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Eisiges Wohnzimmer unter der Wittelsbacherbrücke: So trotzen Obdachlose dem Winter

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Bernd in seinem Bett, das ihn auch bei Schneetreiben warm hält.
Bernd in seinem Bett, das ihn auch bei Schneetreiben warm hält. © Schmidt

Ein eisiger Wind pfeift durch München. Wer unter der Wittelsbacherbrücke lebt, wie Bernd und Bernhard kann sich nicht einfach an einer Heizung aufwärmen.

Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt - Herzlich willkommen in meinem Schlafzimmer, bei welchem Problem kann ich Ihnen helfen?“ So schallt es uns schon von weitem entgegen. Wir möchten diejenigen besuchen, die den Wintereinbruch am unmittelbarsten erleben, die der Kälte und dem Wind Tag und Nacht ausgesetzt sind. Wir sind bei den Obdachlosen unter der Wittelsbacherbrücke. An eben jenem Ort, den Bernd (65) als sein Schlafzimmer betrachtet…

Seinen Nachnamen will er lieber nicht verraten – „es sind so viele Idioten unterwegs, die schlecht über einen reden“… Mit seiner Sackkarre hat sich der Mann sogar ein richtiges Bett herangeschafft. Am Kopfende hat er Matratzen und Bretter gestapelt, die den Wind wenigstens einigermaßen fernhalten. Einen geschmückten Christbaum hat er auch.

Kaum zu glauben, wieviele Obdachlose es in einer Stadt wie München gibt. Kürzlich wurden alarmierende Zahlen publik.

Es hat zwei Grad über null, Schneeflocken fallen vom Himmel, verwirbelt vom heftigen Wind. Bernd liegt unter einem Berg Decken vergraben in seinem Bett mit einer Zeitung auf dem Schoß. „Denn keiner ist weiser, der nicht das Dunkel kennt“, sagt er… 

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Das Schicksal meinte es nicht gut mit Bernd

Und er muss es wissen – er lebt seit drei Jahren auf der Straße. Eine chronische Entzündung der Füße mit starken Schmerzen und ständig blutenden Zehen hat ihn damals gezwungen, seine Arbeit als Direktverkäufer aufzugeben. Mietschulden! Bernd verliert seine Wohnung. 

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Und das Schicksal versetzt ihm einen brutalen Schlag nach dem Anderen: Kurze Zeit später verstirbt Bernds Freundin, bei der er untergekommen ist – seitdem lebt er auf der Straße… Wie ist es dort? Schlimm? Wie groß ist die Sehnsucht nach einem festen Dach überm Kopf? Und möchte er nicht wenigstens nächteweise in einer Kälteschutz-Bleibe unterkommen? 

Aufwärmen in der Bibliothek

Auf Fragen wie diese antwortet Bernd nicht direkt, sondern nur mit philosophischen Zitaten. Ganz konkret ist aber die zunehmende Kälte – und die ist für für Bernd kein großes Problem. „Ich mag den Winter gern. Bald kann ich wieder einen Schneemann bauen…“ Und es gibt Fluchtpunkte… „Manchmal, wenn ich Lust auf Goethe oder Schiller habe, gehe ich in die Bibliothek und lese ein bisschen. Schön warm ist es da auch…“

Aber draußen, hier an der Brücke, wird es noch ungemütlicher. Man hört den Wind pfeifen, und die Flocken legen sich als kaltfeuchte Schicht über alles. Auch über jene Gestalt im Schlafsack, die wir da ein paar Meter neben der Brücke an einem Baum sehen. 

Das ist Bernhard Lorenz (57) – mitten auf einer Wiese liegt er auf seiner Isomatte, der Schnee fällt in seine Schuhe… Seit eineinhalb Jahren lebt Lorenz an der Wittelsbacherbrücke, seit 20 Jahren ist er schon obdachlos. Der Mann mit dem Berliner Dialekt sagt: „In die Notunterkünfte gehe ich nicht – da mag ich die Menschen nicht…“ Lieber draußen, lieber kalt, lieber im Schneetreiben. 

Bernhard Lorenz ist seit 20 Jahren obdachlos, seit eineinhalb Jahren lebt er unter der Wittelsbacherbrücke.
Bernhard Lorenz ist seit 20 Jahren obdachlos, seit eineinhalb Jahren lebt er unter der Wittelsbacherbrücke. © Schmidt

Lorenz’ tabakverfärbte Finger spielen mit einer Zigarettenkippe, während er spricht. Wobei die Worte nur einen Teil des Bildes zu zeichnen vermögen. Dass Lorenz mal Kraftfahrer war. Und dass er seit seiner Scheidung auf der Straße lebt. Mehr über sein Leben mag er nicht erzählen.

Egal, wie eisig es noch wird… Bernhard und Bernd werden ihr Wohnzimmer an und unter der Brücke nicht aufgeben.

So können Sie Obdachlosen helfen

Man macht sich Gedanken – und man ist unsicher. Wer als Passant in der Stadt unterwegs ist, kommt immer wieder an Obdachlosen vorbei – unwissend, ob (und wenn ja welche) Hilfe nötig ist. Rat und Tat gibt’s bei mehreren Stellen – alle können Sie telefonisch erreichen. Hier können Sie anrufen:

Schiller-25, Schillerstraße 25, Telefon 089/54 59 41 40, täglich 13 bis 21 Uhr: zentrale Beratungsstelle für Obdachlose. Hier erhalten sie ihren Einweisungsschein für den Kälteschutz. Dieser dient auch als Fahrschein zur Bayernkaserne.

Teestube komm, Zenettistraße 32, Telefon 089/77 10 84, täglich 14 bis 20 Uhr: Hier bekommen Obdachlose heiße Getränke und können Wäsche waschen. Zudem steuert die Teestube die Streetworker, die zu Obdachlosen gehen und sie ins Kälteschutzprogramm vermitteln. Im Februar soll der Stadtrat über eine zweite Teestube beschließen.

Migrations- und Familienberatung FamAra, Rosenheimer Str. 125, Tel. 089/45 02 96 37, montags, mittwochs und freitags 9 bis 11 Uhr, montags bis freitags 11 bis 12 und 13 bis 16 Uhr: Winter-Anlaufstelle.

Kältebus, Telefon 089/200 04 59 30: Fährt bekannte Schlafstellen Obdachloser an, leistet Akuthilfe, versorgt die Menschen unter anderem mit Suppe, Wäsche und Decken.

Mitarbeiter des bKältebusses versorgen Obdachlose mit Suppe.
Mitarbeiter des Kältebusses versorgen Obdachlose mit Suppe. © dpa

Generell gilt, dass man die Beratungsstellen nur anrufen sollte, wenn der Obdachlose auch Hilfe annehmen will – oder man selbst nicht weiterweiß. Ist jemand ganz offensichtlich in Gefahr, etwa weil er regungslos oder stark alkoholisiert auf kaltem Boden liegt, sind Passanten gesetzlich zur Hilfe verpflichtet.

Judith Kohnle

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