Blechlawine rollt weiter, aber langsamer

Die Kritiker fühlen sich bestätigt, viele Bürger sind enttäuscht: Ein halbes Jahr nach der Eröffnung der Ortsumgehung Weßling quält sich immer noch jeden Tag eine Blechlawine durch den Ort. Die Straßenbaubehörde bittet um Geduld und will demnächst Zahlen präsentieren.
Weßling – „Meine Frau war gegen die Umgehungsstraße, ich dafür“, erinnert sich Kurt Aenishänslin an den familieninternen Zwist im Café am See. Sechs Monate nach der Eröffnung der Weßlinger Umgehung gibt es einen klaren Sieger: „Meine Frau hat Recht“, räumt der Gastwirt freimütig ein und fügt traurig hinzu: „Wir sind sehr enttäuscht.“
Aenishänslin und viele andere Weßlinger regen sich darüber auf, dass sich an der Blechlawine im Ort nichts geändert hat. Einzig das Vorankommen darin ist beschwerlicher geworden, weil die Gemeinde bekanntlich Hindernisse auf der Hauptstraße gebaut hat, die den Verkehr ausbremsen: in der Hoffnung, dass die Fahrer das nächste Mal auf die Umgehung ausweichen. Aenishänslin, seit 1971 Anlieger der Hauptstraße, beobachtet das kaum. Höchstens um 20 bis 30 Prozent habe der Verkehr abgenommen, schätzt der Gastronom, der den Kopf schüttelt: „Man hat die Lastwagen nicht herausgebracht, und Tempo 30 konnten wir auch nicht machen“, schimpft der 70-Jährige. Die Lkw empfindet der Weßlinger nun sogar noch schlimmer als früher. Wegen der vielen Hindernisse werde ständig „gebremst, gehupt und angefahren“.
Das beobachtet auch die örtliche Tankstellenpächterin Brigitte Aichinger: Die Autos stehen ihren Angaben nach jetzt öfter als früher, für den Bus sei es schwer, durchzukommen. Besonders voll sei es morgens zwischen 7 und 9 Uhr, berichtet die Tankstellenpächterin. Beschweren will sich Aichinger darüber freilich nicht: „Das Geschäft ist gefühlt gleichgeblieben“, freut sich die Tankstellen-Chefin über ihren aktuellen Umsatz, den sie aber noch nicht mit dem aus der Zeit vor der Umgehung verglichen hat.
Nicht ganz so entspannt wie Aichinger sehen es die Verantwortlichen, schließlich hat die Umgehung viel Geld gekostet: Zwölf Millionen Euro kostete die Straße, 15 Prozent davon trägt die Gemeinde. Christian Probst vom zuständigen Staatlichen Bauamt in Weilheim nimmt die aktuelle Kritik dann auch gleich mal zum Anlass, daran zu erinnern, dass von Anfang klar gewesen sei, dass Weßling nie autofrei sein werde: In der nach wie vor aktuellen Verkehrsprognose wird demnach davon ausgegangen, dass im Jahr 2025 täglich 8000 Kfz durch Weßling rollen werden. Zum Vergleich: Eine durchschnittliche bayerische Staatsstraße wird täglich von 3851 Kfz befahren, eine oberbayerische von 4999. „Da sind 8000 eine Menge Holz“, gibt Probst mit Blick auf Weßling zu. Aber er gibt zu bedenken: Viel sei Ziel- und Quellverkehr, also „hausgemacht“. Und der Experte sagt nochmal in Richtung Weßling: „Man muss realistisch sein, die Zahlen waren vorher bekannt.“
Ein bisschen Hoffnung macht Probst den Bürgern dann aber doch: Der sechsspurige Ausbau der A96 bis Etterschlag sei im vordringlichen Bedarf des Straßenverkehrswegeplans, „bis 2030 könnte gebaut werden“. Dann rechnet der Bauamtsmitarbeiter damit, dass noch mehr Autos um Weßling herumfahren werden. Überdies verweist der Experte auch auf die Gilchinger Westumfahrung, die ab 2018 gebaut werden und Entlastung bringen soll. Probst: „Es folgt ein Baustein nach dem nächsten, die Weichen sind gestellt.“
Ähnlich optimistisch sieht es der Vorsitzende des Verkehrsvereins Weßling, Roland von Rebay, der an vorderster Front mit für den Bau der Umgehung gekämpft hatte. Den Grund für den derzeit noch starken Verkehr im Ort sieht der vor allem in den täglichen Staus auf der Autobahn 96; sie wird bekanntlich zwischen Oberpfaffenhofen und Germering auf sechs Spuren ausgebaut. Von Rebay, selbst Anwohner der Hauptstraße, sieht trotz des Verkehrs schon jetzt viel erreicht: „90 Prozent der Anwohner sind total happy, weil es langsamer geht“, weiß der CSU-Gemeinderat. Und er schätzt, dass der Verkehr zwischen Grünsinker Straße und Ortausgang Richtung Seefeld schon um 30 bis 50 Prozent abgenommen hat. „Und das zweite Hauptziel haben wir schon zu 100 Prozent erreicht“, macht von Rebay klar. Die Gemeinde könne die Hauptstraße umbauen und auch Tempo-30-Bereiche ausweisen.
Christian Probst vom Staatlichen Bauamt hat ebenso wie von Rebay Hoffnung, dass sich die aktuelle Verkehrsbelastung im Ort weiter zurückgeht. „Weßling braucht vielleicht ein bisschen Geduld, bis sich der Verkehr umgelagert hat“, meint der Fachmann, der demnächst Zahlen präsentiert. Derzeit wird seinen Angaben nach das Verkehrsaufkommen auf der Umgehung gemessen. Mit einem Ergebnis rechnet Probst in fünf bis sechs Wochen. Auch Weßling will, wie berichtet, im Juni den Verkehr auf der Hauptstraße zählen.
Verkehrsprognose:
Die Verkehrsprognose für die Weßlinger Umgehungsstraße bis 2025 liegt bei rund 12500 Kfz pro Tag, für die Hauptstraße bei 8000. Vor dem Bau der Umfahrung waren es laut Staatlichem Bauamt 14000 bis 16000 Kfz, die täglich durch Weßling rollten. Wie viele es im Augenblick im Ort und auf der Umgehung sind, weiß derzeit niemand genau. Staatliches Bauamt und Gemeinde zählen jetzt, demnächst werden die Ergebnisse vorgestellt. |