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Die Cannabis-Pioniere von Herrsching

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Von: Andrea Gräpel

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Cannabis
Medizinisches Cannabis wird vermutlich ab 2022 auch in Deutschland geerntet © dpa

„Bavaria Weed“ ist das einzige Unternehmen in Bayern, das ab sofort medizinisches Cannabis in großen Mengen importieren und verarbeiten darf. Seinen Sitz hat die Firma in Herrsching, produziert und verpackt wird der Rohstoff in Leipheim bei Günzburg.

Herrsching – Die Herstellungserlaubnis ist erst wenige Wochen alt. So frisch, dass Thomas Hoffmann (58) noch keine Zeit hatte, sie in einen Rahmen zu fassen und in seinem Büro an der Gewerbestraße in Herrsching an die Wand zu hängen. Zwei Jahre haben Hoffmann, Stefan Langer (40) und Sebastian Pötzsch (38) auf diesen Moment hingearbeitet, um alle Auflagen zu erfüllen. „Denn wie geht man mit einem Stoff um, der jahrelang mit harten Drogen wie Heroin oder Kokain gleichgestellt wurde und jetzt verschrieben werden darf?“, erklärt Hoffmann. Für die Behörden sei dies genauso Neuland gewesen wie für ihn und seine Partner in der Geschäftsführung.

Erst seit 2017 ist Cannabis auch in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen auf Rezept verfügbar und damit „verkehrsfähig“. Hoffmann und Langer, beide Herrschinger und von Beruf Unternehmensberater und Marketingmanager, waren sich einig: Da mischen sie mit. „Immer mehr Patienten steigen auf alternative Arzneipräparate wie medizinisches Cannabis um, wenn alle gängigen Alternativen bisher keine Linderung bewirkt haben“, sagt Langer und spricht aus eigener Erfahrung. Er ist ADHS-Patient. Cannabis helfe ihm, sich zu fokussieren und besser zu schlafen, sagt er. Die Medikation ist je nach Bedarf dosiert.

Hoffmann und Langer holten Sebastian Pötzsch über die „Patentpoolgruppe“ mit ins Boot. Die Münchner Firma stemmt die Finanzierung mit und begleitet die Unternehmensgründung. „Wir brauchten aber nicht nur geeignetes Personal mit einer extrem weißen Weste“, erklärt Hoffmann, sondern auch einen geeigneten Standort, der allen Richtlinien der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte entspricht. Denn während der Arzneimittelbereich EU-weit harmonisiert worden sei, gelten für Betäubungsmittel in Deutschland sehr spezifische Vorschriften. „Und jedes Bundesland hat noch dazu seine eigene Überwachungsbehörde.“

„Wir haben uns immer als pharmazeutisches Unternehmen gesehen“, sagt Hoffmann. Von Glück spricht er bei der Suche nach einer geeigneten Immobilie für die Produktion, die sie in Leipheim fanden. „Der modernste Bunker Deutschlands“, schwärmt Hoffmann und will bewusst neugierig machen, weil ihn die Geschichte selbst fasziniert. Die Nato-Anlage auf dem Flugplatzgelände stamme aus dem Jahr 1989. Gerade fertiggestellt, wurde sie schon wieder geschlossen, als die Mauer fiel.

Bavaria Weed Produktion in Leipheim
Die Produktionsanlage in Leipheim ist ein ehemaliger Bunker. © Bavaria Weed

Auf den Umbauplänen im Besprechungszimmer zeigt er auf die Mauer, die genauso dick ist wie ein daneben eingezeichneter Lkw breit. Es ist ein Hochsicherheitstrakt und damit genau das Richtige für die Produktion von medizinischem Cannabis. Auch an der Gewerbestraße gibt es einen Hochsicherheitsraum. „Der sicherste Raum in ganz Herrsching“, behauptet Hoffmann – mit Magnetfeld, Bewegungsmelder und Temperaturüberwachung. „Sollte an einem der beiden Standorte irgendetwas passieren, können wir am jeweils anderen zwischenlagern“, sagt er.

Aktuell werden die Cannabisblüten aus Kanada und Portugal importiert. Drei Unternehmen dürfen nach einer Ausschreibung 2019 nun erstmals auch in Deutschland Cannabis anbauen. Die erste Ernte wird 2022 erwartet. Das Herrschinger Unternehmen will acht ständig verfügbare Cannabis-Sorten auf Lager haben, in Dosen verpackt. Jede Sorte für jeweils spezielle Indikationen. Beliefert werden ausschließlich Apotheken.

Stefan Langer aus Herrsching
Stefan Langer aus Herrsching ist einer der Gründer von Bavaria Weed © Bavaria Weed

Verantwortlich für die Wirkung sind so genannte Terpenoide, die in der Mutterpflanze dominieren. Patienten können sich die Darreichungsform aussuchen – entweder sie rauchen die Blüten mit oder ohne Tabak als Zigarette, atmen sie über einen Verdampfer ein oder trinken sie als Tee. Letzteres allerdings nur bei der exakten Temperatur von 130 Grad. „Sonst entfalten sich die Wirkstoffe nicht“, erklärt Langer. Er selbst legt die Blüten schon mal bei 130 Grad in den Backofen und macht sich zum Beispiel Cannabisbutter. Alternativ gebe es Extrakte, die „Bavaria Weed“ aber erst ab nächstem Jahr anbieten und in Zukunft auch selbst herstellen werde.

Erklärtes Ziel ist es, „Bavaria Weed“ europaweit führend ins Geschäft zu bringen. Bislang arbeiteten die drei Chefs und ihre 25 Beschäftigten – davon sieben in Herrsching – „unterm Radar“, sagt Langer. „Wir wollten erst anfangen, wenn alles fertig ist.“ Dieser Zeitpunkt ist nun gekommen. Ziel ist auch, die Patientenversorgung sicherzustellen. Denn durch die Herstellung in Deutschland verlängere sich die Haltbarkeit des Medikaments, das ja ein Naturprodukt bleibt. In der Regel ist es sechs Monate verwendbar. Start der Produktion ist im September. „Nächste Woche sind die ersten Produkte auf Lager“, freut sich Hoffmann.

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