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Corona-Neuinfektionen auf Höchststand: Kliniken in Bayern am Limit - ist die niedrige Impfquote schuld?

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Von: Stefan Sessler, Christian Fellner, Josef Ametsbichler, Wolfgang Hauskrecht

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Wird seltener: Lorenz Nowak, Chefarzt der Asklepios Klinik in Gauting, vor einem leeren Intensivbett
Wird seltener: Lorenz Nowak, Chefarzt der Asklepios Klinik in Gauting, vor einem leeren Intensivbett. © Peter Kneffel/dpa

Weit über 30.000 Neuinfektionen – es ist der höchste Wert seit Corona-Beginn. Ob Allerheiligen für geballte Meldungen gesorgt hat? Es kommen Hilferufe aus vielen Kliniken in Oberbayern.

München – Es sind Worte, die man nicht zu hören hoffte, aber Stefan Huber, Geschäftsführer der Kreisklinik Ebersberg, spricht sie aus: „Wir stehen vor einem Intensivkollaps!“ Sieben beatmungspflichtige Corona-Intensivpatienten meldete die Klinik am Donnerstag – so viele wie noch nie seit Beginn der Pandemie. Fünf Patienten kommen von außerhalb des Landkreises, weil es fast überall an Intensivbetten fehlt. Die Kollapsgefahr, sagt Huber, gelte über Ebersberg hinaus für Südostbayern, wahrscheinlich für ganz Oberbayern. Jüngst sei der Klinik ein Verlegungsbett in Ulm angeboten worden. Die Zurückhaltung der Politik sei bei dieser Lage schwer nachvollziehbar.

Corona in Bayern: „In München wird die Lage täglich herausfordernder“

Drastisch klingt auch die Botschaft aus dem Münchner Uni-Klinikum rechts der Isar. „Wir können die Belastung derzeit nur durch Betriebseinschränkungen kompensieren und haben begonnen, Routine-Eingriffe zu reduzieren und die ersten Operationssäle zu schließen, um die Versorgung bei knapper Personalsituation aufrechtzuerhalten“, sagt Dr. Christoph Spinner, Pandemiebeauftragter des Klinikums. „Die Krankenhäuser im Süden Bayerns suchen bereits nach Unterstützung – und auch in München wird die Lage täglich herausfordernder.“

Das südliche Oberbayern, es ist aktuell der bundesweite Brennpunkt. Im Landkreis Miesbach stieg die Sieben-Tage-Inzidenz auf einen neuen deutschlandweiten Höchstwert von 715,7. Auch im Landkreis Garmisch-Partenkirchen sind die Sorgen groß. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 299,1. Dr. Karin Kübler ist Chefin der Gesundheitsbehörde. „Wir gehen gerade unter“, sagt sie. „Wir haben keinen Überblick mehr, das lässt sich auch nicht beschönigen.“ 128 Neuinfektionen an einem Tag registrierte das Gesundheitsamt zuletzt – neuer Rekord. „Wir haben ein exponentielles Wachstum, einen erheblichen Rückstand bei der Datenerhebung, Kontaktpersonen können so gut wie gar nicht mehr ermittelt werden“, sagt Kübler, „selbst den Kontakt zu den infizierten Personen bekommen wir nur noch verzögert hin.“

Fünf bayerische Kreise haben die Inzidenz 500 überschritten, darunter auch Mühldorf und Traunstein. Der landesweite Schnitt liegt mit 234,8 weit über dem Bundesschnitt von 154,5. Entsprechend ist auch die Zahl der Corona-Todesopfer in Bayern sehr hoch: Das Robert-Koch-Institut meldete am Donnerstag 38 neue Todesfälle im Freistaat.

Corona erhöht Auslastung in Bayerns Krankenhäusern - Auch die Impfquote ist schuld

Als ein Grund der Entwicklung gilt in den Krankenhäusern die unterdurchschnittliche Impfquote in Bayern. Laut Impfdashboard des Bundes sind 66,5 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft – das ist die niedrigste Quote in den alten Bundesländern. In Norddeutschland liegen die Quoten bei über 70, in Bremen über 80 Prozent. Dort ist auch die Lage in den Krankenhäusern derzeit weniger kritisch.

In zahlreichen Landkreisen und kreisfreien Städten Bayerns mit hohen Sieben-Tage-Inzidenzen und einer hohen Klinik-Auslastung gelten bereits jetzt die Regelungen einer roten Ampel oder Vorgaben mit ähnlichen Konsequenzen. Darunter ist der gesamte Regierungsbezirk Niederbayern und mehrere Kreise Oberbayerns, sowie die kreisfreie Stadt Rosenheim. Voll belegt sind unter anderem die Intensivstationen in Stadt und Landkreis Landshut. Oberbürgermeister Alexander Putz rief die Bevölkerung in dramatischen Worten zur Impfung auf: „Die schlimmste Zeit seit Anfang der Pandemie steht bevor“, sagte Putz laut Bayerischem Rundfunk. „Denken Sie an die ganze Gesellschaft und seien Sie solidarisch.“

Ungeimpfte zur Impfung zu motivieren und möglichst viele Drittimpfungen: Das ist auch für Christoph Spinner vom Rechts der Isar der Weg. „Darauf kommt es jetzt entscheidend an“, sagte er unserer Zeitung. Die Mehrheit der Patienten sei ungeimpft, aber auch Patienten mit nachlassendem Impfschutz erlitten teilweise schwere Verläufe. Und es trifft nicht nur Alte. Im Rechts der Isar ist der jüngste Intensivpatient derzeit 32 Jahre alt.

Dr. Axel Fischer, Chef der München Klinik, sieht die Regelversorgung gefährdet, etwa bei Herzinfarkt- oder Krebspatienten. „Wir haben immer noch verschobene Operationen, die wir jetzt nachholen wollten“, sagte Fischer unserer Zeitung. Aktuell seien 60 Betten durch Covid-Patienten belegt, 22 davon auf der Intensiv- und Überwachungsstation. Bis auf wenige Ausnahmen seien die Patienten ungeimpft.

Corona verschärft Krankenhaus-Misere - Schon seit Jahren zu wenig Pflegepersonal

Blickt man auf die Zahl der Intensivbetten, fällt eines auf: Es gibt bundesweit rund 4000 weniger als vor einem Jahr. Diese Kapazitäten wieder zu aktivieren, scheint aber schwierig. War das Personal schon damals knapp, haben viele Pflegekräfte in der Pandemie den Beruf gewechselt. „Der limitierende Faktor sind nicht die Betten, sondern das Pflegepersonal“, bestätigt Fischer. Auch Spinner vom Rechts der Isar sagt: „Reserven gibt es seit Monaten keine mehr. Im Grunde können die zur Verfügung stehenden Ressourcen nur neu verteilt werden. Wichtig sei jetzt, dass sich alle Kliniken gemeinsam an der Versorgung beteiligen. „Dass schaffen wir nur zusammen.“

Professor Uwe Gerd Liebert, Virologe am Uni-Klinikum Leipzig, hält es bei Einhaltung der geltenden Hygieneregeln für denkbar, aber keineswegs sicher, ohne weitere Beschränkungen durch den Corona-Winter zu kommen. Mit neuen Virusvarianten sei zu rechnen. „Weiterhin darf die strikte Einhaltung der Hygieneregeln nicht vernachlässigt werden.“

Die Kreisklinik Ebersberg und das Inn-Klinikum mit seinen Standorten Altötting, Mühldorf, Burghausen und Haag haben als Reaktion auf die steigende Corona-Belastung die Pforten für Besucher geschlossen. Ausnahmen gibt es lediglich für die Begleitung Sterbender und für Frauen, die ein Kind gebären.

Bayerns oberster Krankenhaus-Vertreter hatte vor wenigen Monaten im Gespräch mit uns Stellung bezogen zur Corona-Lage, Tricksereien und den Pflegemangel.

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