Kunterbunte Villa als Anker für Ukrainer: Was aus der DGB-Bundesschule wurde

Die kunterbunte Villa K für benachteiligte Kinder ist erst seit einem halben Jahr geöffnet und schon jetzt für 2023 fast ausgebucht. Sie sollte eigentlich Villa Z heißen: Doch dann kam der Krieg – und mit ihm 54 Ukrainer, die auf dem Seegrundstück in Niederpöcking Zuflucht fanden.
Niederpöcking – Michi Kern spaziert gerade auf die große, von ihm wiederbelebte Villa am Starnberger See zu, da springt ihm ein Kind mit Schulranzen in die Arme. Die Begrüßung ist voller Freude und Herzlichkeit, dafür muss Kern die Muttersprache des Mädchens aus der Ukraine nicht verstehen. Kern, als Typ grundsätzlich locker und entspannt, hat viel um die Ohren. Nicht nur als Unternehmer in der Münchner Kultur- und Konzertszene, sondern auch als Vorsitzender von „Kinderhaus am See“. Der Verein wurde im August 2021 gegründet, um aus der Villa Zitzmann in Niederpöcking eine Mischung aus kreativem Seminarhaus, bezahlbarem Familienhotel und progressivem Abenteuerspielplatz zu machen. Das ist es nun auch geworden. „Wir sind zu 70 Prozent mit der Renovierung fertig“, sagt Kern. Doch im Laufe des Jahres ist noch ein zweites soziales Projekt hinzugekommen. Denn so plötzlich wie ihm das Mädchen vor dem Haus in die Arme springt, so unvermittelt änderten sich die Pläne mit dem Gebäude. Wegen des Krieges in Europa.

54 Menschen aus der Ukraine, Mütter und ihre Kinder, haben im Bettenhaus neben der Villa Zuflucht gefunden. Früher übernachteten dort Seminargäste der Bundesschule des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Das Bildungszentrum sperrte 2011 zu, elf Jahre später eröffnete die „Villa K“. Und auch der Name hat mit dem Krieg zu tun. Eigentlich sollte das Haus „Villa Z“ heißen – in Erinnerung an den Kommerzienrat und Kunstsammler Dr. Karl Zitzmann, für den es 1922/23 erbaut wurde. Doch der Buchstabe Z erwies sich als der mit Abstand ungeeignetste im Alphabet – schließlich prangt er als Symbol auf russischen Panzern. „Wir haben blitzschnell umentschieden, dachten dann an K wie Kinder oder kunterbunt“, erzählt Kern. Für die Geflüchteten sperrte der Verein ein paar Monate früher als geplant auf. „Wir wollten bei dieser Herausforderung nicht abseits stehen. Das eigene Programm musste etwas zurückstecken. Aber es war relativ schnell klar, dass wir mischen können.“ Die Villa K ist jetzt Abenteuerspielplatz und Flüchtlingsunterkunft.

Tobende Kinder sind im beginnenden Winter die Ausnahme. Die erste Hauptsaison ist beendet. Ein bisschen Leben ist nur unten im Speisesaal und der Gemeinschaftsküche, in der sich die Ukrainer selbst versorgen. Fünf Frauen aus dem Kriegsland hat der Verein neben den Pädagoginnen, Kursleitern und Hausmeistern in der großen Küche angestellt. Damit die jungen Gäste gut versorgt sind: Das Programm ist so bunt wie die Decke des Speisesaals und die Wendeltreppe der Villa. Bisher zogen rund 45 Gruppen von sozialen Trägern wochenweise ein, die meisten kamen über die Peter-Maffay-Stiftung mit Sitz in Tutzing. Die Kooperation funktioniere blendend, sagt Michi Kern.
Kinder, die es im Leben aus ganz unterschiedlichen Gründen schwer haben, sollen in der Villa K Wertschätzung erleben, Talente entdecken, Kreativität entfalten, Selbstvertrauen tanken und Zivilcourage lernen. In einem riesigen Raum im Erdgeschoss können sie an einer Boulderwand klettern, außerdem gibt es Yoga- und Backkurse, eine Holzwerkstatt, Bastelräume, eine Bibliothek und eine Theaterbühne. Im Sommer stand Surfen, Stand-up-Paddeln und Rudern auf dem Programm. Die Kinder, auch die ukrainischen, bekamen Schwimmunterricht.

Kerns erstes Fazit: „Das Angebot hat sich sehr schnell etabliert. Und wir haben das Gefühl, dass wir wirklich etwas beitragen können in diesen Zeiten.“ Im nächsten Jahr ganz sicher auch – denn für 2023 seien Villa und Bettenhaus schon so gut wie ausgebucht. „Aber man kann immer mit Ideen auf uns zukommen. Wir haben immer mal wieder eine Lücke“, sagt der Vereinsvorsitzende.
Der heutige Eigentümer, die IG-Metall, hat dem Verein das Areal günstig verpachtet. „Dafür übernehmen wir den Großteil der Renovierung selbst.“ 950 000 Euro habe man schon ausgegeben, am Ende sollen es rund 1,5 Millionen Euro sein. Alles Spendengelder aus dem Münchner Netzwerk des Vereins. Aus dem Landkreis Starnberg hat das Projekt laut Kern bisher, abgesehen von einer Ausnahme, noch niemand finanziell unterstützt. Der Betrieb des Hauses trägt sich selbst durch die relativ geringen Gebühren für Übernachtungen und die Angebote. Mittelfristig will der Verein in weitere Zimmer investieren, auf einem Grundstück schräg gegenüber sollen Apartments entstehen.
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