etliche Millionen zusätzlich – pro Jahr. Die U-Bahnstation Münchner Freiheit entsteht in zwei Jahren anstatt der veranschlagten zweieinhalb. Der Bahnhof Olympiazentrum wird in nur einem Jahr fertig – kalkuliert waren 20 Monate.
Selbst das Budget hält Zimniok ein. Der Bau wird nach Planung von 1963 nur um 2,3 Prozent teurer. Dr. Klaus Zimniok stirbt 1985 im Alter von nur 63 Jahren. Sein Vermächtnis, die Münchner U-Bahn, erinnert jeden Tag aufs Neue an ihn.
U-Bahn-Bau: Was wann geschah - wir haben eine Chronik der Ereignisse erstellt.
Andrew Weber