Ein äußerst seltener, offiziell ausgestorbener Gast

Es ist eine kleine Sensation: Auf seiner ersten Überwinterungsreise landete ein Steinwälzer am Starnberger See – und blieb dort viel länger als erwartet. Der Küstenvogel, der in Deutschland eigentlich als ausgestorben gilt, fühlte sich besonders auf Dampfern und bei Seglern wohl.
Landkreis – Kreischende Möwen ziehen ihre Kreise über dem Dampfer „Starnberg“. Während sich die Touristen an die Reling drängen, nutzt ein seltener Gast am Starnberger See die Gunst der Stunde für seinen Auftritt. Der weiße Bauch hebt sich von den orangfarbenen Beinen ab. Das Gefieder schimmert an Rücken, Brust und Kopf in unzähligen Brauntönen. Der spitz zulaufende Schnabel pickt, unbeeindruckt vom Trubel an Deck, nach Krümeln. In seinem natürlichen Umfeld wendet er mit seinem Schnabel Steine und Muscheln. Eine Eigenart, die dem seltenen Besucher seinen Namen beschert: Steinwälzer.
In Deutschland gilt der Watvogel laut der Roten Liste der Brutvögel als ausgestorben. Dr. Andrea Gehrold, Ornithologin und Gebietsbetreuerin bei der Kreisgruppe des Landesbunds für Vogelschutz erklärt auf Anfrage des Starnberger Merkur, dass der Vogel normalerweise höchstens einmal jährlich am See gesichtet wird. Dieses Jahr waren es aber gleich zwei Vögel der Art. Ein kleiner Rekord.
Am Starnberger See kommen die Tiere meist im Spätsommer und Herbst auf dem Weg Richtung Süden vorbei, wo sie überwintern. „Normalerweise bleiben sie nur ein paar Tage, um sich Fettreserven zum Überwintern anzufressen“, erläutert Dr. Gehrold. An diese Regel hielt sich der erste der beiden Besucher auch. Er wurde Anfang August gesichtet und verschwand nach ein paar Tagen wieder. Anders als sein Nachfolger, der ab Mitte August knapp zwei Wochen am See verbrachte. Die Fachleute identifizierten ihn schnell als Jungvogel, der seine erste Überwinterungsreise unternimmt.
Mehrere Beobachter berichten vom zutraulichen Steinwälzer, der unbeeindruckt mit Seglern auf Tour ging und mit seiner Anwesenheit die Aufmerksamkeit vieler Dampferpassagiere auf sich zog. Vom Schiffspersonal bekam er sogar den Spitznamen „Felix“. Dem Jungvogel schien es so gut am Starnberger See zu gefallen, dass er gar nicht mehr weg wollte.
Gehrold bezeichnet dieses Verhalten zwar als ungewöhnlich, verweist aber auch auf das Alter des Vogels. „Jungvögel sammeln noch Erfahrungen und vagabundieren oft durch die Gegend“, erklärt sie. Sie seien außerdem oft zutraulicher, da sie noch keine negativen, oft sogar noch gar keine Erfahrungen mit Menschen gemacht haben. Das liegt unter anderem auch an den menschenleeren felsigen Küsten arktischer Gebiete wie Grönland, Russland und Skandinavien. Die zählen nämlich zu den typischen Brutgebieten des Küstenvogels.
Nadja Saied