Starke Stimmen für Verständigung: So lief die Gedenkfeier im Internet

Digital im Internet statt persönlich auf dem Kirchplatz: Das überparteiliche Bündnis Starnberger Dialog hat am Montagabend des 9. November gedacht und vor Rassismus und Antisemitismus gewarnt. Die Beiträge sind ab sofort im Internet zu sehen.
Starnberg – Die Ausgrenzung fand jederzeit und überall statt. Auch in Starnberg. Am 9. November 1939 etwa oder am 26. Februar 1942, als der ehemalige Landarzt Dr. Adolf Frank vom damaligen Starnberger Bürgermeister Franz Buchner beleidigt, diffamiert, ins Gefängnis geworfen und zum Selbstmord gedrängt wurde. Mit eindringlichen Worten schilderte Kreisarchivarin Dr. Friedrike Hellerer das Schicksal des jüdischen Arztes und des Nazi-Bürgermeisters, der nach mehreren Verfahren in den 1950er Jahren als „Minderbelasteter“ rehabilitiert wurde. Die Kulturpreisträgerin war gestern Abend bei der Gedenkveranstaltung des Starnberger Dialog für das historische Beispiel zuständig.
Aufgrund der Corona-Pandemie hatte das überparteiliche Bündnis die Veranstaltung vom Kirchplatz ins Internet verlegt (wir berichteten). In der Spitze hörten 31 Teilnehmer den Wortbeiträgen zum 9. November zu, dem „Schicksalstag der Deutschen“, wie Mitorganisator Rainer Hange mit Blick auf Abdankung des Kaisers (9. November 1918), Hitler-Putsch (9. November 1923) Reichspogromnacht (9. November 1938) und Mauerfall (9. November 1989) sagte.

Im Mittelpunkt standen der zunehmende Rassismus und Antisemitismus, aber auch die Verrohung der Sprache. Er wolle mit seiner Familie „alles dafür tun, dass sich die schlimme, antidemokratische Zeit in Deutschland niemals wiederholen“ dürfe, sagte Hange. Der 79-Jährige rief die Jugend auf, die Gräuel der NS-Diktatur niemals zu vergessen. „Wir können nicht sicher sein, dass auch in unserer heutigen Zeit nationalistische Ideologien um sich greifen und versuchen, unsere Demokratie zu zerstören.“ Hange war an diesem Abend die erste „starke Stimme für Verständigung und Erinnerung“, wie Mitorganisatorin Kerstin Täubner-Benicke über die Redebeiträge sagte. Sie beobachte, „dass die Grenze des Denkbaren und des Sagbaren immer weiter verschoben werden“, erklärte die Grünen-Stadträtin.

Bürgermeister Patrick Janik spannte den Bogen von der Pogromnacht ins Jetzt. „Leider sehen wir uns in unserer Gesellschaft immer wieder mit der Gegenwärtigkeit von Antisemitismus und Rassismus konfrontiert“, sagte er. Wo es gesellschaftliche Ausgrenzung gebe, sei die Demokratie in Gefahr – das könne im Internet der Fall sein, am Stammtisch, aber auch „mit feinsinnigen Worten salonfähig gemacht“. Zu den geistigen Brandstiftern gehörten rechte und rechtspopulistische Gruppen, sagte Janik und betonte: „Wir werden nicht noch einmal den Angriff auf den Anstand und die Demokratie unterschätzen.“ Das sei aber Aufgabe für jeden, nicht nur für Polizei und Staatsschutz.

Landrat Stefan Frey warnte vor allem vor einer weiteren Verrohung der Sprache. Worte dürften nie zur Spaltung führen, sagte er. Worte müssten zueinander führen und vermitteln. Das Gedenken an den 9. November 1938 und das Erinnern am Volkstrauertag am kommenden Sonntag zeige auf, wie wichtig es sei, „unseren Frieden und unsere Freiheit zu erhalten“.
Sie erlebe eine demokratiegefährdende Polarisierung auch in Deutschland, sagte Grünen-Kreis- und Bezirksrätin Martina Neubauer. Dazu zählten auch Verschwörungstheorien, wie sie beispielsweise bei der Corona-Demo am Wochenende in Leipzig verbreitet wurden. „Verschwörungserzählungen haben bei uns genauso wenig Platz wie Hass und Hetze“, sagte Neubauer.

Elisabeth Fuchsenberger, SPD-Gemeinderätin aus Berg, warf in ihrem Beitrag einen Blick in die USA. „Wir erleben immer wieder und überall auf der Welt, wie gefährdet Demokratie sein kann, in den letzten Jahren auch in den USA“, sagte sie. Auch in Deutschland müsse man aufpassen, sich nicht auseinander dividieren zu lassen.
Der evangelischen Pfarrer Dr. Stefan Koch machte den Teilnehmern Mut. Es lohne sich, Schwächere zu schützen und füreinander einzutreten, sagte er in seinem Schlusswort und machte klar: „Der Lohn wird groß sein und nicht erst im Himmel auf uns warten.“
Wer sich für die Beiträge interessiert: Videos davon sind auf www.starnberger-dialog.de zu sehen.