„Rettungswagen fuhr über meine Hand“: Münchner Klimakleber sprechen in Radiosendung offen über Aktion
Radiomoderator Mike Thiel spricht im Studio von Radio Gong 96.3 mit den Münchner Klimaklebern. Der Deal war, sich ans Mikrofon statt auf die Straße zu kleben.
München – Im Studio von Radio Gong versammelten sich am Donnerstagmorgen, 16. März, jeweils zwei Moderatoren und zwei Anhänger der „Letzten Generation“. Der Deal mit Moderator Mike Thiel und den Münchner Klimaaktivisten lautete: Keiner klebt sich an den Stachus in München, stattdessen bekommen die Klimakleber Sendezeit im Radio Gong.
„Es ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit“, begann Thiel die Show. „Wir schenken Klimaaktivisten Sendezeit, wenn sie sich nicht auf die Münchner Straße, sondern ans Mikro kleben. So erreichen sie tausende Menschen und können ihre Forderungen formulieren.“ Und es hat geklappt: Am Mittwoch (15. März) verzichteten die Aktivisten auf die geplante Klebeaktion am Stachus. Stattdessen kamen sie einen Tag später ins Studio, um live auf Sendung zu sprechen. Das Motto der Sondersendung war „Reden statt kleben“.
Bei Radio Gong in München: Warum kleben statt demonstrieren?
Micha Frei und Wolfgang Metzler, mit Rad und Zug angereist, sind Mitglieder der Letzten Generation. „Das gemeinsames Ziel ist ganz klar, den Klimaschutz voranzutreiben“, sagte Thiel zu den beiden. Er frage sich nur, sind Klebeaktionen auf der Straße sinnvoll? Der Stress im Berufsverkehr und die Behinderung von Rettungskräften? Und auch Kollegin Natalie Diehl verstehe nicht, warum die Aktivisten diese Protestform wählen in einem demokratischen Land der freien Meinungsäußerung.
„Wir denken, dass gerade Polarisierung ein wichtiges Mittel ist“, erklärte Wolfgang Metzeler. „Viele Leute hassen uns. Wir sind der Prügelknabe der Nation. Jeder spuckt auf uns herunter. Aber gerade diese Polarisierung ist wichtig. Die Leute müssen Position beziehen.“
Klimakleber bei Münchner Radiosender zu Besuch: Das kleinere Übel wählen
Anfang der Woche legte die Klebeaktion den gesamten Süden Münchens lahm: kilometerlange Staus, Menschen, die zu spät zur Arbeit kommen. „So ein Stau verursacht eine enorme Menge an überflüssigem CO₂-Anstoß“, sagte Thiel. „Ist das nicht kontraproduktiv, die Luft zu verpesten, wenn es doch eigentlich um Klimaschutz geht?“
„Solche Abgase sind der kleinste Tropfen auf dem heißen Stein“, sagte Micha Frei. „Davon können wir uns nicht aufhalten lassen. Jede Aktion braucht Material. Wir müssen die effektivste Protestform wählen. Da glauben wir, wir sind sehr gut. Weil wir mit extrem wenigen Menschen Aufmerksamkeit schaffen können. Und gleichzeitig Menschen Druck ausüben und Politiker zum Handeln bewegen.“
Menschenleben haben oberste Priorität
Oft müssen die Aktivisten die Anschuldigung hören, dass sie Rettungswege versperren und damit Menschenleben riskieren würden. „Schreckt ihr vor gar nichts zurück?“, fragte Thiel. Darauf widerspricht Wolfgang Metzeler vehement. Erst letzte Woche sei es zu einer heiklen Situation in Passau gekommen. „Ein Rettungswagen fuhr über meine Hand, weil das in dem Moment die schnellere Option war“, erzählte er. Er bot es dem Fahrer praktisch an. Dabei hätte er leichte Schürfwunden abbekommen und seine Uhr sei zerbrochen.
Der Kriminalpolizeiinspektion Passau und der Polizeiinspektion Passau lagen zum aktuellen Zeitpunkt (16.03.23) auf Nachfrage unserer Redaktion keine Informationen zu dem Fall vor. Dennoch steht eines für die Aktivsten fest. „Wir wollen Leben schützen“, betonte Wolfgang Metzeler. „Es geht um Leben und Tod, da muss man die Konsequenzen in Kauf nehmen.“
Forderungen der „Letzten Generation“: 9-Euro-Ticket, 100 km/h auf der Autobahn ...
Dann stellen die beiden Aktivisten Ihre Forderungen. „Ich bin Micha von der Letzten Generation. Ich befinde mich seit einem halben Jahr im Widerstand mit der Bundesregierung, die nicht genügend für den Klimaschutz tut. Wir sind in den letzten Wochen und Monaten auf die Straße gegangen, protestieren, um die Bundesregierung zum Handeln aufzufordern.“
- Die Bundesregierung soll ein dauerhaftes 9-Euro-Tickets einführen.
- Ebenso soll sie das Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen festlegen.
- Es soll einen Gesellschaftsrat Klima geben, in dem Bürgern aus allen Schichten der Gesellschaft zusammenkommen und über die Klimaschutzmaßnahmen entscheiden
- Die Bundesregierung muss gegenüber der Bevölkerung ehrlich zugeben, wie katastrophal es um unser Klima steht.
Radiohörer und Klimaaktivisten treten in einen Dialog
Nach den Forderungen war noch Zeit für einen Austausch zwischen Radiohörern und Klimaaktivisten. Nicht jeder kann das Handeln nachvollziehen. Die Protestaktionen sind geprägt von gegenseitigem Unverständnis und Anschuldigungen. Ein Dialog auf Augenhöhe könne helfen, so die Moderatoren von Radio Gong.
Dem Vorwurf der Doppelmoral, nach Bali fliegen und sich auf die Straße kleben, begegnet Micha Frei mit einem Gegenargument. „Das ist nicht die Debatte, die wir führen“, sagte er. „Doppelmoral gibt es eher bei der Regierung, die behauptet, sich für das Klima einzusetzen und es nicht tut. Olaf Scholz nennt sich Klimakanzler und bremst gleichzeitig den Klimaschutz aus.“
Ob Avocados oder Gurken im Einkaufskorb landen, sind persönliche Entscheidungen. Den Klimaklebern geht es konkret darum, welche Maßnahmen die Klimakatastrophe noch verhindern können. „Die Hebel hat die Regierung in der Hand“, betonte Micha Frei. „Daher wenden wir uns mit unserem Protest an die Bundesregierung.“
Für die Wirkung der Protestaktionen ziehen die beiden Aktivisten ein positives Fazit. „Trotz Krieg und Inflation, ist das Thema Klima weiter ganz oben in den Medien“, sagte Wolfgang Metzeler. Durch den aufgebauten Druck haben bereits sich drei Kommunalpolitiker öffentlich positionieren.
Der neue Deal mit Mike Thiel: Gesellschaftsrat Klima
Die Klimaleber seien immer für einen Dialog bereit. „Dafür müssen wir die Politiker an Verhandlungstisch bekommen“, erklären die beiden Aktivisten. Thiel ergriff die Chance. „Der Gesellschaftsrat ist am ehesten umsetzbar“, sagte er. „Wenn ich das hinbekomme in Absprache mit der Regierung, ich hab ein paar Kontakte. In der Zeit, in der ich es versuche, wärt ihr dann bereit, sagen wir zwei Wochen, wärt ihr bereit, in dieser Zeit auf Klebeaktion zu verzichten?“ Micha Frei antwortete darauf: „Ja, wenn du es erreichst, beenden wir unsere Proteste.“
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