Wie viel Windkraft-Potenzial hat der Landkreis Starnberg wirklich?

Das Wind-an-Land-Gesetz, das an diesem Mittwoch in Kraft tritt, zwingt auch Kommunen im Landkreis zum Handeln. Vor allem die vom Militär vorgegebenen Flughöhen hindern einige aber daran. Wie viel Windkraft ist im Landkreis in absehbarer Zeit überhaupt realistisch? Ein Überblick.
Landkreis – 1136 Windräder sind derzeit in Bayern in Betrieb, in den nächsten Jahren sollen 1000 weitere dazukommen: Das haben Ministerpräsident Dr. Markus Söder und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger Ende 2022 angekündigt. Landrat Stefan Frey verspürt gegen solche Äußerungen eine regelrechte Aversion, selbst wenn sie vom CSU-Parteichef Söder kommen. „Wir erleben immer wieder, dass die Politik Zahlen in die Welt setzt und sich dann korrigieren muss. Es ist immer dasselbe: Am Willen scheitert es nicht, an der Standortfrage auch nicht. Aber die Verfahren sind unendlich schwierig“, sagt Frey. Deshalb hält er auch die 80 Windräder im Landkreis für unrealistisch, die der Energiewendeverein als für die Energiewende nötig errechnet hat. Und zu den 400 Stück, die im Raum München entstehen sollen, hat er eine ganz ähnliche Meinung.
Doch wie viel Windkraft ist in den nächsten Jahren im Landkreis realistisch? Ein gewisser Druck besteht jedenfalls, wegen des bundesweiten Wind-an-Land-Gesetzes, das an diesem 1. Februar in Kraft tritt. Bis Ende 2027 sollen die Länder 1,1 Prozent ihrer Fläche für Windkraft identifizieren. In der Region München, zu der neben Landeshauptstadt und Landkreis die Kreise Starnberg, Dachau, Ebersberg, Erding, Freising, Fürstenfeldbruck und Landsberg zählen, sind das 61 Quadratkilometer – etwa 8540 Fußballfelder. Bis 2032 müssen sogar 1,8 Prozent ausgewiesen sein, 99 Quadratkilometer der Regionsfläche. Und woher kommt der Druck?
Gemeinden müssen liefern - sonst sind Windräder im Außenbereich möglich
„Sollten keine ausreichenden Flächen definiert werden, wären Windräder überall im Außenbereich möglich; Freistaat oder Kommunen könnten dann nicht mehr steuern“, schreibt Katrin Möhlmann vom Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München auf Nachfrage.
Die Kommunen müssen also tätig werden, schließlich drehen sich im Landkreis bisher nur die vier Windräder in Berg. Der Starnberger Merkur hat für diesen Text mit mehreren Bürgermeistern im Landkreis gesprochen. Ihre Kernaussagen erinnern an Landrat Freys Worte: Der Wille zur Windkraft ist da, der Weg dorthin aber zäh. Auch wenn die Widerstände aus der Bevölkerung kleiner geworden sind, müssen noch jede Menge Grundstückseigentümer überzeugt werden. Das größte Hindernis sind die von den Luftfahrtbehörden vorgegebenen Flughöhen und -korridore. Jene betreffen nicht nur den Sonderflughafen Oberpfaffenhofen, sondern auch den Fliegerhorst in der Bundeswehrkaserne Lagerlechfeld zwischen Landsberg und Augsburg.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann habe ihm zuletzt berichtet, in Sachen Flughöhen sei „alles in Butter“, erzählt Landrat Frey. Dazu passt die Pressemitteilung von Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger nicht. Er berichtete vergangene Woche, die Ministerkonferenz für Raumordnung habe das Verteidigungsministerium aufgefordert, für Planungssicherheit zu sorgen.
Betreiber der Berger Windräder bereitet Petition im Bundestag vor
Um die kämpft auch Robert Sing, Geschäftsführer der Bürgerwind Berg GmbH, der in der Region vergleichbare Projekte anstrebt. Nur im Norden des Landkreises, in Krailling und Gilching, sowie im Südosten stolpert die Windkraft nicht über die Höhenhürden, im Süden, gerade zwischen Starnberger und Ammersee, aber schlagen die Restriktionen der Militärluftfahrt voll zu. Das zeigt ein Vergleich der 2012 von den Kreisgemeinden ausgewiesenen Konzentrationsflächen mit einer Karte zum „Bauschutzbereich Lechfeld“.
„Lechfeld ist nur noch ein Ausweichflugplatz. Und trotzdem sind die Flughöhen niedriger angesetzt als zu aktiven Zeiten des Tornado-Geschwaders und zu Zeiten, als der Fliegerhorst Penzing noch in Betrieb war. Das ist nicht nachvollziehbar“, sagt Sing. Die leichte Anhebung der Höhenbeschränkung auf 836 Meter über Normalnull im vergangenen Jahr reiche für viele Windräder noch nicht – weil sie auf Kuppen besonders sinnvoll seien und für einen wirtschaftlichen Betrieb 230 bis 250 Meter hoch sein müssten. Sing und seine Mitstreiter sprechen Politiker und Staatssekretäre an. Wenn sie auf diesem Weg nicht bald Erfolg haben, wollen sie sich mit einer Petition an den Deutschen Bundestag wenden. „Die ist schon vorbereitet“, betont der Ingenieur.
Konzentrationsflächen machen sieben Prozent der Landkreisfläche aus
Die Konzentrationsflächen machen knapp sieben Prozent der Landkreisfläche aus, sie werden aber teils von Wasserschutzgebieten überlagert. Am konkretesten sind die Pläne der Gemeinde Krailling. Sie will im Kreuzlinger Forst südöstlich der A 96 bis zu vier Windräder errichten, die leichte Anhebung der Flughöhen im vergangenen Jahr lässt das Vorhaben realistischer werden. Ende 2022 machte sich auch Wörthsee per Gemeinderatsbeschluss auf den Weg zu fünf Windrädern. Sie sollen im Nordosten von Etterschlag entstehen. Starnberg, Seefeld und Andechs teilen sich eine größere Konzentrationsfläche im Dreieck zwischen Perchting, Drößling und Frieding. Die Bürgermeister halten sich, angesprochen darauf, öffentlich noch bedeckt. Seefelds Klaus Kögel betont aber, dass er bei der Windenergie Potenzial in interkommunaler Zusammenarbeit sieht.
„Das größte Hemmnis ist aus dem Weg geräumt“, sagt Gilchings Bürgermeister Manfred Walter. Das gilt in Bezug auf die Flughöhen zumindest für seine Gemeinde. Für Gilching kommt als einzige Konzentrationsfläche jene in Frage, die im Westen an Schöngeising und Alling grenzt. Viel mehr als eine lose Kontaktaufnahme mit den Nachbargemeinden ist bislang aber nicht passiert. Drei andere Standorte scheiden laut Walter aus, weil sie zu nah am Sonderflughafen Oberpfaffenhofen liegen.
In Gauting, das insgesamt fünf Konzentrationsflächen ausgewiesen hat, läuft noch eine Machbarkeitsstudie. Sie sei aber wegen einer Erkrankung des Sachverständigen bisher noch nicht im Gemeinderat vorgestellt worden, sagt Bürgermeisterin Dr. Brigitte Kössinger. Dies solle aber „zeitnah“ geschehen. Untersucht werde, ob sich der Windertrag wirtschaftlich rechnen würde und wo es Kollisionen mit Tier- und Naturschutz gibt.
Landrat Stefan Frey: „Es wird noch viel politischen Ärger geben“
Wer Innings Bürgermeister Walter Bleimaier erzählt, der Starnberger Merkur verschaffe sich einen Überblick zur Windkraft im Landkreis, erntet den Kommentar: „Wenn Sie den haben, dann schicken Sie ihn mir bitte.“ Ein Bürgerentscheid verhinderte 2015 drei geplante Windräder nördlich der A 96 mit knapp 54 Prozent der Stimmen. Bleimaier will die Bemühungen um die Grundstücke von damals wieder aufnehmen und auch die Kooperation mit den Stadtwerken München.
Einen Sturm gegen die Windenergie gab es im Jahr 2012 auch in Aschering. „Ohne die Bevölkerung ist so ein Projekt nicht vorstellbar“, sagt Pöckings Bürgermeister Rainer Schnitzler. Eine Umsetzung auf der potenziellen Fläche südwestlich des Ortsteils scheitere derzeit aber ohnehin – na klar – an den Flughöhen. Still um die Windkraft ist es auch in Weßling, auch wegen des Flughafens. Herrsching, Feldafing und Tutzing haben geografisch bedingt und aus Naturschutzgründen 2012 gar keine Konzentrationsflächen ausgewiesen.
Fünf bis sieben Jahre dauert es in Deutschland, bis ein geplantes Windrad auch gebaut ist. „Mit unseren Standards wird es nicht schneller gehen“, sagt Landrat Frey. „Nur wenn man Rechtswege und Fachliches beschneidet.“ Er denkt dabei an langwierige Artenschutzgutachten für Rotmilan oder Weißstorch. Und der Landrat prophezeit: „Es wird noch viel politischen Ärger geben. Viele Gemeinden haben noch gar keine Flächen und Planungen.“ Katrin Möhlmann vom Planungsverband macht zumindest etwas Hoffnung: „Zur Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energie-Anlagen hat die Staatsregierung im Haushalt 2023 hundert zusätzliche Stellen geplant. Sie werden vor allem bei den sieben Bezirksregierungen geschaffen.“
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