Rettungsdienst-Krise im Kreis Starnberg spitzt sich zu: BRK reagiert bayernweit einzigartig

Seit dem öffentlichen Hilferuf des BRK Mitte 2022 hat sich die Krise beim Rettungsdienst weiter zugespitzt. Künftig brauche der Verband, der als Bayerns einziger zwei Lehrstellen selbst finanziert, 30 Prozent mehr Personal – und einen Schichtkoordinator. Immerhin hilft ein „historischer Durchbruch“ – aber erst langfristig.
Landkreis – Wer sich als Redakteur in diesen Tagen mit dem Leiter des BRK-Rettungsdienstes verabredet, bekommt den stellvertretenden Bereichsleiter Einsatzdienste, den Geschäftsführer und die Pressesprecherin des Kreisverbands gratis als Gesprächspartner dazu – und drei Seiten in die Hand gedrückt. Titel: „Notfallsanitäterkampagne – Wir kämpfen gegen die Krise im Rettungsdienst“. Immer mehr Einsätze, immer weniger Personal: Die Lage ist ernst beim BRK, mindestens so ernst wie im Juli 2022, als der Verband eine Hilferuf-Pressemitteilung mit dem Untertitel „Hohe Auslastung, hoher Krankenstand, Unterbesetzung“ verschickte. Geschäftsführer Lang sieht ein „vernetztes Problem“ in den Strukturen des gesamten Gesundheitssystems – worauf ein Kreisverband relativ wenig Einfluss hat. Aber ein paar Dinge wollen die Starnberger anstoßen. Und eine bayernweit einzigartige Maßnahme haben sie schon getroffen.
Bernd Kuchler, der Leiter des Rettungsdiensts, wird nach dem Merkur-Gespräch und einem langen Arbeitstag um 22 Uhr in den Rettungswagen steigen, um die Nachtschicht zu fahren – „damit das Auto nicht stillsteht“, sagt er. Nicht nur der Chef macht Überstunden: 2022 summierten sie sich bei den Notfallsanitätern auf 5827, weit mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Kein Wunder: Es waren ja auch etwa 2700 Einsätze mehr als 2021 – und fast 100 000 zusätzliche Kilometer legten die Einsatzfahrzeuge zurück.
Der heiße Sommer 2022 trieb die Zahlen besonders in die Höhe, aber die zunehmenden und längeren Fahrten sind ganz logisch zu erklären: Die Gesellschaft altert, Kliniken werden zusammengelegt, und die Menschen benutzten den Rettungsdienst immer öfter als Hausarzt-Ersatz, sagt Kuchler. „80 Prozent der Einsätze sind unnötig.“ Beispiel: Jemand, dem seit drei Wochen der Rücken weh tut, alarmiert die Notfallsanitäter.
BRK Starnberg finanziert zwei Stellen vorerst selbst
Und von denen gibt es laut BRK viel zu wenig. Der Kreisverband Starnberg finanziert deshalb seit Oktober zwei Lehrstellen vorerst aus eigener Tasche – „Geld, das wir als gemeinnützige Organisation nicht haben“, erklärt Sprecherin Karin Windorfer. Kostenpunkt: 300 000 Euro für drei Jahre. Das BRK bittet Bürger um Spenden – damit die Sanitäter auch künftig immer fahren können, wenn sie jemand alarmiert. Was der Landesverband von der im Freistaat einzigartigen Maßnahme hält, lässt Sprecherin Claire Banzer in einem gleichzeitig viel- und wenig sagenden Kommentar durchblicken: „Dies ist eine individuelle Management-Entscheidung eines Kreisverbandes, die zulässig ist, aber durch die Landesgeschäftsstelle grundsätzlich nicht öffentlich kommentiert wird.“
Ein weiteres Problem: Rettungsassistenten – das auslaufende Vorgänger-Berufsbild des Notfallsanitäters – dürfen gesetzlich ab 2024 nur noch als Fahrer eingesetzt werden. Damit brechen dem Kreisverband vier Einsatzkräfte als „Fahrzeugverantwortliche“ – künftig muss das immer ein Notfallsanitäter sein – weg. „Das sind fast zehn Prozent unserer Stellen“, sagt Kuchler. Dabei benötige der Rettungsdienst ja das Gegenteil: 30 Prozent mehr Menschen – auch weil der Tarifvertrag wohl bald eine 38,5-Stunden- statt der noch gültigen 45-Stunden-Woche vorschreiben werde. „Wir überlasten das Personal maximal“, sagt Markus Möbius, der stellvertretenden Bereichsleiter Einsatzdienste. „Das System ist bereits jetzt kaputt“, sagt Geschäftsführer Lang. Ein Beispiel dafür ist aus seiner Sicht die Tatsache, dass das BRK Starnberg immer wieder Leute an Werksfeuerwehren in der Region oder an Notaufnahmen am Starnberger See verliert, weil sie dort bei geringerer Belastung teilweise deutlich mehr verdienen.
Fehlerhafte Abrechnungen: BRK räumt Probleme in Personalabteilung ein
Die Personalprobleme seien zum Teil hausgemacht: Darauf wies den Merkur ein Mann aus der Region hin, der beim Starnberger Rettungsdienst gearbeitet hat und anonym bleiben will. Er berichtete von mangelhafter Arbeit der Personalabteilung, von Arbeitsverträgen, die zu spät verschickt wurden, von Gehaltsabrechnungen, bei denen sogar die Korrekturen falsch waren. Letztere und auch der Schriftverkehr mit der Personalabteilung liegen der Redaktion vor. Damit konfrontiert, räumt Geschäftsführer Lang ein, dass es in der Personalabteilung Probleme gab, dass „aufgeräumt“ werden muss. Und dass wegen der Schwierigkeiten zum 1. August 2022 eine neue Leiterin eingestellt wurde. Lang betont aber auch, dass diese Dinge die Krise beim Rettungsdienst nicht im Ansatz verursacht hätten.
Und wie bekämpfen die Starnberger die Krise, abgesehen von den zwei zusätzlichen Stellen, auf regionaler Ebene? Sie fordern einen Schichtkoordinator, also eine 24 Stunden besetzte Stelle, die sich um Dienstpläne kümmert. Für den gesamten Rettungszweckverband, zu dem auch die Landkreise Dachau, Fürstenfeldbruck und Landsberg am Lech zählen. Rettungsdienstleiter Kuchler sagt: „Wir brauchen derzeit eine Stunde und 20 Minuten, um bei einem Ausfall eine Schicht nachzubesetzen.“ Arbeitszeit, die teils in der Freizeit geleistet werde.
Zumindest bei den Auszubildenden ist Besserung in Sicht. Das Bayerische Rote Kreuz meldete vor einer Woche einen „historischen Durchbruch“ in den Verhandlungen mit den Sozialversicherungsträgern. Das Kontingent der Ausbildungsplätze für Notfallsanitäter wächst in den Jahren 2023 und 2024 auf insgesamt 750. Sofort hilft diese Entscheidung aber noch nicht. In etwa vier Jahren können die neu ausgebildeten, zusätzlichen Kräfte ihre Kollegen entlasten.
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