Der Mann, der mit der RAF verhandelt und die GSG9 beraten hat

Er hat mit RAF-Terroristen verhandelt, Flugzeugentführungen beendet und die GSG 9 strategisch beraten. Nun hat sich Wolfgang Salewski (79) endgültig in den Ruhestand verabschiedet.
Reichersdorf – Die Online-Enzyklopädie Wikipedia liefert zu „Wolfgang Salewski“ keinen Eintrag. Ungewöhnlich für einen Mann, der Bundeskanzler Helmut Schmidt persönlich beraten und als Vorstandsvorsitzender jahrelang die Bayerische Brauholding (u.a. Paulaner, Hacker-Pschorr, Hopf) geführt hat. „Ich war lieber der Mann im Hintergrund“, sagt der 79-Jährige und lacht. Selbst in seinem kleinen Wohnort Reichersdorf bei Irschenberg wussten nur wenige, was „der Herr Professor“ macht. Dass der bescheiden und leise auftretende Diplom-Psychologe zu einem der erfolgreichsten Krisenmanager der Bundesrepublik zählt.
Institutsgründung wenige Tage nach dem Olympia-Attentat
Es war der Tag nach dem Olympia-Attentat von München. Der damals 29-jährige Salewski, bei einem Maschinenbauunternehmen als Betriebspsychologe angestellt, hatte einen Termin beim Münchner Polizeipräsidenten Manfred Schreiber. Ob er das Treffen angesichts der aktuellen Ereignisse lieber verschieben wolle, fragte Salewski vorsichtig nach. Schreiber wollte nicht – und bot dem jungen Mann eine freiberufliche Stelle als Polizeipsychologe an. Zwei Tage später – am 8. September 1972 – gründete Salewski in München sein Institut für Konfliktforschung und Krisenberatung. Zweieinhalb Tage pro Woche war er fortan für den Psychologischen Dienst der Stadt tätig, die übrige Zeit widmete er sich der Beratung von Unternehmen.

Das Konzept der polizeilichen Verhandlungsgruppe gibt es noch heute
„,Polizeipsychologe‘ war damals noch ein sehr offenes Feld“, erinnert sich der Reichersdorfer. „Ich wollte Dinge grundlegend angehen.“ Basierend auf seinen psychologischen Studien und Erfahrungen, ersann er das Konzept der polizeilichen Verhandlungsgruppe. War es zuvor ein Sprecher der Polizei, der versuchte, das Gegenüber von der Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens zu überzeugen, kam fortan ein trainiertes Team für Verhandlungsführung zum Einsatz. Es sollte die Situation deeskalieren und Zeit gewinnen, bis geeignete Maßnahmen zur Beendigung des Ereignisses eingeleitet sind. „Man kommt besser voran, wenn man zunächst Ruhe reinbringt“, weiß Salewski. Ein Leitsatz, an den er sich auch später während seiner Tätigkeit in der Wirtschaft gehalten hat.
Studie zu „Geiselnahme und erpresserischem Menschenraub“
Die Verhandlungsgruppe wurde ein fester Bestandteil des polizeilichen Organisationsapparats. „Dieser Schritt war so eine Art Gütesiegel für mich“, erzählt der heute 79-Jährige. Viel beachtet waren auch die Analysen und Studien, die er und sein schon bald auf zehn Mitarbeiter angewachsenes Institut anfertigten. Unter anderem befasste er sich im Auftrag des Bundeskriminalamts mit dem Thema „Geiselnahme und erpresserischer Menschenraub“. Das Thema sollte ihn nicht mehr loslassen.
Im „heißen Herbst“ 1977 mit RAF-Terroristen verhandelt
1977, im sogenannten „heißen Herbst“, holte ihn Bundeskanzler Helmut Schmidt nach der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer durch die Rote Armee Fraktion (RAF) in den Krisenstab. Salewski wertete die Schreiben der Entführer aus, handelte nach eigenen Worten sechs Wochen Zeit heraus. Als palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführten, um der Forderung nach Freilassung inhaftierter RAF-Terroristen Nachdruck zu verleihen, schickte ihn Schmidt nach Somalia. Auf dem Flughafen von Mogadischu beschäftigte Salewski die Geiselnehmer so lange, bis die Spezialeinheit GSG 9 eintraf. In enger Abstimmung mit Kommandeur Ulrich Wegener gab er das Signal zum Zugriff. Alle Geiseln kamen frei. Dass sich die inhaftierten RAF-Terroristen in der Folge das Leben nahmen und Schleyer ermordet wurde, schmerzt den Psychologen: „Wer hat ahnen können, dass sie im Gefängnis Zugang zu Waffen haben“, sagt er. „Durch den Selbstmord war das Leben von Schleyer für die RAF nichts mehr wert.“

Persönliches Abschlussgespräch mit dem Bundeskanzler
Nach den Ereignissen lud ihn der Bundeskanzler zum Abschlussgespräch ein. Vier Stunden saßen die beiden beisammen, redeten im Zigarettendunst über Gott und die Welt. Ein prägendes Erlebnis. „Ich war damals ja gerade mal 34 Jahre alt“, sagt Salewski. Nach dem erfolgreichen Einsatz in Mogadischu verpflichtete die GSG 9 sein Institut, die Auswahl und Entwicklung der Spezialeinsatzkräfte zu begleiten und die Führung strategisch und operativ zu beraten. Der Vertrag gilt bis heute.
Im Auftrag von Regierungen und Konzernen die ganze Welt bereist
Fortan kamen der Psychologe und sein Team immer dann zum Einsatz, wenn es galt, Krisenstäbe zu bestücken, Expertisen zu erstellen und heikle Fälle zu lösen. Entführungen, Erpressungen, Geiselnahmen – Salewski bereiste die ganze Welt und beendete im Auftrag von Regierungen und Konzernen – meist geräuschlos – Konflikte (siehe Kasten). Sein Name tauchte in Zusammenhang mit den Ereignissen nie in der Öffentlichkeit auf. Auch die Familie ließ er im Unklaren. „Sie wussten nie, wo ich bin“, erinnert sich der Vater eines Sohnes und einer Tochter, die während ihrer Schulzeit stets Polizeischutz hatten. „Was meinen Beruf betrifft, herrschte zu Hause Schweigen.“
Nur einmal war er bei einer Geldübergabe bewaffnet
Angst ums eigene Leben überkam den Psychologen nie. „Wenn ich einen Fall hatte, bin ich immer ganz ruhig geworden. Ich hatte nie das Gefühl, dass mir etwas passieren könnte“, gesteht er. Durch seine Zusammenarbeit mit der GSG 9 habe er „ein gutes Potenzial an Selbstverteidigungen“ gehabt. Nur einmal, bei einer Geldübergabe, sei er bewaffnet gewesen. Benutzen musste er die Pistole nicht.
„Sind Sie dieser Salewski?“, wollte Schörghuber wissen
Salewskis Fähigkeit, Situationen zu analysieren und professionell und knallhart zu verhandeln, machte sich auch bezahlt, als er das Geschäft mit der Gefahr im Jahr 2000 hinter sich ließ. Bereits Anfang der 1980er Jahre hatte er im Araballa-Hotel am Spitzingsee während einer seiner vielen Seminare, die er dort abhielt, den Eigentümer getroffen. Ob er dieser Salewski sei, der ihm regelmäßig so viele Gäste bringe, wollte Unternehmer Josef Schörghuber wissen. Und was er denn eigentlich so mache.
Nach 28 Jahren als Freiberufler zu Konzern gewechselt
Schörghuber gefiel, was er hörte – und sah Potenzial für seine Unternehmensgruppe. Psychologe Salewski beriet ihn in vielen Fragen der Unternehmensführung und der Struktur der Gruppe, begleitete nach Schörghubers Tod den Übergang des Konzerns auf dessen Sohn Stefan und wechselte schließlich – als Angestellter – in den Vorstand der Gruppe. „Nach 28 Jahren freiberuflicher Tätigkeit konnte ich zeigen, dass ich das, was ich als Berater anderen vorgeschlagen hatte, selbst in der praktischen Arbeit beherrschte“, so der Honorarprofessor, der während seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender der Brauereisparte auch den Kauf der Miesbacher Weißbierbrauerei Hopf verhandelte. Später kaufte er das Hopf-Weißbräustüberl und sanierte das Gebäude. Die Anteile an seinem Institut übernahm der Wirtschaftspsychologe Günter Weber, der es zusammen mit Nikolaus Seibt heute noch leitet.
Sicherheitskonzept für Unternehmerfamilie ausgearbeitet
Nach seinem Ausscheiden bei Schörghuber schrieb Salewski ein Buch über „Die Kunst des Verhandelns“ und arbeitete noch 14 Jahre als freiberuflicher Berater. Unter anderem half er dem Landkreis bei der Neustrukturierung des Krankenhauses und der Sanierung der Holzkirchner Frischeküche. Für die 28 Mitglieder der schwerreichen Unternehmerfamilie Reimann (u.a. Jacobs, Schweppes, Calgon) erarbeitete er ein Sicherheitskonzept.
Colonia Dignidad: „Mir ist oft fast schlecht geworden“
Seit heuer ist Schluss, Salewski endgültig im Ruhestand. Er möchte noch ein Buch über die Colonia Dignidad in Chile schreiben. Über mehrere Jahre hatte er ab 1987 zunächst über die Freilassung der dort festgehaltenen deutschen Baptisten und später über die Auflösung der Kolonie verhandelt. Wegen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und der Menschenrechtsverletzungen während der Pinochet-Diktatur war sie weltweit in die Schlagzeilen geraten. Ein Einsatz, der ihn in seinem langen Berufsleben psychisch am meisten belastet hat. „Mir ist oft fast schlecht geworden“, erinnert sich der Reichersdorfer an die Vorkommnisse.
Der Krisenmanager, der eigentlich Landwirt werden wollte
Abwechslung zur schriftstellerischen Arbeit bringt die handwerkliche Betätigung. Kürzlich hat der 79-Jährige für seinen Sohn ein Müllhäuschen und einen Zaun aus Lärchenholz gezimmert. „Ich habe eine gewisse handwerkliche Begabung“, sagt Salewski schmunzelnd. Nach der Vertreibung aus Westpreußen auf einem Bauernhof in Freiburg aufgewachsen, wäre er gerne in die Fußstapfen seines Vaters getreten und Landwirt geworden. Die praktische Arbeit und all das Technische auf dem Hof lagen dem gelernten Maschinenschlosser. Dann aber studierte der zwei Jahre ältere Bruder Armin Landwirtschaft, und dem jüngeren Wolfgang attestierten sie beim Germanistik- und Geschichtsstudium in München „eine besondere Begabung für die Psychologie“. Scheint so, als habe da jemand das richtige Gespür bewiesen.
Auch interessant
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion