„Irrsinnige Baustelle wäre eine Katastrophe“

Der Hochwasserausgleich Tegernsee ist ein ehrgeiziges Projekt. Jetzt fordert die Regierung von Oberbayern weitere Untersuchungen. Und Bürgermeister Alfons Besel würde es am liebsten ganz verhindern.
Gmund – Bei der Bürgerversammlung im Neureuthersaal hatte es Rathauschef Alfons Besel angedeutet: Die bisherigen Pläne sind ungenügend. Paul Geisenhofer, Chef des Wasserwirtschaftsamts Rosenheim (WWA), wird konkreter: „Es müssen vertiefende Untersuchungen durchgeführt werden.“ Das habe die Prüfung des Vorentwurfs durch die Regierung von Oberbayern ergeben.
Grundsätzlich ist Folgendes geplant: Nördlich des Mangfallstegs bei
Gmund soll ein Einlaufwerk entstehen, eine Art Staubsauger im Wasser. Es wird immer dann eingeschaltet, wenn extreme Regenfälle angekündigt sind. Daran schließt sich eine unterirdische, etwa 600 Meter lange, 4,50 mal 2,30 Meter dicke Druckleitung an, die einen halben Meter unter der Mangfallsohle zunächst nördlich, dann südlich am Mangfallufer entlang läuft. Das Schuhmacherwehr soll zudem erneuert und für die bessere Steuerung bei Hochwasser ertüchtigt werden. Um maximal 20 Zentimeter könnte der Tegernsee-Pegel mit diesen Maßnahmen gesenkt und damit Hochwasserschäden vermieden werden.
Lesen Sie hier: So sehen die Pläne aus.
„Das Projekt hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt“, sagt Geisenhofer und erinnert an die ersten technischen Lösungen mit der Eintiefung der Mangfall und den Hochwassermauern, bis zur nun vorliegenden Konzeption. Insgesamt, so der WWA-Chef, sei das Projekt technisch sehr anspruchsvoll. „Die Druckleitung in der Mangfallsohle erfordert neuartige Bauweisen, zu denen noch wenig Erfahrungen vorliegen.“ Insbesondere der Baugrund sei extrem ungünstig. Seetone vom Seeauslauf bis zur Brücke der B 307 würden sich mit stark durchlässigen Kiesen bis zum Schuhmacherwehr abwechseln. Keine guten Voraussetzungen, wo doch der Ton ausgebaggert, Spundwände in den weichen Untergrund gedrückt und schließlich die Ausschachtung versteift werden müsste. Und das alles im Wasser.
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Nach Ansicht der Regierung von Oberbayern gibt es weitere Problemstellen – etwa den Hang im Bereich der Mannhardtstraße, auf dessen Spitze die Pfarrkirche St. Aegidius thront. Die Druckleitung würde dort am Südufer der Mangfall direkt an der Straße verlaufen, die geplante Gründungssohle der Druckleitung dabei bis zu 11,50 Meter unter dem Straßenniveau. „Hier ist zu prüfen, ob beim Bau der Druckleitung die Stabilität des Hanges unterhalb des Friedhofs gefährdet sein kann“, erklärt Geisenhofer. Auch die Querung der Druckleitung vom Nord- ans Südufer im Bereich der Bundesstraßenbrücke sei problematisch. Die Querung könne zudem negative Auswirkungen auf die Hochwassersituation am See haben. So könnten während der Bauzeit die Wasserstände ansteigen und Schäden verursachen. Überhaupt, so fordert die Regierung, müsse man das Thema Schadenspotenzial überarbeiten. Laut Geisenhofer werde nun ein Ingenieurbüro beauftragt, um die Ergänzungen vorlegen zu können. „Es liegt noch ein gutes Stück Weg vor uns“, glaubt Geisenhofer.
So viel steht fest: Sollte das Projekt verwirklicht werden, würde Gmund mindestens 3,5 Jahre lang in einer Mega-Baustelle versinken. „Jetzt, wo wir unsere Ortsmitte neu auf die Füße stellen, wäre diese irrsinnige Baustelle eine Katastrophe“, sagt Besel, der dem Projekt insgesamt viel kritischer gegenübersteht, als dies bei seinem Vorgänger erkennbar war. Besel sieht drei gravierende Nachteile: Das touristische Wegenetz wäre jahrelang gestört, die lange Bauzeit würde Gmund über die Maßen belasten, und zudem würde das bisher harmonische Bild des Seeufers nachhaltig zerstört.
Besel ist überzeugt, dass das geplante System des Hochwasserausgleichs, das in ähnlicher Weise am Thunersee in der Schweiz etabliert wurde, nicht für den Tegernsee tauge. „Die Situation ist nicht vergleichbar“, sagt Besel. In der Schweiz befinde sich das Einlaufsystem in einem Hafenbecken mit Bahnhof am Ufer. „In Gmund geht es um einen Natur- und Freizeitbereich mit bisher ungestörtem Landschaftsbild.“ Dann wird er noch deutlicher: „Kosten und Nutzen sind hier nicht ausgewogen. Das ist eigentlich ein Fall fürs Schwarzbuch. Besel plant für April ein Treffen mit Vertretern des WWA. Dann soll alles ausdiskutiert werden.
gr