Emphatischer Barock trifft gechillten Jazz

Das Weihnachtsoratorium von Bach ist einer der unsterblichen Klassiker der Weihnachtszeit. In Iffel-dorf wurde er nun in einer durch und durch verjazzten Variante aufgeführt. Das Publikum jauchzte und frohlockte.
Iffeldorf – Alte Musik und Jazz: Kann das zusammen gehen? Viele Klassik-Fans sind da eher skeptisch. Dabei gibt es viele Gemeinsamkeiten: Die (im Vergleich zum klassischen Standardrepertoire gesehen) kleinere, transparentere Besetzung, die selbstverständliche Einbeziehung der Improvisationskunst, weshalb in den Noten vieles gar nicht notiert ist, und die dadurch bedingte größere Freiheit der Interpreten – die manche Hörer als größere Lebendigkeit erleben.
Galt Jacques Loussier mit seinem 1959 gegründeten Play Bach Trio noch als schillernder Exot, sind verjazzte Bach-Programme heute keine Seltenheit mehr. Gleich ein ganzes Werk in Jazz präsentiert zu bekommen ist aber immer noch die Ausnahme. Entsprechend gespannt war das Publikum am Vorabend des 4. Advents im übervollen Saal des Gemeindezentrums, wo Andrea Fessmann die Jazz-Fassung des Weihnachtsoratoriums von Stephan König zur Aufführung brachte.
„Jauchzet, frohlocket“ mit E-Gitarre und Flügel
Nicht zum ersten Mal, denn das Werk konnte im Januar 2016 hier bereits einen sensationellen Erfolg verbuchen. Der KlangKunst Chor Iffeldorf, das Iffeldorfer Bachorchester und die Gesangssolisten Katja Stuber, Anna Holzhauser, Martin Petzold und Maximilian Höcherl betraten also vertrautes Terrain; das Stephan König Jazz-Quartett aus Leipzig sowieso. Und so spürte man vom ersten Takt an die unbändige Freude und Musizierlust aller Interpreten, die sofort auf das Publikum übersprang.
Der überaus bekannte Eingangschor „Jauchzet, frohlocket“ hebt fast in gewohnter Manier an, wären da nicht die E-Gitarre und der Flügel, die sich aber noch in Bachs Partitur einfügen.
Der Chor zeigt sich glänzend präpariert. Schönste, barocke Klangpracht mit den sprichwörtlichen Pauken und Trompeten. Nahtloser Übergang zum Jazz-Quartett (Reiko Brockelt, Saxophon, Thomas Stahr, Bass, Wieland Götze, Schlagzeug, und Komponist König am Klavier), das mit Bachs Themen spielt – was erstaunlicherweise nicht als Bruch empfunden wird. Der barocken A-B-A-Form gemäß geht es ebenso gleitend zum Chor- und Orchesterapparat mit seinem barocken Jubel zurück.
Ineinanderfließen der Stile
Diese Verschränkung, das Ineinanderfließen der Stile, kennzeichnet das ganze Werk. Selten sind reine Jazz-Nummern, in denen Bachsche Fragmente hie und da aufschimmern, ebenso selten originaler Bach. Und die extrem gegensätzlichen Grundhaltungen, die emphatisch aufgeladene der Barockmusik und die lässig gechillte des Jazz, stehen sich immer wieder gegenüber.
Noch deutlicher wird das im Gesangsquartett, wenn die zwei klassischen Sänger (Stuber und Petzold) und die zwei Jazz-Sänger (Holzhauser und Höcherl) gleichzeitig agieren. Es gibt ein paar Zuhörer, die dieser Stilmix verwirrt.
Aufgeschnappte Pausengespräche verraten es. Aber die überwiegende Mehrzahl ist hingerissen von der speziellen Melange. Und eines ist unbestreitbar: Die lockere Jazz-Haltung kann Zugangsbarrieren abbauen.
Das wird insbesondere in den Arien deutlich. Denn die klassische Gesangstechnik mit ihrer hochartifiziellen Stimmführung schreckt manche Hörer ab. Kommt „Bereite dich, Zion“ stattdessen als lässig erzählte Jazz-Nummer mit sanftem Klavier, dezentem Schlagzeug und kuscheligem Streicherteppich, gibt es keine Hör-Barriere.
Chor läuft durch den Saal
Dass manches an Ausdruck dabei auch verloren geht, etwa das majestätisch Auftrumpfende der Bass-Arie „Großer Herr, o starker König“, steht auf einem anderen Blatt. Dafür kommen neue Elemente hinzu – wie die großartige Idee, den Chor mit „Lasset uns nun gehen gen Bethlehem“ vom Podest hinunter steigen und in den Saal laufen zu lassen.
Das ist eine dramaturgische Aufbereitung, die den Sinn der Aussage verdeutlicht. Und was hätte Bach wohl dazu gesagt? Da die Barockzeit ohnehin dazu neigte, Stile zu verschmelzen und Anleihen bei anderen Traditionen zu machen (was gerade Bach meisterlich beherrschte), darf man davon ausgehen, dass er solchen Grenzüberschreitungen grundsätzlich positiv gegenüber stehen würde.
Ein Konzertbesucher meinte zwar, Bachs Partitur sei so perfekt, dass man sie am besten so belassen sollte, doch Königs Fassung soll und muss das Werk des größten Thomaskantors ja nicht ersetzen. Eine spannende Hör-Alternative bietet sie unbedingt. Von Sabine Näher