München – die Powerstadt an der Isar

München – Es ist ein wenig wie die Quadratur des Kreises: München – die Boomtown – soll eine Stadt im Gleichgewicht bleiben. So zumindest lautet das Kernziel des Stadtentwicklungsplans 2040. Woran sich unweigerlich die Frage anschließt: Wie soll das funktionieren? Wie soll die ungezügelte Nachfrage nach Wohnraum zum Beispiel mit den Zielen des Klimaschutzes in Einklang gebracht werden?
Das ist die aktuelle Gretchenfrage der Stadtpolitik. Denn München wächst und wächst – in räumlich eng gesetzten Grenzen. Im Zeitraum von den Olympischen Spielen 1972 bis zur Jahrtausendwende pendelte die Einwohnerzahl relativ konstant zwischen 1,25 und 1,3 Millionen. Mittlerweile leben knapp 1,6 Millionen Menschen in der Landeshauptstadt. Und bis zum Jahr 2040 sollen es nach einer Prognose des Planungsreferats 1,85 Millionen sein – noch einmal 250 000 zusätzliche Einwohner.
Nicht nur Naturschützern bereitet diese Dimension Kopfzerbrechen, sondern auch den Verkehrsplanern. Schon jetzt ist Bayerns Metropole staugeplagt und die öffentlichen Verkehrsmittel tagtäglich überfüllt. Klar ist: Nur mit einem massiven Ausbau respektive Vergünstigung des ÖPNV sowie einem grundlegenden Wandel des Mobilitätsverhaltens weg vom Auto kann München seinem eigenen Anspruch vom Erhalt der Lebensqualität gerecht werden.
Zur Münchner Wachstumsfrage ist eine Architekturdebatte entflammt
Als Nebeneffekt der Wachstumsfrage ist in München wieder eine Architekturdebatte entflammt. Bei der Umwandlung des Paketpost-Areals in Neuhausen nahe der Donnersbergerbrücke in ein Wohngebiet sollen auch zwei 155 Meter hohe Türme gebaut werden. Kritiker befürchten, das passe nicht ins Stadtbild. Bekanntlich hatte es 2004 in München einen Bürgerentscheid gegeben, dass kein Hochhaus mehr die 100-Meter-Grenze überschreiten soll. Rechtlich bindend ist das Votum schon lange nicht mehr. Der Großteil des Stadtrats stellt die Sinnhaftigkeit einer derartigen Beschränkung ohnehin infrage, weshalb nun ein neuerlicher Grundsatzbeschluss getroffen werden soll – ob mit oder ohne Bürgerentscheid.
In Freiham entsteht neuer Stadtteil für 46000 Einwohner
Der Stadtentwicklungsplan 2040 klingt unterdessen nach weiter Ferne. Ein Trugschluss. „Eigentlich ist das schon übermorgen“, sagt etwa Alain Thierstein, Professor am Lehrstuhl für Raumentwicklung der TU München. Am meisten wächst die Stadt natürlich an der Peripherie. Für den Bezirk Aubing-Lochhausen-Langwied am westlichen Stadtrand, in dem mit Freiham ein neuer Stadtteil entsteht, wird bis 2040 ein Einwohnerzuwachs von rund 46 000 Personen prognostiziert. Im Osten – entlang der Flughafen-S-Bahnlinie zwischen Daglfing und Johanneskirchen – ist ein Entwicklungsgebiet für 30 000 Einwohner geplant. Die Stadt will hier unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten Maßstäbe setzen. Und muss sich zugleich seit Jahren mit dem massiven Protest von Bürgerinitiativen gegen die Besiedlung auseinandersetzen.
Große Neubautätigkeiten gibt es auch im nördlichen Bezirk Feldmoching-Hasenbergl, was bei vielen ortsansässigen Bürgern ebenfalls auf wenig Begeisterung stößt. Auf dem ehemaligen Gelände der Bayernkaserne in Freimann wiederum entstehen schon in den kommenden Jahren etwa 5500 Wohnungen für bis zu 15 000 Menschen. Im Süden der Stadt in Obersendling wird zum Beispiel das ehemalige Siemens-Betriebsgelände bebaut – mit immerhin knapp 1400 Wohnungen.
Geringe Wachstumsraten sagt das Planungsreferat hingegen für die meisten Innenstadtbezirke voraus. Dort, wo seit Jahren die Miet- und Eigentumspreise explodieren. Und finanzkräftige Klientel das Milieu und den Charakter der Viertel verändern.
Trotzdem ist München auch heute – 50 Jahre nach Olympia – lebenswert geblieben. Man denke nur an die gelungene Renaturierung der Isar. Ob sich das auch 2040 noch sagen lässt? Der Stadtpolitik steht eine Herkulesaufgabe bevor. Oder die Quadratur des Kreises. (KLAUS VICK)
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