„Viele Bedürftige schämen sich“

Die Lebenshaltungskosten steigen. Nicht alle können sich das einfach so leisten. So will „Holzkirchen hilft“ mit Hilfe unserer Aktion „Leser helfen Lesern“ Geringverdiener entlasten.
Landkreis – Wer im Winter nicht frieren will, muss tief in die Tasche greifen. Viele Haushalte kommen dabei an ihre Grenzen – auch, weil alles andere immer teurer wird. Doch viele Betroffene schämen sich. Ihre Not bleibt deshalb im Verborgenen. Der Verein „Holzkirchen hilft“ weiß um ihre Sorgen und will sie lindern. Die Aktion „Leser helfen Lesern“ unserer Zeitung hilft bei der Finanzierung. Wir sprachen mit dem Vereinsvorsitzenden Marc Gerster (52) und Schatzmeister Stefan Dillig (59) über das Projekt.
Herr Gerster, Herr Dillig, Sie wollen Geringverdiener mit einem Zuschuss zu den Energie- und Lebenshaltungskosten helfen. Wie kamen Sie auf die Idee?
Stefan Dillig: Auslöser war, dass uns im September einige Bürger 200 Euro überwiesen hatten mit dem Vermerk „Energiespende“ – ohne, dass wir dazu aufgerufen hatten. Hintergrund war wohl die Energiepreispauschale, die einkommenssteuerpflichtige Arbeitnehmer im September bekommen hatten. Manche wollten dieses Geld weitergeben an Menschen, die es dringender brauchen. Das hat uns gezeigt, dass es den Menschen ein Anliegen ist, zu helfen. Im Dezember passiert mit der Soforthilfe für Gaskunden etwas ähnliches. Vielleicht sind dann wieder Bürger bereit, dieses Geld, das sie vielleicht nicht ganz so sehr brauchen wie andere, zu spenden.
Sozialhilfeempfänger bekommen die Miete und die Heizkosten aber doch vom Staat bezahlt.
Marc Gerster: Die enormen Energiekosten und die allgemeine Inflation setzen nicht nur Sozialhilfeempfängern zu. Ihre Folgen reichen bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Besonders hart trifft es Menschen mit geringem Einkommen. Also jene, die zu viel verdienen, um Sozialhilfe zu bekommen, aber doch zu wenig, um mit diesen Kosten zurechtzukommen. Genau diesen Menschen wollen wir helfen. Es wird immer von einer Inflation in Höhe von zehn Prozent gesprochen. Aber Nahrungsmittel zum Beispiel haben sich um 20 Prozent verteuert. Die Energiepreise sind um 43 Prozent gestiegen.
Dillig: Stromkosten werden Sozialhilfeempfängern übrigens nicht bezahlt.
Wie stellen Sie sicher, dass das Geld genau bei diesen Menschen ankommt?
Gerster: Wir sind dafür gerade in der Abstimmung mit den Gemeinden im Landkreis Miesbach. Profitieren sollen ja nicht nur Holzkirchner, auch wenn durch den Namen unseres Vereins dieser Eindruck entstehen kann, sondern alle betroffenen Landkreis-Bürger. Hierfür muss in den sozialen Stellen der Rathäuser eine Einkommensermittlung stattfinden. Wir haben extra einen Faktor entwickelt, mit dem sich die Zielgruppe berechnen lässt: Alle, deren Einkommen bis zu 25 Prozent über dem Sozialhilfeniveau liegt, sollen den Zuschuss erhalten können. Wer wissen will, ob er dazu zählt, kann sich auf unserer Homepage ein Formular herunterladen. Das ist eine Art Selbsttest, ob man die Hilfe beantragen kann. Der Antrag mus dann noch von der jeweiligen Gemeinde geprüft werden. Das heißt natürlich nicht, dass Sozialhilfeempfänger den Zuschuss nicht bekommen. Die Grundsicherung ist derart auf Kante genäht, dass auch Leistungsbezieher von einer Entlastung profitieren. Rentner und Alleinerziehende zum Beispiel, die sich bisher gerade so über Wasser halten konnten, sind jetzt von der Verteuerung der Nahrungsmittel massiv betroffen. Unser Verein möchte allen Landkreisbürgern helfen, die unverschuldet in Not geraten sind.
Wird der Zuschuss im Fall von Sozialhilfeempfängern nicht angerechnet?
Dillig: Berechtigte Frage. Grundsätzlich ist es so, dass sich Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege nicht mindernd auf den Leistungsbezug auswirken, sofern diese Beihilfe einen gewissen Rahmen nicht überschreitet. Unser Verein zählt zur freien Wohlfahrtspflege, das haben wir mit dem Landratsamt geklärt. Jedes Haushaltsmitglied kann von uns bis zu 100 Euro erhalten, und die werden nicht angerechnet.
Hat die Zahl der Menschen, die sich mit der Bitte um Hilfe an Sie wenden seit der Energiekrise zugenommen?
Dillig: An den Anfragen, die wir bekommen, können wir die Not gut ablesen. Es gibt so viele Familien, die uns jetzt schon um ein Weihnachtsgeschenk für ihre Kinder bitten – vielleicht das einzige, das sie heuer bekommen. Gerster: Wir sehen es ja auch jeden Tag in den Nachrichten: Die Zahl der Menschen, die sich an der Tafel versorgen, hat sich verdoppelt. Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden und Rentnern liegt aktuell bei fast 40 Prozent.
Wie hoch ist die Hemmschwelle Bedürftiger, um Hilfe zu bitten?
Dillig: Sehr hoch. Nicht wenige Menschen schämen sich für ihre Hilfsbedürftigkeit. Insbesondere die Älteren haben einen gewissen Stolz und sind sehr zurückhaltend. Sie sagen: ich bin so alt geworden, ohne jemals Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wir als Verein müssen damit umgehen können. In seltenen Fällen geben wir zinslose Kredite. Weil das für Betroffene manchmal leichter anzunehmen ist als die reine Geldspende. Oft reagieren wir auch auf Hinweise anderer Menschen, die uns sagen: Da braucht jemand Hilfe, aber er scheut sich, das auszusprechen.
Mit wie vielen Antragstellern rechnen Sie im Rahmen der Sonderaktion?
Dillig: Nach unser Abschätzung dürften das etwa gute zwei Prozent der Landkreisbürger sein. Wir erwarten deshalb Anträge für rund 2000 Menschen. Wenn wir pro Haushaltsmitglied 100 Euro bereitstellen wollen, brauchen wir Spenden in Höhe von etwa 200 000 Euro.
Sind Sie zuversichtlich, diese Summe zu generieren?
Gerster: Wir, aber auch die Aktion „Leser helfen Lesern“ der Heimatzeitung, genießen einen hohen Vertrauensvorschuss. In unserem Fall hat sich das zum Beispiel an unserer Spendenaktion für die Geflüchteten aus der Ukraine gezeigt, bei der wir mehr als 100 000 Euro Spenden generieren konnten. Dafür sind wir sehr dankbar.
Dillig: Wir müssen natürlich berücksichtigen, dass viele Menschen ihre jährliche Spende bereits geleistet haben. Beispielsweise eben für die Ukraine.
Wann zahlen Sie den Zuschuss aus?
Gerster: Die Antragsfrist läuft bis Ende Januar. Erst, wenn wir das genaue Spendenaufkommen kennen, beginnen wir mit der Auszahlung. Wir wollen vermeiden, dass die Schnellen gewinnen.
Unser Spendenaktion „Leser helfen Lesern“: Die wichtigsten Infos im Überblick
Begünstigte: Von der Aktion „Leser helfen Lesern“ profitieren drei Organisationen. In Kooperation mit dem Verein „Holzkirchen hilft“ unterstützen wir Geringverdiener aus dem gesamten Landkreis, die wegen der hohen Energie- und Lebenshaltungskosten in Not geraten. Mit einem kleineren Teil des Erlöses werden außerdem der Bau eines Inklusions-Spielplatzes für Kinder mit und ohne Behinderung in Miesbach und der Besuchsdienst der Nachbarschaftshilfe Holzkirchen gefördert.
Spendenkonto 13 300: Spenden können auf das Konto 13 300 bei der Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee (BLZ 711 525 70), IBAN DE04 7115 2570 0000 0133 00, eingezahlt werden – persönlich oder per Überweisung.
Spendenquittungen: Der Durchschlag der Überweisung wird bis zu einem Betrag von 300 Euro vom Finanzamt als Zuwendungsbestätigung anerkannt. Für Spenden über 300 Euro stellt das Landratsamt die Spendenquittungen aus. Spender werden gebeten, die vollständige Anschrift anzugeben.
Namensnennung: Wer „Leser helfen Lesern“ mit mindestens fünf Euro unterstützt, wird als Spender in der Zeitung genannt. Wer ungenannt bleiben möchte, möge dies auf der Überweisung vermerken.