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Was schafft der Landkreis Starnberg 2023? Und was nicht? So antwortet der Landrat

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Von: Tobias Gmach, Peter Schiebel

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 Ins geplante Herrschinger Gymnasium ziehen die Schüler später ein als vorgesehen.
Ins geplante Herrschinger Gymnasium ziehen die Schüler später ein als vorgesehen. © SCHÜRMANN DETTINGER ARCHITEKTEN

Wie entwickeln sich die größten Herausforderungen des Landkreises 2023? Landrat Stefan Frey antwortet auf sechs Behauptungen – und liefert nebenbei Neuigkeiten, unter anderem zum Standort der Klinik und zum Gymnasium in Herrsching.

Landkreis – Der Landkreis muss an allen Ecken und Enden sparen – und steht gleichzeitig vor großen Herausforderungen und Investitionen. Die neue Klinik und das Gymnasium in Herrsching, der Zuzug von Geflüchteten, der öffentliche Nahverkehr und nicht zuletzt die Energiewende: All das war Thema eines zweistündigen Gesprächs mit Landrat Stefan Frey in der Redaktion des Starnberger Merkur. Wir legten ihm mit Blick auf das Jahr 2023 sechs Behauptungen vor. Und Frey bejahte, verneinte, differenzierte, rechtfertigte sich und wich auch mal aus.

Behauptung 1: Im Jahr 2023 steht endlich fest, wie es mit einem Klinikneubau im westlichen Landkreis weitergeht.

Auf diese These würde der Landrat am liebsten mit „Ja“ antworten, ist sich aber noch unsicher, ob der ambitionierte Zeitplan des Landkreises wirklich hinhaut. Fest steht: Der Neubau eines 200-Betten-Hauses am bestehenden Standort der Schindlbeck-Klinik in Herrsching ist vom Tisch. „Eine Erweiterung dort ist nicht möglich“, sagt Frey. Das hätten das Bayerische Gesundheitsministerium und der Fachplaner des Landkreises bereits Ende vergangenen Jahres abschließend geklärt. Öffentlich gemacht wurde diese Entscheidung bislang jedoch nicht.

Damit konzentrieren sich alle Planungen auf eine cira 2,5 Hektar große Fläche an der Seefelder Straße am Ortseingang von Herrsching. Sie gehört zum Teil der Gemeinde, für den Rest hat sich der Landkreis ein Kaufrecht gesichert.

Ein Raum- und Funktionsprogramm liegt schon seit geraumer Zeit vor. Mittlerweile gebe es auch einen Entwurf des Fachplaners, sagt Frey. Zudem liefen Gespräche mit Ministerium, Gemeinde und Fachbehörden wie zum Beispiel dem Staatlichen Bauamt. „Anbindung und Erschließung spielen eine große Rolle.“ Auch zu einem sogenannten Scoping-Termin sei bereits eingeladen, um zu klären, welche umweltrechtlichen Belange berücksichtigt werden müssen.

Die Erweiterung der Herrschinger Schindlbeck-Klinik ist vom Tisch.
Die Erweiterung der Herrschinger Schindlbeck-Klinik ist vom Tisch. © Andrea Jaksch

Frey will „heuer ins Bebauungsplanverfahren gehen“ und sagt: „Wenn wir im Februar 2024 damit fertig wären, könnten wir noch auf Bundesmittel zugreifen.“ Im Mai 2024 könnte dann das bayerische Kabinett darüber entscheiden. Allerdings falle die gesamte Planung in eine schwierige Zeit, Stichwort Krankenhausreform.

Eine Regierungskommission und Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach hatten im Dezember unter anderem vorgeschlagen, Krankenhäuser bundesweit künftig nach drei Versorgungsstufen zu definieren: Level I für die Grundversorgung, Level II für Regel- und Schwerpunktversorgung, Level III für Maximalversorgung (zum Beispiel Unikliniken).

Frey spricht von einer großen Unbekannten: „Wer bestimmt, welche Häuser welchen Level bekommen? Das wird ein Hauen und Stechen, weil es natürlich um Fördergelder geht. Da will jeder Landkreis sein Kreiskrankenhaus als Level-II-Haus haben.“ Sein Wunsch sei, dass die Landkreis-Kliniken mit dem Haus in Starnberg und dem Neubau in Herrsching auf jeden Fall ein Level-II-Haus werden. „Ich wüsste nicht, warum das auf einen Standort begrenzt sein sollte.“

Behauptung 2: Ende des Jahres gehört der Landkreis Starnberg zu den am höchsten verschuldeten Landkreisen in Bayern.

Das will Frey so nicht stehen lassen. „Wir investieren auch kräftig“, sagt er – vor allem in das Gymnasium Herrsching. Bis Ende 2022 war der Landkreis schuldenfrei. Für heuer hat der Kreistag einen Kreditrahmen von 54 Millionen Euro genehmigt. Insgesamt waren die Haushaltsberatungen für 2023 in den Kreistagsgremien ein hartes Stück Arbeit. Der Neubau der Fachoberschule (FOS) in Starnberg und die Generalsanierung des Gymnasiums Tutzing wurden auf die Zeit nach 2026 verschoben, die Planungen sollen aber fertiggestellt werden. Für Tutzing kündigt Frey jetzt an: Wir werden dort für die Zwischenzeit im Südbau bei der Digitalisierung nachlegen, im Nordbau ist das bereits umgesetzt.“

Generell betont der Landrat: „Gesundheitsvorsorge und Bildung sind das Wichtigste, sagen auch die Bürger immer. Bestimmte Dinge dürfen auch was kosten.“ Dass sich der Landkreis weiter auf niedrigem Schuldenstand wird halten können, schließt er für die Zukunft aus. „Wir werden uns für Investitionen auch weiterhin verschulden. So lange sich Freistaat und Bund ins Unermessliche verschulden, kann es nicht sein, dass vor Ort die Daumenschrauben angezogen werden.“

Behauptung 3: Aufgrund von Verzögerungen wird es nicht gelingen, dass zum Beginn des Schuljahres 2024/25 die ersten Schüler im neuen Gymnasium Herrsching unterrichtet werden – und teurer wird das Schulareal auch noch.

Frey stimmt zu: „Wir werden wahrscheinlich erst 2025 starten.“ Wegen der verzögerten Ausführung bei den Tiefbauarbeiten sei die Baustelle in Herrsching-Mühlfeld mehrere Monate in Verzug. Um die Wasserhaltung in einem Biotop sicherzustellen, seien „riesige Spundwände“ nötig gewesen. Der Landrat, für den das Biotop auch „ein wilder Ablageplatz“ von Unrat ist, ärgert sich: „Bürokratische Hürden kosten uns viel Geld. Wir müssen uns fragen, was wir uns an Regelwerk noch leisten können.“

Dazu komme die Inflation: „Ohne die Bürgerbegehren, zwei Jahre früher, hätte uns das Gymnasium noch 20 Millionen Euro weniger gekostet, sagt Frey. „Dass wir jetzt in die schlechteste aller Bauphasen reinrutschen, ist eine Folge des Weltgeschehens. Aber da müssen wir jetzt durch. Es gibt kein Zurück mehr.“ An der Notwendigkeit des Gymnasiums in Herrsching lässt er aber keinen Zweifel. „Wir werden es erleben, dass die Schülerzahlen rasant steigen“, betont er.

Behauptung 4: Der zu erwartende Zuzug von Flüchtlingen wird in diesem Jahr die Herausforderungen von 2015 und 2016 übersteigen.

„Ja“, sagt Frey sofort zu dieser These und argumentiert mit bundesweiten Zahlen, nach denen 2022 (laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) etwas mehr Geflüchtete (1,29 Millionen) nach Deutschland kamen als in den Jahren 2015 und 2016 zusammen (rund 1,20 Millionen). Derzeit habe der Landkreis in seinen 80 Unterkünften insgesamt 130 Plätze frei, allerdings fielen in den nächsten Monaten Kapazitäten wieder weg – etwa, weil Mietverhältnisse enden. Daher suche der Landkreis „mit Hochdruck“ nach Standorten für Containeranlagen. (Finale) Vorschläge fehlen laut Frey noch aus Tutzing und Feldafing, in Wörthsee gibt es seit Montagabend einen Beschluss.

Im Vergleich mit anderen oberbayerischen Landkreisen könne Starnberg bislang eine Überbelegung vorweisen, deshalb erreichte der bisher letzte Bus mit 50 Menschen (unter anderem aus Afghanistan und Syrien) von der Regierung von Oberbayern im Oktober 2022 das Fünfseenland. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich 2467 Asylbewerber und 1985 Flüchtlinge aus der Ukraine im Landkreis auf. Frey fragt sich, „ob wir künftig noch alles so geräuschlos abwickeln sollten“ oder ob das Landratsamt über die Herausforderungen mehr öffentlich informieren sollte.

Alles andere als geräuschlos war das Interview, das der Landrat Anfang des Jahres der „Bild-Zeitung“ gegeben hat. Ein Text, in dem auch Amtskollegen vorkamen – unter der Dachzeile „Migrations-Aufstand der Landräte“, mit einem großen Foto von Frey am Starnberger See und dem Titel „Frau Faeser kann bei uns gerne ein Praktikum machen“.

Zur Entstehung erklärt Frey jetzt: Die „Bild“ habe mit ihm über das Leben im „reichen“ Landkreis Starnberg gesprochen. Gefragt nach Themen, die ihn bewegen, sei er auf Geflüchtete gekommen, woraus ein zweiter Artikel resultiert habe. Frey kam er gerade recht – schließlich will er, dass die Forderungen der Landräte nach mehr Unterstützung vom Bund in Berlin ankommen. „Wir hätten gerne Liegenschaften des Bundes, am Parkplatz vor der General-Fellgiebel-Kaserne in Pöcking etwa könnte man Container aufstellen.“

Behauptung 5: Im Jahr 2023 werden die Bürger bereits eine deutliche Ausdünnung des Busfahrplans spüren.

Ein entschiedenes Nein kommt bei dieser These vom Landrat – und ein Verweis auf „laufende Verträge“. Der Landkreis wolle die Express-Linien, wie jene Richtung Wolfratshausen und Bad Tölz, und die Fahrten in den Pendler- und Schülerzeiten stärken. Ausgedünnt werden soll dagegen der Fahrplan in den Randzeiten. Und Frey überlegt: „Müssen wir wirklich jede Haltestelle bedienen?“

Die Expressbus-Linien will der Landkreis 2023 stärken.
Die Expressbus-Linien will der Landkreis 2023 stärken. © Landratsamt

Derzeit befänden sich Kreis und Gemeinden wegen Entscheidungen in der Vergangenheit in einer „völlig verrückten Abrechnungsspirale“. Frey: „Wir müssen wieder dahin kommen, dass der Landkreis zahlt, dann aber auch anschafft.“

Behauptung 6: Die Energiewende kommt wegen bürokratischer Hindernisse im Landkreis nicht wesentlich voran.

„Doch“, sagt Frey. „Wir machen Fortschritte“, betont er und sagt, dass zum Beispiel die Anfragen nach Freiflächenfotovoltaikanlagen derzeit stark zunehmen würden. „Dafür gibt es auch unsere Unterstützung und Beratung.“ Die Installierung von PV-Anlagen auf Dächern unterstützte der Landkreis mit dem Solarkataster. „Und bei der Windkraft versuchen wir mit den Bürgermeistern, bei ganz konkreten Projekten Schritt für Schritt Hürden aus dem Weg zu räumen.“

Die Anfragen nach Freiflächenfotovoltaikanlagen wie in Gilching nehmen zu.
Die Anfragen nach Freiflächenfotovoltaikanlagen wie in Gilching nehmen zu. © Sonnenenergie Gilching

Ob der Landkreis jedoch bis ins Jahr 2035 klimaneutral wird, wie es ein vor Jahren gefasster Kreistagsbeschluss fordert, da ist Frey skeptisch: „Bis 2035 wird auch bei uns ganz viel passiert sein. Aber es entscheidet sich nicht allein im Landkreis, ob wir das Ziel schaffen“, sagt er und betont, dass er von solch plakativen Beschlüssen generell wenig hält. „Wir sollten realistisch bleiben und Schritt für Schritt schauen, was machbar und umsetzbar ist.“

Die bayerische Staatsregierung will 1000 Windräder bauen, rund um München sollen es 400 Stück sein, und der Energiewendeverein hat errechnet, dass der Landkreis 80 Windräder braucht, um sein Ziel – ausschließlich regenerative Energie bis 2035 – zumindest halbwegs zu erreichen. Frey ärgert sich über sämtliche „große Ansagen. Das macht Politik unglaubwürdig.“ Zwar nehme der Widerstand in der Bevölkerung ab, aber die bürokratischen Hürden bei Landschafts-, Natur- und Wasserschutz seien nach wie vor enorm hoch. Bis ein Windrad steht, dauere es heutzutage fünf bis sieben Jahre.

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