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Münchner CSU-Fraktionschef: „Politik muss auf Ängste eingehen“

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Von: Klaus Vick, Ulrich Lobinger

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Seit Januar im Amt: CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl. © Klaus Haag

München - Der neue CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl (41) spricht im Interview über Wohnungsmangel, Flüchtlinge und Sicherheit und warum er hinter Horst Seehofer und nicht Angela Merkel steht.

Herr Pretzl, seit Januar sind Sie Vorsitzender der CSU-Fraktion. Welche Tipps hat Ihr Vorgänger Hans Podiuk Ihnen gegeben?

Manuel Pretzl: Er hat gesagt, dass ich mit meiner Fraktion auskommen muss, es gibt keine andere (lacht). Aber Spaß beiseite. Ich konnte mich schon länger auf den Übergang vorbereiten, Hans Podiuk hat zuletzt alle relevanten Themen mit mir abgesprochen. Als Fraktionschef ist man gleichzeitig in der Rolle des Schiedsrichters, Pfarrers und Kummerkastens. Das habe ich in der ersten Woche schon gemerkt. Mein Ziel ist, alle Kollegen einzubinden. Wir müssen als schlagkräftige Einheit auftreten.

In jüngster Zeit ist die Fraktion nicht immer geschlossen aufgetreten. Im Sommer hatte die Fraktionsspitze Richard Quaas zur Wahl des Wiesn-Stadtrats empfohlen, stattdessen wurde es Otto Seidl.

Manuel Pretzl: Wenn man viele Jahre über gemeinsam Politik macht, entstehen natürlich Wunden. Die Fraktion hat aber aus den damaligen Vorgängen gelernt. Denn so etwas nutzt am Ende des Tages niemandem.

Welche Themen wollen Sie sich als neuer Chef zueigen machen?

Manuel Pretzl: Das große Meta-Thema ist die wachsende Stadt. Das hat viele Aspekte. München ist in den vergangenen vier, fünf Jahren stärker gewachsen als in den 30 Jahren zuvor. Das stellt uns vor gigantische Herausforderungen. Die Neubürger sind in der Regel Hochqualifizierte mit gutem Einkommen – andere könnten sich die Stadt gar nicht leisten. Das führt zu Konkurrenzsituationen.

Tut München genug, um den Zuzug bewältigen zu können?

Manuel Pretzl: Neben dem Wohnungsbau investieren wir jetzt massiv in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Das ist unter Rot-Grün leider sträflich vernachlässigt worden. Die Kooperation hat dagegen die U5-Verlängerung auf den Weg gebracht und den Bau der Tram-Westtangente. Auch der Landshuter-Allee-Tunnel wird gebaut. Was wir jetzt an Chaos erleben auf Straßen und in U-Bahnen, ist das Ergebnis von 20 Jahren Nichtstun. Rot-Grün hat nichts in die Infrastruktur investiert.

Was wollen Sie noch für ÖPNV-Projekte auf den Weg bringen?

Manuel Pretzl: Bei der U-Bahn sind die Innenstadtlinie U9 und auch die U26 im Münchner Norden dringend erforderlich, dazu die Verlängerung der U5 nach Freiham. Gleichzeitig müssen die Takte verdichtet werden.

Nimmt die Stadt beim Wohnungsbau genug Rücksicht auf die Alteingesessenen?

Manuel Pretzl: Natürlich mag der Mensch keine Veränderung. Aber die Alternative zu Wachstum ist Schrumpfen. Wohnungsmangel ist genauso wenig optimal wie Leerstände in manchen anderen deutschen Städten.

Aber natürlich müssen wir so bauen, dass es für die Münchner akzeptabel ist. Wichtig ist, gleichzeitig Infrastruktur zu schaffen: U-Bahnanschlüsse, Schulen, Kindergärten.

Werden in München weitere Grünflächen für Wohnungsbau geopfert?

Manuel Pretzl: Wir werden auf die eine oder andere Grünfläche zurückgreifen müssen, das lässt sich nicht vermeiden. Aber wir müssen die Bürger bei diesem Prozess viel stärker einbeziehen und auf Änderungswünsche eingehen. Da ist auch die Stadtverwaltung gefragt, besser zu kommunizieren. Ich persönlich kann mir auch den Bau von Wohnhochhäusern in München vorstellen. Wenn ich höher baue, muss ich nicht so stark verdichten.

Das Klima zwischen SPD und CSU war zuletzt belastet. Woran liegt’s?

Manuel Pretzl: Es gab von beiden Seiten einige Unhöflichkeiten. Leider überdeckt das die Erfolge. Wir haben in drei Jahren viel geschafft: das größte Schulbauprogramm Deutschlands, die Sanierung der städtischen Kliniken, die vor dem Kollaps standen und jetzt auf dem Weg der Genesung sind. Die Verkehrsprojekte habe ich bereits erwähnt. Die Kooperation hat ein Kommunikationsproblem. Große und wichtige Themen, die für die Bürger von Bedeutung sind, lösen wir konsensual und ohne Streitereien, nur bei einem untergeordneten Thema wie dem Stadtstrand kracht es. Und das bestimmt dann die Schlagzeilen. Wir sollten die Erfolge viel stärker betonen. Da fällt mir auch das 30-Millionen-Programm für Elektromobilität ein, das ebenfalls einzigartig ist in Deutschland. Ich sehe die Kooperation positiv.

Die CSU hat viele namhafte Kollegen verloren und wird weitere verlieren: Alexander Dietrich, Max Strasser, Georg Schlagbauer. Hans Theiss und Michael Kuffer wollen auf Landes- und Bundesebene Politik machen, Kristina Frank ist als Kommunalreferentin im Gespräch. Wie wollen Sie diesen Aderlass kompensieren?

Manuel Pretzl: Das ist der Preis von Regierungsverantwortung: Dass die Leute in Ämter kommen. Aber die SPD hat das die letzten 30 Jahre auch überstanden. Bei uns kommen gute Kollegen nach, die sich schon ein Profil erarbeitet haben.

Zwei Drittel der Münchner sagen laut einer Umfrage, dass sie keine Flüchtlingsunterkunft in ihrem Viertel haben wollen. Die Hälfte der Münchner glaubt, dass Flüchtlinge die Kriminalität in München erhöhen. Wie begegnen Sie diesen Befürchtungen?

Manuel Pretzl: Natürlich hat die Grenzöffnung und unkontrollierte Zuwanderung Risiken mit sich gebracht. Nicht nur Verfolgte sind gekommen, sondern auch solche mit anderen Motiven, siehe den Anschlag in Berlin. Das erzeugt in der Bevölkerung ein Gefühl der Unsicherheit. Es ist Aufgabe der Politik, auf diese Ängste einzugehen und sie nicht Rechtspopulisten zu überlassen. Ich bin mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung nicht glücklich. Da stehe ich voll hinter Horst Seehofer, nicht hinter Angela Merkel. Das Unwohlsein beschränkt sich im Übrigen nicht auf bestimmte soziale Gruppen. Egal ob ich mit einem Lasterfahrer rede oder einem Apotheker: Die Leute haben ein Gespür dafür, ob etwas gut läuft oder falsch.

Und wie läuft es in München?

Manuel Pretzl: Auch bei uns verlieren die Menschen den Glauben an Recht und Gesetz, wenn jemand ohne unser Wissen über die Grenze kommt, zig Identitäten hat und Sozialversicherungsbetrug begeht oder Schlimmeres. Und bei uns steht sofort die Polizei da, wenn das Auto im Parkverbot steht. Wenn dieses Gefühl der Ungerechtigkeit in der Bevölkerung entsteht, dann profitieren die extremen Partien.

Die Münchner CSU ist im Vergleich zur Landes-CSU liberal. Müssen Sie weiter an den rechten Rand rücken, um bei der nächsten Kommunalwahl einen Erfolg der AfD zu verhindern?

Manuel Pretzl: Das glaube ich nicht. Ich halte auch die Debatte links-rechts oder liberal-konservativ für überholt. Unser Zweiter Bürgermeister Josef Schmid hat beim Thema Flüchtlinge klare Kante gezeigt und sich von OB Dieter Reiter abgegrenzt. Gleichzeitig läuft er beim Christopher-Street-Day mit. Wir sind eine Volkspartei als Münchner CSU und decken in unserer Fraktion alle Flügel ab. Ich halte es für liberale Politik, wenn man eine ordentliche Sicherheitspolitik macht, damit sich Menschen nachts noch auf die Straße trauen. Dass sich zum Beispiel Frauen auch sicher am Hauptbahnhof aufhalten können.

Können sie das nicht?

Manuel Pretzl: Ich höre von Bekannten, dass sie Angst haben, sich am Hauptbahnhof zu bewegen.

Werden Sie das Thema Sicherheit als Fraktionschef stärker betonen?

Manuel Pretzl: Auf jeden Fall.

Sie halten die E-Mobilität für die Zukunft, auch vor dem Hintergrund der Luftreinhaltung. Wann werden in München Diesel ausgesperrt?

Manuel Pretzl: Ich hoffe, dass wir gar nicht aussperren müssen. Ich rechne in den nächsten zwei, drei Jahren mit einem Boom bei den Elektroautos – in München und bundesweit. Die Autoindustrie hat den Schuss gehört und investiert jetzt viel Geld in die Elektromobilität.

Das wird die Luftqualität kurzfristig nicht verbessern.

Manuel Pretzl: Kurzfristig wird nichts etwas bringen, es sei denn, wir sperren die Autos aus. Und diesen Schritt halte ich in der Güterabwägung für unverantwortbar. Um die Grenzwerte beim Stickstoffdioxid einzuhalten, müssten wir den Verkehr um 80 Prozent reduzieren.

Es gibt eine lange Liste an Wunschprojekten in der Kooperation, allerdings nicht genug Geld. Was lässt sich schieben oder streichen? Großmarkthalle, Gasteig, Stadtmuseum?

Manuel Pretzl: Man muss die Frage andersrum stellen: Was brauchen wir unbedingt?

Ist eine neue Großmarkthalle nötig?

Manuel Pretzl: Wir brauchen dringender einen Tunnel an der Landshuter Allee. Wir brauchen die U-Bahn nach Pasing. Beides ist unverzichtbar, ebenfalls das Schulbauprogramm. Wenn das alles bezahlt ist, wird man sehen, ob noch Geld für die Großmarkthalle übrig ist – oder für andere Dinge, die wünschenswert sind.

Josef Schmid will noch nicht sagen, ob er 2020 wieder als Bürgermeister kandidiert. Stünden Sie bereit, sollte er verzichten?

Manuel Pretzl: Ich gehe zu 100 Prozent davon aus, dass Josef Schmid 2020 der CSU-Kandidat sein wird.

Das Interview führten Ulrich Lobinger und Klaus Vick.

Im Video: Stadtrat Manuel Pretzl ist neuer CSU-Fraktionchef

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