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Freizeitdruck am Tegernsee: Arbeitskreis dokumentiert die fatalen Folgen für die Natur

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Von: Gerti Reichl

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Weist nach starker Nutzung deutliche Erosionen auf: der Jägersteig im Bereich zwischen Halserspitz und Schildenstein.
Weist nach starker Nutzung deutliche Erosionen auf: der Jägersteig im Bereich zwischen Halserspitz und Schildenstein. © Arbeitskreis „Haut der Berge“

Der Andrang der Menschen in den Bergen des Tegernseer Tals geht nicht spurlos an der Natur vorüber. Die Auswirkungen zu dokumentieren, das hat sich der Arbeitskreis „Haut der Berge“ zur Aufgabe gemacht.

Tegernseer Tal – Bergsteigen und Outdoor-Aktivitäten sind angesagt – erst recht seit Corona. Das bekommt auch die Natur im Tegernseer Tal zu spüren. Jeder noch so kleine Weg wird ausfindig gemacht und dann für Nachahmer in einschlägigen Outdoor-Apps veröffentlicht. Tag oder Nacht macht für modern ausgerüstete Freizeitsportler kaum noch Unterschied – zum Leidwesen der Tierwelt, die durch Geräusche und Stirnlampen gestört wird.

Dass im Mangfallgebirge inzwischen Ranger unterwegs sind, die Verbote kontrollieren und die Menschen sensibilisieren für richtiges Verhalten ist ebenso eine Reaktion der Naturschutzbehörden auf diese Entwicklung wie die Einrichtung von Wildschutzzonen. Ein etwa 320 Hektar großes Areal im Rotwandgebiet wurde gerade erst eingerichtet. Will heißen: Betretungsverbot von Dezember bis Juli.

Arbeitskreis will Auswirkungen des Tourismusgeschehens dokumentieren

Der Arbeitskreis „Haut der Berge“, eine zehnköpfige Gruppe um Gründerin Susanne Heim, dem das Tegernseer Tal mit seinen Bergen und dem Bergwald am Herzen liegt, hat sich inzwischen auch zur Aufgabe gemacht, die oft irreversiblen Auswirkungen des Tourismusgeschehens im Tegernseer Tal auf Wildtiere und Natur zu dokumentieren. Mit drei Beispielen machen die Mitglieder nun auf ihre Arbeit aufmerksam.

Über neuen Jägersteig geht‘s zum Zelten auf den Gipfel

Im Blick hat der Arbeitskreis einen Jägersteig, der vor etwa zwei Jahren von den Staatsforsten unterhalb von Halserspitz und Schildenstein angelegt wurde. Eigentlich mit dem Zweck, durch verstärkten Wildabschuss Schutzwaldsanierung und Naturverjüngung verbessern zu können. Der Verein „Wildes Bayern“ hatte den Steigbau sogar bei der Unteren Naturschutzbehörde des Landratsamts zur Anzeige gebracht, weil er fürchtete, dass ein Ringschluss zu bestehenden markierten Wanderwegen entstehen werde. Bei einer Begehung durch den Arbeitskreis bestätigte sich neben einer starken Erosion genau das: „Wir erfuhren, dass dieser Steig inzwischen auf verschiedenen Karten eingezeichnet ist und auch im Internet zum Runterladen zur Verfügung steht“, berichtet Susanne Heim. Dass der als „Geheimtipp“ gehandelte Steig nicht nur zum Wandern genutzt werde, sondern auch, um auf einen stillen und abgelegenen Gipfel zum Zelten zu gelangen, sei ein Unding.

Wildtiere werden in ihren Rückzugsorten Tag und Nacht gestört

„Der Wald verliert wieder einen seiner letzten ruhigen Rückzugsorte, wird in der Dämmerung und nachts durch Geräusche, Stirnlampen und Lagerfeuer gestört, was letztlich zu noch mehr Verbiss im Wald führt, weil sich das Wild nicht mehr auf Grasflächen traut.“ Der Arbeitskreis schlägt vor, in Zukunft auf den Bau neuer Steige zu verzichten. „Nur so können letzte Ruheoasen für das Wild erhalten bleiben.“

Abgelegenes Waldstück in Kreuther Bergen wird als „Geheimtipp“ gehandelt

Mit Entsetzen hatte Susanne Heim schon 2018 zur Kenntnis genommen, dass ein abgelegenes Waldstück in den Kreuther Bergen als „Geheimtipp“ beworben wurde. In Folge, berichtet Heim, entdeckten sogar Canyoning-Fans das Gebiet, eine 20-köpfige Gruppe mit Neopren- und Kletterausrüstung sei einem Mitglied des Arbeitskreises bei der Dokumentationsarbeit sogar begegnet. „Muss das wirklich sein, dass man die Leute bewusst in so sensible Bereiche führt“, fragt sich der Arbeitskreis.

Staatsforsten: Müssen sensibler werden an verschiedenen Orten

Jörg Meyer, Forstbetriebsleiter bei den Staatsforsten Schliersee, pflichtet ihr bei. Man könne freien Naturgenuss nicht verbieten, „aber wir müssen sensibler werden an verschiedenen Orten. Wir hatten schon immer eine hohe Besucherfrequenz in unserer Region, Corona hat es noch verstärkt“. Für wenig bekannte Reservate müsse man nicht auch noch Werbung machen. Als Konsequenz stellt Meyer klar: Canyoning-Touren dürften ohne Genehmigung der Forstbetriebe nicht durchgeführt werden.

Gams-Beobachtungsstation wird als Übernachtungsmöglichkeit missbraucht

Mit der Eröffnung der Gams-Beobachtungsstation am Grubereck im vergangenen Dezember wollten die Staatsforsten Naturliebhabern ein ganz besonderes Erlebnis ermöglichen: den Ausguck in den Lebensraum von Gämsen zwischen Plankenstein und Risserkogel. Was tatsächlich hier bisweilen vor sich geht, nimmt der Arbeitskreis erschrocken zur Kenntnis: „Im Sommer wird die Schutzhütte zum Übernachten genutzt, oder es wird in der Nähe der Schutzhütte im Schlafsack übernachtet, um bei aufkommendem Gewitter gleich Schutz in der kleinen Hütte zu finden.“

Wird zum Übernachten missbraucht: der Gams-Ausguck am Grubereck, hier bei der Eröffnung mit Jörg Meyer von den Staatsforsten (l.). 
Wird zum Übernachten missbraucht: der Gams-Ausguck am Grubereck, hier bei der Eröffnung mit Jörg Meyer von den Staatsforsten (l.).  © Archiv mm

Abgesehen davon würden Wanderer mit der Stirnlampe absteigen, wenn sie die letzte Wallberg-Gondel verpassen. Bis vor Kurzem sei dies sogar noch durch eine Beschreibung im Internet gefördert worden, wo es hieß: „Mit ein bisschen Glück können Sie die Tiere am Vormittag oder am Abend auch am Fuße des Risserkogels bei der Nahrungssuche beobachten.“ Die Gehzeit von der Bergbahn bis zum Beobachtungspunkt von anderthalb Stunden hatten so manche Wanderer dann im Rausch der abendlichen Stimmung wohl falsch eingeschätzt.

Staatsforsten ließen Hinweis auf abendliche Beobachtungsmöglichkeit streichen

Weil Forstbetriebsleiter Jörg Meyer ein offenes Ohr hat für die Anregungen des Arbeitskreises, ließ er den Hinweis auf die abendlichen Beobachtungsmöglichkeiten inzwischen aus der Internetseite streichen. Auch möchte er an der Hütte Schilder anbringen, wonach das Campieren zum Schutz der Wildtiere verboten sei. Meyer stellt klar: „Es ist nicht die Masse, die sich falsch verhält, aber das Wenige hat zugenommen.“

Dem Arbeitskreis geht es mit seinen Beispielen nicht ums Kritisieren: „Wir wollen ein Bewusstsein schaffen, dass inzwischen jedes neue Freizeitangebot in den Bergen oft irreversible Folgen für Natur und Wildtiere hat. Fest steht: Es wird immer enger.“

gr

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