Luftwerte: Freistaat schiebt Verantwortung an München ab - „Das ist widersinnig“

München muss den Luftreinhalteplan nun selbst erstellen. Das hat der Landtag entschieden. Damit ist die Stadt für die Luftwerte selbst verantwortlich. Im Rathaus ist man entsprechend sauer.
München hat die schlechteste Luft in Bayern. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums gehört die Landeshauptstadt deutschlandweit zu den sechs Städten, die auch im Corona-Jahr 2020 die Stickoxid-Grenzwerte nicht eingehalten haben (neben Stuttgart, Ludwigsburg, Limburg, Darmstadt und Hamburg). Der Grenzwert für Stickstoffdioxid liegt bei 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft im Jahresmittel. In München* liegen aktuell die Tegernseer Landstraße (49) und die Chiemgauer Straße (45) über dem Wert. Laut Stadt sind die Zahlen aber seit einer Weile kontinuierlich rückläufig.
Maßnahmen, um die Luftwerte in den Griff zu bekommen, schreibt der Luftreinhalteplan vor. Der ist bislang immer vom Freistaat fortgeschrieben worden. Weil aber in der Vergangenheit die Grenzwerte oftmals nicht eingehalten wurden, hatte unter anderem die Deutsche Umwelthilfe gegen den Freistaat geklagt. Zuletzt hatte gar der Europäische Gerichtshof einer Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission gegen Deutschland stattgegeben und befunden, Deutschland habe jahrelang nicht genug gegen die hohe Belastung mit Stickoxiden getan.
Der Freistaat hat nun die Verantwortung für den Luftreinhalteplan an die Stadt München abgeschoben. Wie ein Sprecher der Regierung von Oberbayern mitteilt, hat „der Bayerische Landtag mit Wirkung zum 1. Juni beschlossen, dass künftig die kreisfreien Gemeinden zuständig sind, wenn deren Einwohnerzahl 100 000 übersteigt“. Quer durch alle Fraktionen im Münchner Rathaus herrscht über diese Entscheidung Verärgerung, denn Instrumente, um die Stickoxidwerte nachhaltig zu senken, hat die Stadt nicht. Zwar gibt es Maßnahmen wie etwa den Ausbau des ÖPNV oder der Radwege, aber wirklich einschneidende Maßnahmen, etwa Fahrverbote, kann die Stadt nicht beschließen – sie betreffen Landes- oder Bundesgesetzgebung. OB Dieter Reiter (SPD) sagte auf Anfrage: „Mit der Übertragung der Verantwortung sind erhebliche finanzielle und personelle Mehrkosten verbunden, ohne dass der Freistaat hier einen Ausgleich schafft. Allein die damit verbundenen Gerichtsverfahren, die Verbände wie die Deutsche Umwelthilfe oder der VCD bisher gegen den Freistaat führen, werden nun den Kommunen aufgebürdet.“
„Wir können als Stadt zum Beispiel nicht einfach eine Blaue Plakette einführen“
Erschwerend komme hinzu, dass Luftreinhaltung nicht an der Stadtgrenze aufhöre, sondern mindestens regional gedacht und umgesetzt werden müsse. „Um beim Thema Luftreinhaltung durchgreifenden Erfolg zu sehen, müssten uns auch die notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen. Wir können als Stadt zum Beispiel nicht einfach eine Blaue Plakette einführen oder die Parkgebühren beliebig erhöhen. Insofern mag es für den Freistaat kommod sein, das Thema Luftreinhaltung abzugeben, aber mehr Rechte ohne gleichzeitig die dazugehörigen Kompetenzen und finanzielle Ausstattung halte ich für wenig zielführend.“
In eine ähnliche Richtung argumentiert die Rathaus-SPD. Stadtrat Andreas Schuster schimpft: „Der Freistaat stiehlt sich aus der Verantwortung zur Luftreinhaltung. Kommunen haben weder die rechtlichen noch die finanziellen Mittel für Maßnahmen, wie zum Beispiel günstigere ÖPNV-Karten oder die Ausweitung der Umweltzone.“ Grünen-Chef Florian Roth sagt: „Uns die Instrumente nicht geben, aber die Verantwortung – mit dem Risiko, dann selber Prozesse gegen die Umwelthilfe zu verlieren.“
Selbst bei der Münchner CSU stößt die Entscheidung des Landtags auf Unverständnis. „Hier wird ein unliebsames Thema an abgeschoben, obwohl die Kommunen beim Thema Luftreinhaltung den kleinsten Hebel in der Hand haben“, sagt Fraktionschef Manuel Pretzl. „Das ist widersinnig und schadet dem Fortschritt beim Umweltschutz.“ *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.