der Schönach-Schule in Altenstadt
Dann eine verwegene und verruchte Idee der Musiker: Sie organisieren im Fasching einen „Ball der tiefen Dekolletés“. Die Oben-ohne-Welle ist von München bis nach Schongau geschwappt. Plakate werden in und rund um Schongau aufgehängt, werben für das Vergnügen.
Der Chefredakteur der Schongauer Nachrichten, Georg Hertle, widmet den tiefen Dekolletés am 5. Februar 1966 die komplette Titelseite. „Einem Teil der Schongauer Bürger geht dieser Schritt in Richtung auf die Oben-ohne–Mode allerdings zu weit. Sie sehen die allgemeine und öffentliche Sittlichkeit bedroht und schreiten dementsprechend zu Gegenmaßnahmen“, ist fettgedruckt zu lesen. So bietet ein anonymer Anrufer dem Charly 500 D-Mark, wenn der Tanzabend abgesagt wird. Fehlanzeige. Stadtpfarrer Adalbert Keis wettert in allen Stimmlagen auf seine Schäfchen ein, in dem er von dem „neuartigen Vergnügen“ warnt. Und in der Strumpffabrik Bellinda wird per Betriebsrat den Mitarbeitern verboten, diese Veranstaltung zu besuchen.
Nur Bürgermeister Otto Ranz und Oberregierungsrat Kuhn bleiben gelassen und geben grünes Licht. Die Genehmigung verlangt nur, Jugendliche unter 18 Jahren auszuschließen. Der Wirt wird aus allen Richtungen mit Drohungen bombardiert, bleibt aber gelassen. Jetzt geht es in Richtung Uhren & Schmuck Anderl. Bei ihm ist im Schaufenster der 1. Preis für das tiefste Dekolleté ausgestellt: ein Brillantring. Anderl fühlt sich bedrängt und informiert per Inserat und Schaufensteraushang, dass er mit der Veranstaltung nichts am Hut hätte. Bei ihm sei nur der Ring gekauft worden. Aber für die super Werbung bedankt er sich höflich.
Aus dem tiefsten Dekolleté wird ordnungsamtmäßig schließlich das schönste, dann geht die Veranstaltung über die Bühne. Bis 22 Uhr fast gähnende Leere in der Traube, dann ein übervoller Saal mit leicht freizügigen Ausschnitten und vielen Stielaugen. Die Siegerin kommt aus Peiting und bekommt den Ring.
Die Jungs zieht es nach München. In der Crazy Alm am Deutschen Museum, wo sie regelmäßig auftreten, fragt sie Sänger und Produzent Teddy Parker (Nachtexpress nach St. Tropez), ob sie mit ihm eine Schallplatte aufnehmen wollen. Die Bedingung: ein neuer Bandname. Aus den „Red Jackets“ werden 1967 „The Lovers“
In der neuen Formation spielen Peter Repper (Bass), Gerd „Nobody“ Niemand (Gitarre), Simon Hammerschmid (Klarinette), Michael Lommer (Trompete & Keyboard beidhändig) und am Schlagzeug Charly Walter. Die Titel auf ihrer LP sind u.a. „Monia“ von den Flippers, „Day Dream Beliver“ (Monkees), „Judy in Disguise“ (John Fred & his Playboy Band) und der brandneue Song „The Letter“ (The Box Tops). Aus zuverlässiger Quelle ist bekannt, dass Charly vor diesem Stück immer eine halbe Packung Rothändle geraucht hat, um der Stimme von Leadsänger Alex Chilton nahe zu kommen.
Falk Volkert, Besitzer des Bayerischen Hofs, wird auf die Jungs aufmerksam. „Nicht weil wir so gut waren, sondern weil wir die beste Stimmung in den Saal zauberten“, erklärt Charly. So steigen sie zur Hauskapelle auf. Weil Volkert auch in Kitzbühel die „Tenne“ leitet, lockt er „The Lovers“ für eine ganze Faschingssaison in den Wintersportort. Bald ist die Truppe als „vogelwild“ bekannt. Leuchtet ein, wenn man alte Fotos sieht: Da laufen sie mit Schwimmflossen und Taucherbrille im Gänsemarsch halbnackt durchs Städtchen. Der Wirt gesteht, dass ihm die „Lovers“ 30 Prozent mehr Umsatz als andere Bands bringen.
In der „Tenne“ wird die legendäre Mitternachtsshow der „Lovers“ geboren. Gogo- Girls tanzen auf den Querbalken, Charly Walter legt einen Striptease auf Rollschuhen aufs Parkett, Peter Repper wird von ihm auf Rollschuhen in einer neuen Version des „Barbier von Sevilla“ eingeseift. Nichts wird vorher einstudiert, alles hat Premiere auf der Tanzfläche.
Um in den Pausen mit den vielen Skihaserln anbandeln zu können, organisiert die Gruppe eine Schongauer Gauklertruppe von vier Jungs, die im Fasching unter dem Namen „The Roselli Brothers“ auftreten. Mit Flick-Flack, Salti und Handstandlaufen wird nun auch die „Tenne“ beglückt.
Ein besonderer Auftritt war Silvester 1974: John Mayall ist Gast in der „Tenne“. Genau dieser John Mayall, der vor wenigen Wochen in der Münchner Muffathalle aufgetreten ist. Mittlerweile 83 Jahre alt. Gitarrist Nobody erkennt ihn und lädt ihn zum Mitspielen ein, John sagt unkompliziert zu. Unvergessen, wie auch Nobody, der leider viel zu früh stirbt. Die „Lovers“ lösen sich 1983 auf.
Hans-Helmut Herold