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„Zu ihrer Zeit ein echter Star“: Wie die Fischerlisl vom Schliersee den Mythos Bayern bis heute prägt

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Von: Dieter Dorby

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Damit fing alles an: Ulrike Tress entdeckte beim Aufsichtsdienst im Heimatmuseum Schliersee dieses Schild vom Gasthaus Zur Fischerlisl – der „Donna del Lago“ (Foto oben). Wie sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts selbstbewusst die jungen Musikanten über den See bringt, zeichnet ein unerwartet emanzipiertes Frauenbild aus jener Zeit. Fischerin, Fährfrau, Wirtin und begnadete Sängerin – eine spannende Persönlichkeit, die eine bayerische Ikone war. Ihre Geschichte fasst Ulrike Tress in ihrem neuen Buch zusammen.
Damit fing alles an: Ulrike Tress entdeckte beim Aufsichtsdienst im Heimatmuseum Schliersee dieses Schild vom Gasthaus Zur Fischerlisl – der „Donna del Lago“. © ddy/Heimatmuseum Schliersee

Sie verkörperte das Ideal von der „Schönen vom Oberland“ und war über Jahrzehnte weit über die Region bis nach München hinaus bekannt. Autorin Ulrike Tress hat nun über die Fischerlisl vom Schliersee ein aufschlussreiches Buch geschrieben, das auch einiges der Tradition des Oktoberfests erklärt.

Die Fischerlisl vom Schliersee, wie Elisabeth Ellgraser, geborene Schrädler, genannt wurde, prägte den Mythos Bayern. Doch wer war diese Frau, die sämtliche Männer jener Zeit – Jung und Alt, aus Bürgertum und Adel – in ihren Bann schlug und europaweit Berühmtheit erlangte? Autorin Ulrike Tress, die mittlerweile im südlichen Landkreis München lebt, hat sich auf Spurensuche begeben und präsentiert in ihrem neuen Buch die Lebensgeschichte einer bemerkenswerten Frau, deren Erbe auch heute noch existent ist.

Frau Tress, Sie beschreiben die Fischerlisl vom Schliersee als „Ikone des Mythos Bayern“. Was meinen Sie damit?

Im Ausland wird Deutschland oft mit Bayern gleichgesetzt und Oberbayern mit Bayern. Wir sind hier im Oberland so gesehen im Zentrum der bayerischen Kultur. Für mich als Volkskundlerin und Kulturwissenschaftlerin ist die Fischerlisl eine ganz wichtige, bedeutende Frau. Weil das, wofür sie stand, spielt bis heute in den Mythos Bayerns hinein.

Beschreiben Sie doch bitte mal die Fischerlisl. Wer war sie? Was machte sie so besonders?

Das unerwartet emanzipierte Frauenbild aus jener Zeit, das die Fischerlisl als Fischerin, Fährfrau, Wirtin und begnadete Sängerin zeichnete, hat Ulrike Tress zu ihrem neuen Buch inspiriert.
Das unerwartet emanzipierte Frauenbild aus jener Zeit, das die Fischerlisl als Fischerin, Fährfrau, Wirtin und begnadete Sängerin zeichnete, hat Ulrike Tress zu ihrem neuen Buch inspiriert. © THOMAS PLETTENBERG

Sie ist die Personifizierung der „Schönen vom Oberland“. Das schöne Liserl, das 1790 geboren wurde, ist zum Topos geworden, zum prägenden Bild. Sie verkörperte die Vorstellungen und das Lebensgefühl, das man damals in der Stadt und bei Hofe vom Leben und den Menschen auf dem Land hatte. Dass ihr diese Rolle zukam, war aber kein Zufall. Sicher, sie war schön und begabt und eine charismatische Sängerin. Zugleich war sie die Tochter des Hoffischers Schrädler, was ihr auch eine gehobene Stellung einbrachte. Sie gehörte damit gewissermaßen zur ländlichen Bürgerschaft, die auch nach München kam, um beispielsweise die Dult zu besuchen.

Wurde sie dabei entdeckt?

Ob man bei einem dieser Besuche auf sie aufmerksam wurde oder ob man sie im Zuge der in Mode kommenden Sehnsucht nach dem Land am Schliersee entdeckte, lässt sich nicht feststellen.

Fakt ist aber, dass sie zur Berühmtheit wurde.

Ja. Die jungen Künstler von der Akademie in München kamen zu ihr an den See und malten sie. Dichter besangen sie, Literaten beschrieben sie. Dadurch entstand das Bild von der sangesfreudigen Fischerlisl, das über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt wurde. Die „Donna del Lago“, wie sie auch genannt wurde, entwickelte sich zur tüchtigen, selbstbewussten und wirtschaftlich unabhängigen Wirtin und Frau. Sie lebte überaus frei – erst als schönes Mädchen, später als gestandene Patriarchin.

Wie kam es dazu, dass sie derart faszinierte?

Dazu muss man ein wenig auf die Vorgeschichte eingehen. Mit Maximilian I. Joseph, der 1799 als Kurfürst die Regierung übernahm, war ein Pfälzer Kurfürst in Bayern. Der wollte zu Beginn seiner Regentschaft um 1800 erst mal sein Volk kennenlernen. Wer waren denn diese Bayern überhaupt? Also ließ er Gelehrte ausschwärmen, um das Volk zu beschreiben. Gelehrte und Literaten kreierten so eine Vorstellung von Land und Leuten. Bilder illustrierten diese Beschreibungen, und dank der 1803 in München entwickelten Drucktechnik der Lithografie fanden die Bilder schnell Verbreitung in der besseren Gesellschaft. Aufklärung und Romantik begünstigten dabei die Wahrnehmung eines Mädchens vom Lande durch die gebildeten Städter. Die Bewunderung der natürlichen Schönheit war so modern, dass Adelige die einst belächelte Bauerntracht sogar als Freizeitkleidung trugen. Man sprach von den besonders schönen Mädchen aus Miesbach, Schliersee und Tegernsee und von deren munteren, lebensfrohen und unverzärtelten Natur. Man genoss das Gefühl der Freiheit.

Und Sinnbild dafür war die Fischerlisl?

Ja. Zumal sie eine begnadete Sängerin war, die das Gstanzlsingen und das Schnaderhüpfeln sehr gut beherrschte. Die Art, wie die Sennerinnen in Mundart im Ruf-Antwort-Muster – ähnlich wie heute bei Rap – kommunizierten, war damals prägend und eine Kunst. Es gab regelrechte Wettbewerbe.

Und da es kein Radio oder Schallplatten gab, musste man sie erlebt haben, oder?

Ja. In München hatte sie einen unglaublichen Ruf. Jeder wollte sie in ihrem Gasthaus am Schliersee sehen. Man wollte sie erleben. Die jungen Männer wollten die Schöne entdecken. Dabei gab es noch keine Bahn, keine ausgebauten Straßen. Sogar Max Joseph kam 1817 als König nach Schliersee, ließ sich von ihr über den See rudern und residierte im Haus gegenüber ihres Gasthauses, dem heutigen Gasthof Zur Post. Bis 1825 kamen er und auch die Prinzen immer wieder zu ihr – über die Alpe von Tegernsee nach Schliersee. Der König war fasziniert von ihrer Schönheit und ihrem Gesang. Dabei muss sie eine kräftige Frau gewesen sein, wie ihr Gasthausschild nahelegt, das sie als Fährfrau mit zwei Männern im Boot zeigt.

Wie sind Sie selbst auf die Fischerlisl aufmerksam geworden?

Eben durch besagtes Schild, das im Schlierseer Heimatmuseum ausgestellt ist. Als ich vor zehn Jahren mit meiner Familie noch in Neuhaus gewohnt habe, habe ich Aufsichtsdienste im Heimatmuseum übernommen. Dabei hat mich dieses Schild fasziniert. Als Volkskundlerin lese ich in so einem Bild. Ich wollte wissen: Wer war diese selbstbewusste Frau? Ich habe jahrelang recherchiert und nach Quellen gesucht.

Wollten Sie von Anfang an ein Buch schreiben?

Nein, das hat sich erst in den letzten Jahren ergeben. Ich hatte so viel über sie herausgefunden. Natürlich gibt es Quellen, und vieles lässt sich finden, aber es gibt eben keine Zusammenfassung – kein Buch, das ihre Geschichte erzählt. Erst hatte ich 200 Seiten, aber ich habe gekürzt, damit die Essenz gelesen wird – trotz der wissenschaftlichen Arbeitsweise. Das hat mich motiviert. Auch deshalb, weil sie eine interessante, starke Frau war, die mit der besseren Gesellschaft auf Augenhöhe war. Heute würde man sie emanzipiert nennen. Es gibt von ihr allein vier Porträts. Von welcher Frau aus dem Volk gibt es das aus dieser Zeit?

Zumal es die Ikone des Mythos Bayern, wie Sie sagen, in alle Welt geschafft hat. Ein Gemälde hängt sogar in den USA.

Das stimmt. Joseph Karl Stieler, der Hofmaler von Ludwig I., war ihr Jugendfreund. Er malte für Ludwigs Schönheitengalerie das „Bildnis Lieserl vom Tegernsee“, das heute im Wright Museum in Wisconsin hängt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er dabei die Fischerlisl vom Schliersee vor Augen hatte. Ein anderes Bild – „Die Leonhardifahrt in Schliersee“ von Peter von Heß, das die Fischerlisl mit ihrem typischen Stopselhut in einer Szene zeigt – hängt in der Nationalgalerie in Berlin. All das trug dazu bei, den Mythos Bayern in seiner heutigen Form zu schaffen.

Der Topos der Fischerlisl ist ja heute noch lebendig.

Ja, er existiert heute noch, was Namen wie Schützenlisl und Fischervroni belegen. Und auf der Wiesn ist es doch heute ähnlich wie damals, wenn das Ländliche auf das Städtische trifft.

Und Tracht zu tragen, ist auch immer noch modern.

Sicher. Sie betont das Schöne und kommt dem Ideal der männlichen und weiblichen Schönheit sehr entgegen. Und um 1800, das ist bemerkenswert, waren in der Stadt die Röcke lang, im Oberland aber deutlich kürzer.

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Wie lange hielt sich der Ruhm der Fischerlisl?

Sehr lange. Als sie schon in die Jahre gekommen war, sprach man von ihr immer noch wie in ihrer besten Zeit. Heute würde man sagen, sie war ein Star. Ihr Ruf als „Schöne vom Oberland“ machte sie berühmt und ermöglichte ihr ein bemerkenswert emanzipiertes Leben. Das, wofür sie stand, ist heute noch lebendig. Insgesamt steckt da so viel drin über die damalige Zeit. Es ist auch ein Stück weibliche Kulturgeschichte. All das anhand eines Lebens beschreiben zu können, finde ich einzigartig.

Das Buch „Die Fischerlisl vom Schliersee – Ikone des Mythos Bayern“ (95 Seiten) hat Ulrike Tress im Eigenverlag veröffentlicht. Es ist im Landkreis in Schliersee (Bücheroase), Miesbach (Buch am Markt), Tegernsee (Tegernsee Arkaden), Bad Wiessee (Buchhandlung Ilmberger) und Rottach-Egern (Kolmansberger) erhältlich. Weitere Infos gibt es auf ihrer Homepage ulriketress.de. Das Buch kostet 28 Euro. ISBN 978-3-00-072301-8.

ddy

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