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Mit dem Zeppelin unterwegs überm Tegernsee

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Luftschiffmeisterschaft Tegernsee 2015
Pilot Helmut Seitz ging mit Merkur-Mitarbeiter Marco Mach auf Probefahrt über dem Tegernsee. Dort findet ab Freitag bis Mittwoch die Erste Deutsche Luftschiffmeisterschaft statt. © Andreas Leder

Rottach-Egern - Die 1. Deutsche Luftschiff-Meisterschaft startet am Freitag am Tegernsee. Wir durften vorher mit Pilot Helmut Seitz mitfahren - und spüren: Der Mythos Zeppelin ist ungebrochen.

Das geht ja gut los. Helmut Seitz, 60, drückt den Zündknopf des Zeppelins. Der Motor ruckelt kurz. Mehr nicht. Beim zweiten Versuch: das gleiche Bild. Das Ganze erinnert an das Starten eines kalten Trabants in der früheren DDR. „Stimmt“, sagt Seitz in weichem Schwäbisch, „wir benutzen wie der Trabi einen Zweitakt-Benzingemisch-Motor.“ Das riecht man auch. Beim dritten Mal springt er endlich an, rattert vor sich hin und setzt den Propeller in Bewegung. Ein süßlich-stechender Geruch tränkt sofort die winterlich klare Morgenluft auf der großen, taubedeckten Wiese am Südufer des Tegernsees. Wir sind bereit zum Start. Ab in die Lüfte!

Fotos: Zeppelinfahrt über den Tegernsee

Helmut Seitz ist schon seit Jahren leidenschaftlicher Zeppelin-Pilot. Er ist einer der wenigen in Deutschland, außerdem ist er Ausbilder und Initiator der 1. Deutschen Luftschiff-Meisterschaft, die am Freitag im Tegernseer Tal beginnt. Wir dürfen mit ihm vorab zu einer Testfahrt in die Luft gehen. Eine Dreiviertelstunde, bevor wir abheben, biegt Seitz gerade im Sonnenmoos in Rottach-Egern im Kreis Miesbach um die Ecke – nur mit einem kleinen Pkw-Anhänger im Schlepptau. Aha, zusammengefaltet nimmt ein Zeppelin gar nicht so viel Platz weg, die Himmelsgiganten bestehen aus viel heißer Luft. Aber das weiß jedes Kind.

Wer den Zeppelin sieht, winkt oder macht ein Handy-Foto

Seine wahren Ausmaße zeigt der Zeppelin das erste Mal ausgebreitet auf der Wiese liegend: 41 Meter ist die gewebte, hochreißfeste Kunststoff-Hülle lang. Ihr Durchmesser: 12,5 Meter. Fassungsvermögen: 3000 Kubikmeter. Der Westallgäuer aus Kißlegg wird von einem vierköpfigen Team unterstützt, darunter Pia Marie Witt, 38, die einzige Zeppelin-Pilotin im Land. Gemeinsam hängen sie die Hülle an das Metall-Gestell einer offenen, nur vorn plexiverglasten Vier-Mann-Gondel und blasen zunächst mit einem Ventilator Kaltluft hinein. Später schalten sie zum Erwärmen die Brenner zu, verbunden mit drei großen Propan-Flüssiggasflaschen. Der weiße Wal taucht aus der Wiese auf. Die Anspannung steigt. Und der Motor stockt. Jetzt nur nicht an die Bilder aus dem Sommer 2014 denken, die das Luftschiff von Seitz mit einem Knick in der Hülle knapp über Würzburg zeigen. Ein Druckverlust zwang ihn damals zur Notlandung auf einem Getreidefeld. „Ein Einzelfall. Luftschiffe sind absolut sicher“, beruhigt er.

Video: Fahrt über Rottach-Egern mit dem Zeppelin

Nun also sitzt Helmut Seitz rotbejackt vorne rechts in der Gondel. Anschnallen. Kopfhörer auf. Funk an. Leinen los. Und ab. Schnell geht’s nach oben – die schmucken Häuser von Rottach-Egern schrumpfen auf Puppenformat. Aus ihnen kommen immer mehr Miniatur-Menschen in gepflegte Vorgärten gelaufen, blicken gen Himmel und winken. Spielzeugautos, so sieht das von oben aus, bleiben am Straßenrand stehen. Fahrer steigen aus und zücken Handykameras. Auch wenn Zeppeline heute viel von ihrer immensen Bedeutung Anfang des 20. Jahrhunderts verloren haben. Und sie schon lange nicht mehr zur Personenbeförderung oder militärisch, nur noch touristisch, als Kameraplattform und – wie Ballone – vor allem als Werbeträger eingesetzt werden. „Der Mythos Zeppelin ist ungebrochen. Luftschiffe sind einfach sympathische Riesen“, sagt Seitz.

Spektakulär dürften die Massenstarts über dem Tegernsee werden

Dass man mit ihnen viel mehr anstellen, sogar Sport treiben kann, das will der Schwabe während der offenen Deutschen Meisterschaft zeigen. Die Idee dazu trägt der mehrfache WM-Teilnehmer zehn Jahre mit sich herum. Bis kommenden Mittwoch kämpfen acht Piloten und Pilotin Witt um den Titel – sieben aus Süd- und Westdeutschland (in Bayern gibt es keine Piloten), dazu ein Pole und ein Litauer. Es geht für sie um Geschwindigkeit und auch um Geschicklichkeit, etwa beim Zielwerfen oder beim Objekte anfliegen. Eine andere Disziplin heißt Punktlandungen.

Spektakulär dürften vor allem die Massenstarts und das Wettrennen quer über den Tegernsee werden – wenn das Wetter mitspielt. Allgemein sind Heißluftschiffe wetterunabhängiger als Heißluftballone. „Nur bei starkem Schneefall und Nebel können wir nicht starten, genauso bei Windgeschwindigkeiten über 15 km/h“, sagt Seitz. Gerade in einem Tal im Winter seien die Winde kalkulierbar. Deshalb hat er den Tegernsee als Austragungsort gewählt, zumal er die Region als langjähriger Gast des Ballonfestivals Montgolfiade bestens kennt.

Während der Testfahrt verläuft alles ruhig. Fast unspektakulär. 400 Höhenmeter zeigt das Steuerpult an, 150 müssen es immer sein. Tiefer runter dürfen die Luftschiffe nicht. Geschwindigkeit: 30 km/h, maximal möglich sind 50. Zeit, den Blick über den See und die umliegenden Berge schweifen zu lassen – der Hirschberg, der Wallberg. Es ist ein Traum. Wenn man als Passagier in der darunter hängenden Gondel des Luftschiffs sitzt, dann merkt man gar nicht, welche Ausmaße dieses Gefährt hat. Man sitzt – und genießt. Der Wind pfeift. Hin und wieder tritt Seitz auf das rote Pedal vor ihm, schaltet somit die gekreuzten Brenner über ihm zu, bläst Wärme in die Hülle – auch ein bisschen in die Gondel – und lässt das Schiff höher steigen. Über zwei herabhängende Lenkseile steuert er in Handschuhen die Seitenleitwerke ganz hinten. Der antreibende Trabi-Motor, der natürlich ein Flugzeugmotor mit 65 PS ist, rattert zum Glück immer noch, wenn auch nicht gerade seelenberuhigend. Gas gibt Seitz mit einem Handhebel rechts neben ihm – wie bei einem Traktor.

Für Familie hat Pilot Helmut Seitz keine Zeit

Und wenn der Motor doch mal ausfällt? „Dann schweben wir einfach weiter wie im Ballon“, erklärt er in seiner angenehm-entspannten Art per Funk. Antriebsmotor und Steuermöglichkeit sind die zwei Hauptunterschiede des Luftschiffes zum Ballon – und genau die Gründe, weshalb Seitz 1998 auf den Zeppelin umstieg. Angefangen hatte der gebürtige Esslinger als Motorflieger. 1985 machte er seine Ballonlizenz, 1989 gründete der Bürokaufmann sein Luftfahrtunternehmen. Heute besitzt er drei der neun in Deutschland fahrenden Zeppeline, Preis pro Stück: rund 230.000 Euro. Außerdem gehören ihm vier Heißluftballone. Seitz betreibt die einzige deutsche Schule, in der man sich 60 Theoriestunden und 16 Praxisstunden lang zum Zeppelinpiloten ausbilden lassen kann. Und der Mann ist ständig auf Achse, nimmt an Ballonevents wie eben der Montgolfiade teil, überfährt als Werbeträger den Karneval in Köln oder den Europapark in Rust. Man braucht dafür viel Idealismus. Für Familie bleibt wenig Zeit. „Ich bin wohl der letzte Junggeselle in Süddeutschland“, sagt er und lacht.

Ein Luftschiff müsse übrigens nicht zwingend fahren, „es darf auch fliegen. Das ist nach neuem europäischen Recht sogar die korrekte Bezeichnung“. Korrekt ist ebenfalls, dass die ersten und eigentlichen Zeppeline starr und gasgefüllt waren. An zwei Zeppelin-Überfahrten erinnert er sich besonders gern: Zum einen über das frühere Regierungsgelände in Bonn. Zum anderen über die Altstadt von Dresden mit Semperoper und Zwinger. Bekanntheit erlangte Helmut Seitz neben seiner kürzlichen Würzburger Notlandung vor allem 2000. Da nahm er an der Weltmeisterschaft im österreichischen Schielleiten teil und lag gar nicht so schlecht im Rennen – bis der Kirchturm plötzlich immer näher kam. Er wollte den Wendepunkt möglichst eng umfahren, wurde dabei jedoch von einer Windböe erfasst, blieb an der Turmspitze hängen und riss sich die Hülle auf. Zwar gelang ihm auch hier noch eine sichere Landung – die WM war jedoch gelaufen.

Bei der Landung wird's plötzlich spannend

Ein Kirchturm ist gerade nicht in beängstigender Nähe. Doch der Wind frischt nach einer halben Stunde auf, die Fahrt wird unruhiger. Zeit zur Landung. Doch was passiert denn jetzt? Ziemlich schnell kommt der Boden näher. Immer näher. Rückenwind. Na, klasse. „Sollen wir dich stoppen?“, fragt Pia Marie Witt per Funk und meint damit, ob sie versuchen sollen, die Halteleinen an der Zeppelinnase zu ergreifen. Was gar nicht so einfach ist. „Nein“, antwortet Seitz und setzt schon auf, hoppelt kurz über den Acker und steigt wieder auf, als mache er das täglich. Nach einer kleinen Zusatzschleife schaltet er den Motor aus, um jetzt ganz sanft zu landen. „Der Aufprall war gewollt“, sagt er lachend. „Zum Abbremsen.“ Puh, nochmal gutgegangen. Dann lässt Seitz die Luft raus und der weiße Wal taucht langsam wieder in die Wiese ein.

Von Marco Mach

Ob, wann, wo und in welchem Wettbewerb die Zeppeline bei der Ersten Deutschen Luftschiffmeisterschaft am Tegernsee starten, lesen Sie immer aktuell in unserer Übersicht.

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