Dramatischer Mangel: Münchner Kliniken stehen vor dem Kollaps

Das System der Patientenversorgung in den Münchner Kliniken steht vor dem Kollaps. Hintergrund ist der dramatische Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal.
München - Eine Patientin wird mit einer lebensgefährlichen Erkrankung quer durch München gekarrt, weil keine Klinik sie aufnimmt. Krebskranke Kinder, die das Haunersche Kinderspital nicht aufnehmen kann, weil nur mehr zehn der 17 Betten in der Onkologie besetzt werden können. Abgemeldete Intensivstationen. Eingeschränkte OP-Kapazitäten. All das ist in München, das sich gerne seiner Hochleistungsmedizin rühmt, längst Realität.
Allein in den Kliniken der Technischen Universität (TU), der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und Stadt München fehlen aktuell 320 Pflegekräfte. Bei der LMU sind 200 von 3200 Stellen unbesetzt, bei den städtischen Kliniken (3300 Pflegekräfte) 70 Stellen, am Rechts der Isar 50 (2000 Pflegekräfte).
Kliniken schlagen Alarm
Nun schlagen die Kliniken Alarm. „Betten- und OP-Schließungen sind unabweislich, um nicht das vorhandene Personal in weitere Überlastungssituationen zu bringen“, sagt Professor Dr. Karl-Walter Jauch, Chefarzt des Klinikums der LMU. Mit einem Kopfgeld von 8000 Euro versucht das städtische Klinikum, an neues Pflegepersonal zu kommen. Viele Kliniken holen Pfleger aus dem Ausland. „Das wird aber nicht die Lösung darstellen“, warnt Jauch.

Wie aber können mehr Menschen für die Pflege gewonnen werden? Maßnahmen müssen „akut umgesetzt“ werden, um die Situation zu entschärfen, fordert Jauch.
Er und der Chef des Städtischen Klinikums München, Dr. med. Axel Fischer, sowie die Generaloberin der Schwesternschaft vom Bayerischen Roten Kreuz, Edith Dürr, reden am Mittwochabend bei der Diskussionsveranstaltung „Notfall Pflege“ des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbands (ÄKBV) in München Klartext. Und sie haben Lösungsansätze parat.

Die Lösungsansätze gegen den Kollaps:
Bezahlung: „Entscheidend ist eine konkurrenzfähige Vergütung im Ballungsraum München“, sagt Jauch. Bereits mögliche Zulagen müssten genutzt und ausgebaut, Ballungsraum- und Nachtdienstzulage deutlich erhöht werden. Vor allem soll das Lohniveau an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst angeglichen werden.
Arbeitsbelastung: Die aktuelle Generation von Pflegekräften ist in die immer höhere Arbeitsbelastung hineingewachsen. „Die nachrückende Generation wird den derzeitigen Anteil an Nacht- und Wochenenddiensten nicht mehr akzeptieren“, warnt LMU-Kliniken-Chef Jauch. Entlastung könne schaffen, wenn pflegeferne Arbeiten nicht mehr Fachkräfte, sondern Servicepersonal, Sekretärinnen oder Pflegefachhelfer übernehmen.
Eine aktuelle Erhebung der Gewerkschaft Verdi macht die Überforderung der Pfleger deutlich: Würden Pflegekräfte mit vorgeschriebenen Pausen, ohne Überstunden und ohne spontane Einsätze an freien Tagen arbeiten, müssten die deutschen Kliniken jeden Monat eigentlich einige Tage schließen. Im laufenden Monat haben die Pflegekräfte rein rechnerisch bereits am 25. Juni ihre Arbeit für den ganzen Monat geleistet.
Wohnraum: Wegen der hohen Lebenshaltungskosten in München, gerade in puncto Miete, ziehen viele qualifizierte Pfleger weg. Nur, wenn genügend erschwingliche Wohnungen saniert und neu gebaut würden, seien „erfahrene Kräfte auch zu halten“, sagt Jauch. Auch Kinderbetreuungsplätze seien ein Knackpunkt, glaubt Fischer.
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Ausbildung: Pflege muss akademisiert werden, daneben soll aber auch eine Pflegeausbildung ohne Abitur möglich bleiben.
Ansehen: „Eine höhere gesellschaftliche Anerkennung“ würde den Beruf neben attraktiveren Arbeitsbedingungen „für junge Menschen wieder interessanter machen“, glaubt Edith Dürr.
Mitsprache: „Keine Pflegepolitik ohne die Stimme der Pflegenden“, fordert Dürr. Die Einrichtung einer Pflegekammer, die ähnlich wie die Ärzte- oder Architektenkammer die Interessen des Berufsstandes vertritt, gehöre dazu.
Hoffnung setzen Kliniken und Pflegekräfte in den neuen Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung. Andreas Westerfellhaus, ebenfalls am Mittwochabend in München zu Gast, ist ausgebildeter Krankenpfleger – und hat bereits angekündigt, das Pflege- und Gesundheitssystem grundlegend verändern zu wollen. Viel Zeit bleibt nicht mehr, bevor die Lage in Münchens Krankenhäusern eskaliert.
Caroline Wörmann