Hambacher Forst - Polizei betreibt „psychischen Terror“: So erlebt Momo (21) aus Berg den Protest

Momo aus Berg lebt seit eineinhalb Jahren im Hambacher Forst. Mit etwa 150 Aktivisten wehrt sich der 21-Jährige gegen die Rodung des Waldes in Nordrhein-Westfalen - und berichtet über Polizeigewalt und Schlafen in 18 Meter Höhe.
Farchach – „Es gibt viel, was gegen ein Reihenhaus am Starnberger See spricht“, sagt Momo. Der 21-jährige Berger sitzt gerade in einer Hütte am Hambacher Forst, im Hintergrund ertönen Polizeisirenen. Wieder rücken Einsatzkräfte an, um Aktivisten von den Bäumen zu holen. „Es ist heftig, wenn deine Freunde gerade da drin sind“, sagt Momo dann. Er lebt mit etwa 150 Umweltaktivisten in dem Waldstück zwischen Aachen und Köln. Der Energiekonzern RWE möchte dort 100 Hektar roden, um den nahe gelegenen Braunkohletagebau zu erweitern. „Ich wollte für zehn Tage herkommen, jetzt bin ich seit eineinhalb Jahren hier“, sagt Momo.
Hambacher Forst: Schlafen auf einem Baum - „Am Anfang war mir schwindlig“
Eine Freundin hatte gefragt, ob er kommen möchte. Politisch aktiv war er schon nach seiner Zeit an der Montessori-Schule in Starnberg geworden. 2015 engagierte er sich in München für Flüchtlinge, dann im nordfranzösischen Calais. Die Stimmung im Hambacher Forst faszinierte ihn von Anfang an. Der Aktivist lernte klettern, schlief auf einem 18 Meter hohen Baum. „Am Anfang war mir schwindlig.“ Nachts schlafen die Aktivisten auf den Baumhäusern, am Tag geht jeder einer Aufgabe nach. Manche holen Lebensmittel aus Supermarkt-Containern, andere ketten sich fest – Momo ist für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Video: Zusammenstöße bei Räumung im Hambacher Forst
Alle Entwicklungen zum Protest im Hambacher Forst lesen Sie in unserem News-Ticker.
Momo zur Polizei im Hambacher Forst: „Sie gehen unglaublich brutal ran“
Er hat mit Journalisten aus ganz Europa gesprochen, auch wenn er nicht als Kopf der Bewegung da stehen möchte. Festgekettet hat er sich auch schon. Schienenblockade auf der Hambachbahn, einer RWE-Strecke für Kohlezüge. Die Züge stehen, die Aktivisten warten darauf, von Polizisten freigeschnitten und auf der Wache verhört zu werden. „Sie gehen unglaublich brutal ran, um an die Personalien zu kommen.“ Die Autonomen ihrerseits wollen ihre Personalien nicht preisgeben. Um die Identifizierung zu erschweren, tragen sie Sekundenkleber auf die Fingerkuppen auf oder entfernen die ersten Hautschichten. „Standard“, sagt Momo, der sich als links-autonom beschreibt, geschlechtergerecht von AktivistInnen spricht. Geld habe er kaum – aber auch keine Lebenshaltungskosten. Der 21-Jährige kann sofort sagen, warum sich der Widerstand für ihn lohnt: „Wir machen etwas gegen den fossilen Genozid der Erde, den RWE betreibt. Wir streuen ihnen Sand ins Getriebe.“
Nachts im Hambacher Forst: Polizei beschallt Aktivisten mit Wagners „Walküre“
Seit sechs Jahren leben die Aktivisten in dem Wald, seit Donnerstag räumen Polizisten. „Wir haben uns jahrelang darauf vorbereiten können. Die Polizei kommt unglaublich schwer voran.“ Viele Aktivisten müssen auf ihren Baumhäusern freigeschnitten werden, sie haben ihre Arme in Betonklötzen fixiert. „Sie führen die Menschen dann wie Trophäen ab“, sagt Momo. Von gewalttätigen Aktionen berichten beide Seiten. „Die Polizei geht unglaublich brutal vor. Sie hat aktiv Menschen gefährdet“, sagt Momo und spricht von „psychischem Terror“. Nachts hätten Einsatzkräfte Kettensägengeräusche oder die Wagner-Oper „Die Walküre“ abgespielt, den Aktivisten mit Strobo-Licht Schlaf geraubt.
Eine Sprecherin der Polizei Aaachen sagt gegenüber dem Starnberger Merkur: „Wir machen dort keinen Nerventerror, werden aber unsere Einsatzmaßnahmen durchsetzen.“ Strobo-Licht oder Musik würden nicht zu den Mitteln gehören. Früher oder später, weiß Momo, ist die Aktion beendet. Gestern waren mehr als die Hälfte der etwa 50 Baumhäuser geräumt. „Wir haben RWE gestürzt“, sagt er. „Von dem Imageschaden werden sie sich nie erholen.“
Momo vom Hambacher Forst: „Alles, was ich brauche, passt in einen Rucksack“
Was bleibt, ist der gemeinsame Kampf gegen die Mächtigen, für den Umweltschutz. „Ich möchte mit meinem Leben etwas Sinnvolles anstellen. Es ist Aktivismus, den ich Vollzeit verfolge. Mit 14, 15 war ich auch bei McDonald’s. Irgendwann dachte ich, da stimmt was nicht.“ Aktiv werden könne jeder. „Ist die 50-Cent-Billigwurst wirklich nötig? Wo sind die Alternativen in meinem Umfeld? Heute bin ich weitsichtiger und flexibler. Alles, was ich brauche, passt in einen Rucksack.“ Auch wenn sich seine Eltern manchmal Sorgen machten, würden sie ihn unterstützen. Sein nächstes Projekt kommt, irgendwo in Europa: „Das bleibt mein Leben. Es gibt viele Brandherde, die gelöscht werden möchten.“