„Müssen wahnsinnige Schmerzen haben“: Zahnärztin reist nach Gambia und behandelt Patienten kostenlos

Sie bastelte Brücken aus Kunststoff und Metalldraht und schenkte so rund 50 Menschen in Gambia ein neues Lächeln. Die Starnberger Zahnärztin Dr. Nicole Gsell arbeitete 16 Tage im kleinsten Land Afrikas.
Berg – Die We-Care-Praxis von Dr. Nicole Gsell und Dr. Holger Wenz liegt am beschaulichen Fischackerweg in Berg. Wenn Gsell dort in ihren großzügigen Behandlungsräumen aufs Fußpedal steigt, fährt der Patientenstuhl genau an die Position, wo sie ihn haben will. „Auf diesen Luxus habe ich mich wieder gefreut“, sagt die 54-jährige Zahnärztin. Dass dies überhaupt ein Luxus ist, wurde ihr in einem der ärmsten Länder der Welt bewusst.
16 Tage verbrachte Gsell zuletzt in Gambia. Dort sterilisierte sie ihre Instrumente im Kochtopf auf dem Herd, behandelte Menschen stundenlang auf Plastikstühlen, bastelte künstliche Zähne aus Drähten und Kunststoff. Sie nahm rund 50 Menschen den Dauerschmerz und schenkte ihnen wieder ein strahlendes Lächeln.
Zahnärztin aus Bayern behandelt Menschen in Gambia
Gambia, das kleinste Land Afrikas, ist von der Fläche her vergleichbar mit Niederbayern – allerdings leben dort mit 2,6 Millionen doppelt so viele Menschen. Zehn Zahnärzte gebe es im ganzen Land, erzählte man Gsell dort. Allein in der Gemeinde Berg gibt es fünf Praxen. Den Notstand etwas lindern wollen Initiativen wie die Gambia-Hilfe Gütersloh. Sie vermittelte Gsell, die in Murnau lebt, nach Westafrika, genau gesagt nach Changally, ein Dorf nördlich des Flusses Gambia im Osten des Landes. Der Ort ist nicht ans Stromnetz angeschlossen, die „mobile Behandlungseinheit“ mit Absaugegeräten und anderen konnte sie aber trotzdem nutzen. Die von der Gütersloher Organisation betreute Wolters-Klinik im Ort wird per Solaranlage versorgt.

Nicole Gsell schlief in einem kleinen Zimmer mit Plumpsklo. Tagsüber empfing sie in Dauerschleife Patienten. Dass sie kommt, war im Radio angekündigt worden.
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Behandlung von Kindern: „Der Gebisszustand ist überwiegend katastrophal“
Die ersten beiden Tage hatte sie in einem Kindergarten im Großraum der Hauptstadt Banjul verbracht. „Der Gebisszustand ist überwiegend katastrophal“: So sollte sie es später in einer schriftlichen Zusammenfassung für die Gambia-Hilfe formulieren. Von 20 Kindern hätten lediglich drei keine Karies gehabt. Es fehle grundsätzlich an Aufklärung über Hygiene und Ernährung. Später in Changally zog sie jede Menge verfaulte Zähne, oft bearbeitete sie nur noch stark entzündete Wurzelreste. „Die Menschen müssen wahnsinnige Schmerzen haben“, sagt Gsell.
Eine Frau behandelte sie mehr als fünf Stunden, zog ihr sieben Zähne und setzte ihr zwölf Füllungen ein. Sie war extra mit dem Bus aus der Hauptstadt angereist, eine sechsstündige Fahrt. Aber der Besuch bei Dr. Gsell hat sich gelohnt. Wie für alle anderen: Daheim in der Berger Praxis zeigt die Ärztin Vorher-Nachher-Bilder, geschlossene Zahnreihen, die vorher lückenhaft waren. Man müsse kreativ sein mit den rudimentären Mitteln vor Ort, sagt Gsell. Professionelle Zahnprothesen standen nicht zur Verfügung, aber eben Kunststoff und Drähte.
„Kleiner Tropfen auf einem sehr heißen Stein“: Viele können den Zahnarzt-Besuch nicht leisten
Schon das notwendige Ziehen der Zähne konnten sich die Gambier nicht immer leisten. Gsells Patienten zahlten 100 Dalasi, also 1,53 Euro, für einen Zahn. In der nächsten Stadt, die für viele nur mit einem Auto, das sie nicht haben, erreichbar wäre, kostet das etwa sechs Euro. Gsell versorgte alle Patienten, so gut es ging, schon weil es aus medizinischer Sicht sinnvoll war – egal, ob die Patienten alles bezahlen konnten oder nicht. Sie arbeitete ohnehin unentgeltlich, übernahm auch den Flug selbst. Die Behandlungsgebühren gingen an die Wolters-Klinik.
Bei allem, was sie geschafft hat, bei all der Dankbarkeit, die sie erfahren hat, bleibt für Gsell das Gefühl, nicht ausreichend helfen zu können. „Das war nur ein ganz kleiner Tropfen auf einem sehr heißen Stein und manchmal frustrierend.“ Deshalb hat die 54-Jährige einen Entschluss gefasst: Ende des Jahres fliegt sie noch mal nach Gambia. Sie sagt: „Ich bin noch nicht fertig mit Changally.“
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