Patrona Bavariae Superstar: In München ist Maria überall

Maria ist Schutzpatronin Bayerns. Offiziell seit 100 Jahren. Tausende Pilger kommen am 13. Mai am Münchner Marienplatz zusammen und begehen dieses Jubiläum. Doch die Marienverehrung gibt es in Bayern schon sehr viel länger. In München ist die Patrona Bavariae überall.
München – Wenn Roland Götz, 54, in seinen historischen Kirchenbänden blättert, dann schaut ihm die Heilige Maria dabei über die Schulter. Die Schutzpatronin Bayerns ist auch ein bisschen die Schutzpatronin des Archiv-Oberrates, der über die geschichtlichen Aufzeichnungen des Erzbistums München und Freising wacht. Im Lesesaal des Archivs, der einmal die Sakristei der ehemaligen Karmelitenkirche war, blickt die Gottesmutter gleich in vierfacher Ausfertigung von der historischen Stuckdecke auf Roland Götz herab – als Schutzheilige vor den vier Elementen.

Doch passt die Maria nicht nur auf Roland Götz auf, sondern er auch auf sie. Der Archivar und Kirchenhistoriker kennt sich mit der Patrona Bavariae so gut aus wie wenige andere. „Die Maria begleitet mich“, sagt Götz. Schon immer hat sie eine Rolle in seinem Leben gespielt. In der Kindheit am Tegernsee als Ministrant und bei der halbjährlichen Marienwallfahrt. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich auch wissenschaftlich mit ihr. Und er weiß: „Die Marienverehrung prägt das Land.“ Haufenweise Belege dafür finden sich nicht nur in Kirchenarchiven, sondern im ganzen Land: Die Gnadenkapelle in Altötting, die Wallfahrtskapelle Maria Birkenstein, die Wallfahrtskirche von Tuntenhausen – Maria ist überall. Dass Papst Benedikt XV. die Heilige im Jahr 1916 auf Bitten von König Ludwig III. als Schutzpatronin Bayerns bestätigte, weshalb bayernweit seit 100 Jahren offiziell das Marienfest gefeiert werden darf: eigentlich reine Formsache.
Der Archivar bittet zur Marien-Entdeckungstour
Auch München, Hauptstadt eines Landes jahrhundertelanger Marientradition, zeugt an fast jeder Ecke von der

Verehrung der Muttergottes. Der Archivar bittet zur Marien-Entdeckungstour durch die Innenstadt. Kaum hat er die Türschwelle des Archivs in Richtung Promenadeplatz überschritten, schon der erste Halt: Gleich nebenan grüßt vom ersten Stock des „Gunetzrhainer-Hauses“ eine schwarze Madonna, das Jesuskind auf dem Arm. „Solche Hausmadonnen gibt es überall in der Stadt“, sagt Götz. „Maria war immer schon die bayerische Spitzenheilige. Man muss bloß die Augen offen halten.“ Wie viele davon in München zu finden sind, wagt der Kirchenhistoriker nicht einmal zu schätzen. „Sie sind in allen Stadtteilen, nachgezählt hat noch nie jemand.“ Fest steht: Es sind viele. Fast minütlich zeigt Götz’ Finger wieder auf eine Hausfassade. „Die ist ja besonders schick“, sagt er, als er eine Hausmadonna mit goldenem Strahlenkranz sieht. Oder einige Häuser weiter eine unter einem ornamentierten Kupferbaldachin.
„Die Bayern haben sogar frommes Geld“
Unter dem wachsamen Blick einer spätgotischen Madonna aus dem 15. Jahrhundert betritt der Archivar das Münz-Handelshaus Künker. „Die Bayern haben sogar frommes Geld“, sagt Götz und zieht verheißungsvoll die Augenbrauen hoch. Es folgt ein Exkurs in Währungsgeschichte vom Geschäftsführer Hubert Ruß, 55. Der hat auf schwarzem Samt eine Reihe Silbermünzen ausgebreitet, die alle Marienbildnisse tragen. „Die Münzen erzählen Geschichte“, sagt Ruß. Die Patronin auf dem Prägestempel – das praktizierten Bayerns Fürsten schon im 16. Jahrhundert. Auf Münzen höheren Werts findet sich die Muttergottes fast durchgängig bis in die Zeit von Ludwig II.

Ruß hält einen Madonnentaler aus dem Jahr 1765 hoch, der Zeit, als Bayern noch ein Kurfürstentum war. Damals war die Münze den dreifachen Tageslohn eines Handwerkers wert. Maximilian III. ließ davon so viele prägen, dass sie heute für gut 25 Euro zu haben sind. „Das wird gern als Charivari gekauft“, sagt Ruß, also als Trachtenschmuck. Natürlich gibt es auch wertvollere Stücke. Ein silberner Marientaler mit Prägejahr 1625, als Kurfürst Maximilian I. regierte, kostet mehrere Hundert Euro.
Ab 1616 thronte die Heilige Maria in der Mitte der wichtigsten Fassade des Kurfürstentums Bayern
Dieser Max I. war es auch, der die Marienverehrung in Bayern zur Staatsräson machte. Auf seinem Spaziergang

zieht es Bistumsarchivar Götz nun zur Residenz am Odeonsplatz. „Ah, da brennt das Licht“, sagt er, als er die überlebensgroße Bronzestatue mit der Plakette „Patrona Boiariae“ mitten an der Fassade des früheren Fürstensitzes ausmacht. „Bewusst altertümelnd“ nennt Götz die Inschrift. Unter ihr flackert eine Kerze. Unübersehbar hat Kurfürst Max I. die Maria in Form dieser Statue 1616 im Münchner Stadtbild verankert. „In der Mitte der Fassade des damals wichtigsten Gebäudes in ganz Bayern“, betont der Archivar. „Das war schon ein deutliches Zeichen: Er hat seine Herrschaft unter den Schutz Marias gestellt.“

Roland Götz macht kehrt, spaziert die Residenz- und Dienerstraße entlang. Unterwegs zählt er vier Hausmadonnen. „Hier herrscht besonders hohe Mariendichte“, sagt er. Bevor er aber den Marienplatz betritt, das Herz der Münchner Marienverehrung, macht er einen Abstecher. Nicht zur Frauenkirche, die natürlich auch der Gottesmutter geweiht ist. „Die kennt ja wirklich jeder“, sagt Götz.
In der Heilig-Geist-Kirche wird aktive Marienverehrung praktiziert
Stattdessen betritt er die Heilig-Geist-Kirche am Viktualienmarkt. Als die schwere Tür hinter dem Kirchenarchivar zufällt, verstummt der Straßenlärm. Stattdessen klingen die Liedzeilen von „Freu dich, du Himmelskönigin“ durch das lichte Kirchenschiff. Ein Dutzend Kirchgänger hat sich zur Marienandacht versammelt und singt das Loblied auf die Muttergottes. Ganz automatisch faltet Roland Götz die Hände in Gebetshaltung. „Das ist lebendige Marienverehrung“, flüstert er. Als die Stimmen verstummt sind, tritt der Archivar vor die „Hammerthaler Madonna“ links vom Hochaltar, ein Marienbildnis aus dem 15. Jahrhundert, das ursprünglich in Götz’ Heimat am Tegernsee stand. Dort zündet die 79-jährige Liselotte Ott gerade vier Kerzen an: eine für ihren Mann, wegen der Gesundheit. Eine für ihren Enkel im Abiturstress. Und je eine für ihren Sohn und ihre Schwiegertochter. „Damit es ihnen gut geht“, sagt die Münchnerin und lächelt fast verlegen. Dann setzt sie sich auf die Bank vor dem Altar und faltet die Hände. „Wenn ich Sorgen hatte, habe ich immer das Gefühl gehabt, dass Maria auf mich schaut.“

Der Marienplatz - symbolische Mitte Bayerns
Roland Götz ist inzwischen vom stillen Marienaltar zum Marienplatz spaziert. Dort ragt die Patrona Bavariae inmitten fotografierender Touristen und lärmender Schulklassen auf. Ganz in Gold auf ihrem Marmorsockel steht sie da, erhaben wie ein Superstar. Erst seit 1845 ist Münchens Mitte nach Maria benannt, doch schon seit 1636 gehört ihrer Statue die Mitte der Landeshauptstadt. Auch dahinter steckte Max I. Götz blickt zur Landespatronin auf, mit verschränkten Armen, die Füße eine selbstbewusste Schulterbreite auseinander. „Hier ist die symbolische Mitte Bayerns“, sagt er.
Dass die Münchner die Meister der Marienverehrung sind, will Roland Götz aber nicht behaupten. „Da sollte man keine Hitparaden aufstellen“, sagt er. „Maria ist in Bayern überall gleich präsent und den Menschen nahe.“