Die Zielscheiben noch selbst aufgeblasen

Marienstein - Olympische Erinnerungen: Claus Gehrke aus Marienstein schrammte 1976 in Innsbruck mit Biathlonstaffel an der Bronzemedaille vorbei
Nur Blech. Die olympische Bronzemedaille knapp zu verpassen, ist heutzutage eine der größten sportlichen Tragödien. Der vierte Platz zählt nichts, der Vierte ist erster Verlierer. Claus Gehrke kann das alles nicht verstehen. Der Mariensteiner schrammte bei den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck mit der deutschen Biathlonstaffel nur um genau 3,15 Sekunden an Bronze vorbei. „Die damalige Zeit war anders. Das Ziel war, irgendwie dabei zu sein“, sagt der heute 67-Jährige. „Die Olympischen Spiele waren ein einmaliges Erlebnis.“ Und über die verpasste Bronzemedaille hat sich Gehrke nicht lange geärgert. „Die anderen waren einfach besser.“
Die anderen, das waren in diesem Fall die UdSSR, Finnland und die DDR mit dem jetzigen Herren-Bundestrainer Frank Ullrich. Die deutsche Staffel schickte Gehrke, den Kreuther Heinrich Mehringer, Gerhard Winkler und Josef Keck ins Rennen. Die vier lieferten sich mit der DDR einen heißen Kampf um Platz drei. Keck hatte beim Rennen in Seefeld nicht den besten Tag erwischt, er musste dreimal in die Strafrunde. Trotzdem hatte Gehrke als Schlussläufer noch die Chance, der deutschen Staffel Bronze zu sichern. Nach dem ersten Schießen lag der Mariensteiner auf Platz drei, nach dem zweiten auch. „Da hab’ ich aber schon aus dem Augenwinkel gesehen, dass Manfred Geyer zur gleichen Zeit vom Schießstand weggeht“, erinnert sich Gehrke. Und der Schlussläufer der DDR – mittlerweile Trainer der Schweizer Biathleten – hatte ganz offensichtlich das bessere Material. Damals wurde noch in der klassischen Technik gelaufen, und Geyer hatte ganz einfach schnelle Skier. „Dazu hat er sich gequält wie ein Hund“, meint Gehrke. „Kurz vor dem Ziel hab’ ich dann noch einen Stock-Einfädler gehabt und bin gestolpert. Damit war die Sache gegessen.“ Die Bronzemedaille war weg. Um 3,15 Sekunden.
Für Gehrke bleiben vor allem die tollen Erinnerungen. „Es war ein Jugendtraum, einfach nur einmal bei der Eröffnungsfeier für Deutschland einzulaufen. Und dieser Traum ist wahr geworden.“ Die Biathleten waren zwar in Seefeld und nicht in Innsbruck untergebracht. Die olympische Stimmung kam aber trotzdem rüber. „Einmal haben uns die anderen Athleten besucht. Da stand auf einmal Rosi Mittermaier vor mir.“ Der Biathlonsport steckte zu dieser Zeit in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Das Training war nicht sehr professionell, Claus Gehrke musste sich vieles selbst beibringen. Am Anfang schoss der Wiesseer noch mit schwedischen Großkaliber-Gewehren, die „Karl Gustav“ hießen, einen Riesenlärm machten – und nichts trafen. „Wir haben erst mit der Zeit entdeckt, dass die Gewehre Schuld waren und sind dann umgestiegen“, sagt Gehrke.
Bei den Olympischen Spielen in Innsbruck schossen die Biathleten zum ersten Mal auf Tonscheiben – rot statt schwarz, und im Viereck statt in einer Reihe angeordnet. Vorher waren die Ziele noch Luftballons gewesen. „Die haben die Athleten am Abend vor dem Wettkampf selbst aufgeblasen. Wenn mehr Luft drin war, waren sie natürlich auch größer und leichter zu treffen. Und wenn es in der Nacht kalt war, hat es sein können, dass die Luftballons leicht angefroren waren. Dann sind sie bei Treffern nicht zerplatzt, sondern ganz langsam geschrumpft.“
Verrückte Geschichten aus einer schönen Zeit. Aber Gehrke wollte nicht sein ganzes Leben dem Biathlon widmen. Er arbeitete nach seiner Karriere als Skibauer und war der erste, der einen Waben-Ski entwickelte. Anschließend war Gehrke Leiter der Bergsport-Abteilung bei Sport Schuster. In seiner Freizeit klettert er gerne, geht Bergsteigen oder Langlaufen. Wie die Biathleten hat der 67-Jährige mittlerweile die Skating-Technik für sich entdeckt. „Das geht viel schneller, ich steig’ nicht mehr auf die klassische Technik um“, sagt Gehrke lachend.
Die Biathlon-Staffel der Männer in Vancouver hat er sich gestern zu Hause im Fernsehen angeschaut: „Sie haben eine Medaille verdient.“ Ein bisschen mehr Glück als er selbst 1976 werden Michi Greis & Co. aber brauchen. cf