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Weil bayerische Gastfamilien Zimmer wieder brauchen: Ukrainer in Not – „Dann ziehen wir in die Turnhalle“

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Von: Cornelia Schramm

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Oleksandr Riumin, seine Frau Iryna und sein Sohn Misha
Glück mit Ablaufdatum: Oleksandr Riumin, seine Frau Iryna und sein Sohn Misha müssen bis Ende der Woche eine neue Bleibe gefunden haben. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Rund 100 000 Ukrainer sind in Bayern in Privathaushalten untergekommen. Immer mehr Gastfamilien brauchen ihre Zimmer aber zurück. Für die Geflüchteten ist es fast unmöglich, eine Wohnung zu finden.

Königsdorf – Glück auf Zeit – das haben Oleksandr Riumin, seine Frau Iryna und ihr siebenjähriger Sohn Misha die letzten Monate oft erlebt. Nach ihrer Flucht aus der Ukraine kam die Familie im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen unter. Zuerst in einem Hotel, dann in einer Ferienwohnung und dann in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Königsdorf. Aber auch dieses Mal hat ihr Glück ein Ablaufdatum. Die Familie muss ausziehen – bis 1. August.

Riumin sitzt am Küchentisch und klickt sich am Handy durch Anzeigen auf Wohnungsportalen. „Dass wir wegen Eigenbedarf nur bis Ende Juli hier wohnen können, war immer klar“, sagt der 33-Jährige. „Wir wurden herzlich empfangen und sind sehr dankbar.“ Seit Juli ist Riumin Physiotherapeut in der Buchberg-Klinik in Tölz. Arbeit hat er gefunden, eine Wohnung nicht. Seit zweieinhalb Monaten schickt er jeden Tag Bewerbungen ab. 15 Absagen hat er bekommen. „Die meisten Vermieter melden sich nicht zurück. Es ist schwer, weil wir keine gültige Schufa-Auskunft haben.“

Krieg in der Ukraine: Viele Geflüchtete suchen dringend eine feste Wohnung

Wie Oleksandr und Iryna geht es in Bayern gerade vielen Ukrainern. Seit Kriegsbeginn sind laut Innenministerium rund 148 000 Flüchtlinge im Freistaat angekommen – und das sind nur die registrierten. Schätzungsweise sollen zwei Drittel von ihnen privat untergekommen sein, ein Großteil aber nur vorübergehend. In den ersten beiden Juli-Wochen sind nur 1600 Flüchtlinge angekommen (zum Vergleich: im März 73 500). Sie, aber auch viele Ukrainer, die schon monatelang hier sind, suchen jetzt dringend eine Wohnung.

Der Geretsrieder Vitalijs Glibickis hält im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen seit März nach Wohnungen für Geflüchtete Ausschau. „Ich habe geahnt, dass die Lage im Sommer dramatisch wird. Jetzt haben Hotels und Ferienwohnungen Hochsaison, weshalb die Angebote nur befristet waren“, sagt der 34-Jährige.

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Auch das Landratsamt teilt mit: „Der Bedarf an Wohnraum steigt kontinuierlich, da Mietverträge nur befristet sind und auslaufen.“ Da in den Turnhallen in Tölz und Wolfratshausen, in Hotels und anderen staatlich angemieteten Unterkünften nur 482 der insgesamt 1613 Ukrainer leben, werde Wohnraum dringend benötigt – da Privatangebote nun oft wegfallen.

Gefüchtete Ukrainer in Bayern: Viele Landkreise

Auch andere Landkreise sind alarmiert. „Wir suchen alles nach größeren Objekten ab, um Menschen im Notfall unterbringen zu können“, sagt der Starnberger Landrat Stefan Frey (CSU). Turnhallen sollen die letzte Lösung sein. „Unter anderem haben wir in Gauting ein altes Fabrik- und Bürogebäude für 100 000 Euro hergerichtet, bis zu 120 Menschen hätten hier Platz.“ 120 weitere Plätze sind noch in kleineren Unterkünften frei. „240 Plätze klingt nach viel, aber schon jetzt trudeln bei uns pro Woche 30 Anfragen von Ukrainern ein, die eine Wohnung suchen“, sagt Frey. „Wir glauben, dass es bald an die 50 sind und dann kommen wir sehr schnell an unsere Grenzen.“ Denn: Von 2030 ukrainischen Geflüchteten sind in Starnberg 1600 privat untergekommen. „Es war nobel, Wohnraum zu stellen, aber es ist verständlich, dass das für Privatleute nicht länger als vier Monate tragbar ist.“

Vom Bund fühlt sich Frey im Stich gelassen. Der übernimmt zwei Drittel der Unterbringungskosten. „Ein Drittel fällt für die Kommune an und die hat auch das schwere Los, Räumlichkeiten zu finden“, sagt Frey. Er fordert mehr finanzielle Unterstützung und eine gerechtere Verteilung der Geflüchteten in Bayern. „Unser Landkreis hat 35 Prozent mehr Flüchtlinge in Privathaushalten untergebracht als andere. Bleiben alle hier, sind das hunderttausende von Euro, die im Kreishaushalt fehlen.“

Krieg in der Ukraine: Städtetag sieht Problem bei Unterbringung in ganz Bayern

Der Bayerische Städtetag hat das kommen sehen: „Es gibt noch keine Zahlen, aber wir bemerken, dass es in ganz Bayern zum Problem wird“, sagt ein Sprecher. „Besonders betroffen ist der Süden mit dem Großraum München. In der Stadt gibt eine große ukrainische Gemeinschaft – und die Wohnungsnot ist ja ohnehin riesig.“

Mit gebrochenem Deutsch und Hartz IV sind Ukrainer für viele Vermieter nicht die erste Wahl, sagt Vitalijs Glibickis. Vor Kurzem hat der Geretsrieder trotzdem das Unmögliche geschafft – und eine Wohnung für eine alleinerziehende Ukrainerin und ihre Tochter gefunden. „Sie wollten hier bleiben, hatten aber keine Chance“, sagt er. „Jetzt sind sie nach Unterschleißheim gezogen.“ Ein harter Schritt für die Frau, in Geretsried hatten sie schon Freunde gefunden.

Kinder gehen zur Schule, lernen Deutsch und finden Freunde – und ihre Eltern Arbeit. So ist es auch bei Riumin und seiner Familie. Die drei wollen nicht allzu weit weg ziehen. „Ich liebe meinen Job in der Klinik und Iryna leitet als Diplom-Psychologin und Englischlehrerin eine Willkommensklasse in Geretsried.“ Wenn sie in den nächsten Tagen keine Wohnung finden, bleibt keine Wahl: „Dann ziehen wir nach Wolfratshausen in die Turnhalle“, sagt Riumin. Hoffentlich nur eine Notlösung mit Ablaufdatum.

Sie können helfen?

Wenn Sie eine Wohnung haben, die Sie Oleksandr und Iryna Riumin vermieten wollen, melden Sie sich gerne bei uns: cornelia.schramm@merkur.de

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