Ergreifendes aus dem Lockdown: Preisverleihung des Gautinger Literaturwettbewerbs

502 Autorinnen und Autoren hatten teilgenommen am Gautinger Literaturwettbewerb. Unter dem Motto „#Wir“ schickten sie Gedichte und Lieder ein. Bei der Feier am Freitagabend im Bosco wurden nun fünf, teils per Video zugeschaltete Preisträger geehrt. Die Jüngste war gerade mal acht Jahre alt und stammt aus Gauting.
Gauting - Während des Lockdowns hatten sich 502 Autorinnen und Autoren am Gautinger Literaturwettbewerb unter dem Motto „#Wir“ beteiligt. Bei der Feier am Freitagabend im Bosco wurden fünf, teils per Video zugeschaltete Preisträger geehrt. Die Jüngste war gerade mal acht Jahre alt und stammt aus Gauting: Mit ihrem Kurzgedicht „Wir“ hatte Martha Trommer (8) die siebenköpfige Jury begeistert und gewann in der Kategorie Kinder.
Die siebenköpfige Jury, mit dabei auch Schriftsteller Gerd Holzheimer, hatte die 502 eingereichten Texte zum Thema „#Wir“ allesamt anonym gesichtet und bewertet. Profi-Sprecherin Katja Schild las das Preisträger-Gedicht in der Kategorie Kinder: „Es war einmal ein Wir. Das Wir gehörte dir, weil wir uns gestritten haben. Warum? Das kann ich nicht sagen. Eines Tages kam es zurück und sagte: Rück‘ mal ein Stück.“ Kurz und pfiffig hatte die Gautingerin Martha Trommer das Elend dieser Pandemie in ihrem Gedicht „Es war einmal ein Wir…“ komprimiert, würdigte Juror Werner Gruban das Werk der Schülerin. Unter Applaus betrat die Freude strahlende Martha die Bühne, um ihre Urkunde entgegenzunehmen.
„Der Stern irrt sich“: Das Publikum hielt den Atem an, als Katja Schild diese spannende Erzählung über ein Tabuthema las. Eine junge Frau, „die keinen anderen sieht als sich selbst“, beschließt: „Ich werde mir das Leben nehmen.“ Im Lift zum zwölften Stock steigt eine andere zu – die die Einsame wahrnimmt, deren Kleid, deren Haar… Statt in den Abgrund zu springen, löst die junge Frau oben „im Wind“ ihren Zopf: „Ich nahm einen tiefen Atemzug…“ Ein ergreifender, magisch-lyrischer Text, so Laudatorin Andrea Pfannes. Sheeren Saida, die Autorin, war per Video zugeschaltet. Die gebürtige Syrerin (21), Abiturientin aus Hamburg, spricht nach fünf Jahren in Deutschland makellos Deutsch und will Journalismus studieren. Das könne er ihr nur wünschen, gratuliert Werner Gruban der Literatur- Preisträgerin in der Kategorie „Jugend“.
„90 Tage“ in Kuba, eingesperrt mit einem Du in einem Zuhause mit bröckelnden Wänden, wo einen die Hitze erschlägt, die Luft steht: Minutiös beschreibt Marlies Pahlenberg ihren Zwangs-Aufenthalt. 100 Tage Quarantäne auf Kuba ohne Internet hatten sie zu diesem Text inspiriert, verriet die Autorin ihr „Bilderrätsel vom einsamen Ich und Du“, das – vielleicht – zu einem gemeinsamen Wir findet. Marlies Pahlenberg aus Berlin, die „schon sehr lange schreibt“, wie sie sagte, erhielt für ihren Text den mit 250 Euro dotierten dritten Preis.
„Lockdown“: Katja Schild las die Geschichte vom Albtraum des kleinen Robin, der an der Hand seiner Mutter durch den Supermarkt zieht – und „magische Dinge“ erlebt. Etwa die erstarrte „stolze Fliegenkönigin“, die auf ihrer goldenen Dose mit der feurig scharfen Gulaschsuppe „thront“. Robin blickt auf „starre, steife“ Menschen wie die verstaubte Kassiererin, hört eine weibliche Tonband-Stimme: „Wir danken Ihnen für Ihren Besuch.“ Auf der Suche nach seiner Mutter trifft das Kind auch draußen nur auf erstarrte Lockdown-Menschen… Da erblickt Robin eine Spinnenmutter, die ihr Netz um den Samen auf einem Ahornblatt spinnt: Im Innern des Kokons „sind gelbe, weiche Eier, eng und zärtlich aneinandergeschmiegt, von der Spinnenmutter sanft geschaukelt“. Die Szene zaubert dem Kind ein „ängstliches Lächeln“ ins Gesicht. Dieser gelungene Text „zieht einen sofort in seinen Bann“, erklärt Laudatorin Anna Fichert und erinnere sie an Kafkas „Verwandlung“. Der Verfasser ist per Video aus Ettlingen bei Karlsruhe zugeschaltet: Peter Friedrich, Stipendiat des deutschen Förderkreises für Schriftsteller Baden-Württemberg, gewann mit seiner Erzählung „Lockdown“ den zweiten Preis des Literaturwettbewerbs.
Zum Finale trug Schild den anonym eingereichten Text „Zyklop“ des ersten Preisträgers oder der ersten Preisträgerin vor: „Dein Schatten auf dem Strand…Verzweifelte Gespräche: Nächstes Jahr werde ich nicht mehr da sein. Lass‘ uns Zikaden zählen…Wie viele Sterne zählst du an der Milchstraße?’, fragt das „Walross“ an seiner Seite, „das nicht mehr kämpfen will…“ „Zyklop“ ist die mitreißende „Kaleidoskop“-Erzählung des Abschieds von einem geliebten Menschen, den es nur noch in der Erinnerung gibt, würdigte Buchhändlerin Luitgard Kirchheim den ergreifend komponierten Text. Die Verfasserin ist inzwischen doch bekannt: die Lyrikerin Jennifer de Negri aus München, Gewinnerin des Literaturwettbewerbs. „Machen Sie weiter“, ermunterte Werner Gruban die talentierte Schriftstellerin, die gerade an einem Roman arbeitet.
Text: Christine Cless-Wesle