Gedenkveranstaltungen zum Todesmarsch: „Vergessen ist der falsche Weg“

Ende des Monats jährt sich zum 77. Mal der Todesmarsch von Häftlingen aus dem KZ Dachau durch das Fünfseenland. Im Landkreis sind zwei Gedenkveranstaltungen geplant, dazu kommt erstmals die Langversion des Films „Der Todesmarsch“ in die Kinos. Der Organisator des Gedenkmarschs, Rainer Hange, hat zudem eine Einladung des Ministerpräsidenten erhalten.
Landkreis – „Gedenkveranstaltungen sind Ausdruck dafür, dass wir Verantwortung übernehmen. Sie sind dem Gedenken an die Opfer gewidmet, sie bekunden Trauer und Leid und sie sollen dazu beitragen, den Anfängen neuen Unrechts wehren zu können. Sie sind auch Ausdruck dafür, dass wir Verantwortung für die jetzt hilfesuchenden Menschen aus der Ukraine übernehmen.“ Mit diesen eindringlichen Worten lädt Landrat Stefan Frey zu den Gedenkveranstaltungen ein, die im Landkreis an den Todesmarsch der KZ-Häftlinge erinnern.
Ende April 1945 hatte die SS Tausende Häftlinge des KZ Dachau in Richtung Alpen getrieben. Entlang dieses Leidensweges, den mehr als tausend Menschen nicht überlebten, wurden Mahnmale errichtet. Am Pilgrim-Mahnmal am Landratsamt findet am Sonntag, 24. April, um 14 Uhr ein Gedenken statt. Anschließend wird die Ausstellung „Euthanasie im Landkreis Starnberg“ von Kreisarchivarin Dr. Friedrike Hellerer im Landratsamt eröffnet.
Am Mittwoch, 27. April, um 18.30 Uhr kommt im Schloss Kempfenhausen die Klaviersonate „27. April 1945“ von Karl Amadeus Hartmann mit Lauriane Follonier am Flügel zur Aufführung. Professor Marita Kraus gewährt mit ihrem Vortrag „Zwischenwelten“ Einblicke in die Zeit April und Mai 1945 am Starnberger See.
Rainer Hange bekommt Einladung von Ministerpräsident Markus Söder
Neben Dr. Friedrike Hellerer und dem Landratsamt Starnberg sind auch Elisabeth Carr von „KunstRäume am See“ und Rainer Hange vom Verein „Gegen Vergessen für Demokratie“ an der Organisation beteiligt. Hange wird für sein unermüdliches Engagement zudem eine besondere Ehre zuteil. Er hat eine Einladung von Ministerpräsident Markus Söder zum Festakt anlässlich „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ im Mai in der Residenz erhalten.
Den Bogen zur Istzeit schlägt Elisabeth Carr. „Was wir uns alle nie vorstellen konnten, ist am 24. Februar 2022 eingetreten: Es ist Krieg in Europa“, sagt sie. „Mit Entsetzen beobachten wir alle die Kriegsberichterstattung in den Medien. Bei älteren Menschen werden Erinnerungen wach, die jeder gern vergessen würde. Vergessen aber ist der falsche Weg. Man muss sich erinnern, um die Gräueltaten nie zu vergessen. Wir tragen die historische Verantwortung, dass solche Untaten nie wieder verübt werden.“
Bei der Gedenkveranstaltung wollen Landrat Frey und Starnbergs Bürgermeister Patrick Janik Grußworte sprechen. Nach den Gebeten der Pfarrer Johannes de Fallois (evangelisch) und Dr. Tamas Czopf (katholisch) ist ein jüdisches Gebet geplant. Stefan Komarek begleitet die Gedenkstunde auf der Klarinette. Rainer Hange: „Es gibt immer weniger Zeitzeugen, die über die schrecklichen Ereignisse in der NS-Zeit noch berichten können. Ein Erinnern und Gedenken an den Mahnmalen ist aber das mindeste, was wir für die Opfer und deren Angehörige heute noch tun können.“
Ausstellung „Euthanasie im Landkreis Starnberg“ von Kreisarchivarin Friedrike Hellerer
Kreisarchivarin Friedrike Hellerer lenkt mit ihrer Ausstellung „Euthanasie im Landkreis Starnberg“ den Blick auf die Ermordung kranker und behinderter Menschen während des Nationalsozialismus. „Beim Gedenken an den Todesmarsch der KZ-Häftlinge von Dachau durch das Würmtal lohnt es sich, den Blick auf die Anfänge dieser nationalsozialistischen Mordmaschinerie zu werfen“, erklärt sie. Im Landkreis Starnberg erlitten annähernd 300 Frauen und Männer schwerste und schlimmste Eingriffe. Die Ausstellung zeigt unter anderem ausgewählte Biografien von fast 50 ermordeten Personen. Sie soll in der Folge in Rathäusern und Schulen im Landkreis gezeigt werden.
Der Komponist der Klaviersonate „27. April 1945“, Karl Amadeus Hartmann, war zusammen mit seiner Frau Elisabeth Zeuge des Todesmarsches: „Am 27. und 28. April 1945 schleppte sich ein Menschenstrom von Dachauer ,Schutzhäftlingen‘ an uns vorüber – unendlich war der Strom – unendlich war das Elend – unendlich war das Leid“, zitiert das Landratsamt in einer Mitteilung Hartmann. Bereits Anfang des Krieges hatte die Familie Zuflucht im Anwesen der Schwiegereltern in Kempfenhausen gefunden.
Ersten Vorführungen des Kinofilms „Der Todesmarsch“ geplant
Hartmann versteckte sich im Keller des Reußmannschen Hauses im Lüderitzweg 39 und schuf ein großes symphonisches Werk, darunter die Klaviersonate. „Im unmittelbaren Eindruck des grauenhaften, gespenstischen Anblicks und der unüberhörbaren Akustik unzähliger, von brutalen SS- Schergen vorbei getriebenen und gepeinigten Gefangenen des KZ Dachau, versuchte er, das Unfassbare musikalisch zu verarbeiten und diesem historischen Geschehen am Ende des Krieges ein entsprechend unüberhörbares Mahnmal zu setzen“, schreibt das Landratsamt. Die Geräusche der sich dahin schleppenden Schritte, des Klapperns der Holzschuhe, der Gewehrschüsse waren verewigt.
Die Historikerin Marita Krauss gewährt mit ihrem Vortrag „Zwischenwelten“ Einblick in diese Zeit am Starnberger See. „Die Welt des nationalsozialistischen Deutschlands, die Welt von Krieg und Gewalt, brach zusammen, die neue Zeit hatte noch nicht begonnen“, sagt sie. „Die Menschen am Starnberger See erlebten Todesmärsche und ,Evakuierungszüge‘ mit KZ-Häftlingen, letzte Gefechte, amerikanische und französische Besatzung. Nur noch die Standesämter dokumentierten die Toten. Und doch war es eine Zeit der Hoffnung: Endlich war der Krieg vorbei.“
Derweil sind die ersten Vorführungen des Kinofilms „Der Todesmarsch“ geplant: am Dienstag, 26. April, 19.30 Uhr, im Breitwandkino Gauting, z (089) 89 50 10 00; am Dienstag, 10. Mai, 19.30 Uhr, im Breitwandkino Starnberg, (0 81 51) 97 18 00. mm