Demmel: Wir befinden uns jetzt im Hirn unseres Hofs, im Serverraum.
Anastasiadis: Was sieht man auf den Bildschirmen?
Demmel: Hier laufen alle Steuerungen zusammen. Man sieht, wer gerade wie viel Strom verbraucht. Unser Energiemanagment-System sorgt dafür, dass der Strom richtig verteilt wird. Es gibt Dinge, die warten können, etwa die Güllepumpe. Die läuft, wenn die Photovoltaik-Anlage mittags Vollgas gibt. Aber der Melkroboter muss immer laufen.
Anastasiadis: Der Landwirt als Energie-Erzeuger. Kann das ein Modell für die Zukunft sein?
Demmel: Davon bin ich fest überzeugt, und das lässt sich auch relativ leicht durchrechnen. Es gibt in Bayern etwa 30 000 Höfe. Wenn auch nur ein Drittel von ihnen, also 10 000, so viel Strom produziert wie wir, dann kommen wir stundenweise bei Lastspitzen von 2500 Megawatt raus. Und das entspricht dem, was die Atomkraftwerke Isar 1 und 2 produzieren! Und zwar zusammen. Das sind die ungehobenen Potenziale, die ich meine. Und wir reden im Moment vom Fracking! Man möchte im Boden versinken.
Anastasiadis: Was droht unserer Landwirtschaft, wenn sich nichts ändert?
Demmel: Man muss nur nach Russland oder nach Amerika schauen. Was man da sieht, sind Agrarwüsten. Da holt man mit Chemie aus dem Boden das Maximale raus, solange es eben funktioniert. Das Perverse ist ja, dass sich diese ökologisch katastrophale Vorgehensweise wirtschaftlich rechnet.
Anastasiadis: Haben Sie vielen Dank für die Führung über Ihren Hof, Herr Demmel. Ich bin sehr beeindruckt. Was treibt Sie an, einen solch außergewöhnlichen Hof zu führen?
Demmel: Die Grundmotivation ist die Sorge um die Welt, in der meine Kinder und Enkel leben werden. Ich sehe es durchaus global: Wenn es so weitergeht, machen wir den Planeten kaputt. Wenn unsere Generation später einmal gefragt wird: „Habt Ihr nichts gemerkt?“, dann möchte ich antworten können: „Wir haben uns mit allen Möglichkeiten dagegengestemmt.“
Anastasiadis: Die Welt erlebt gerade einen Krieg, der die Parameter auch für die Landwirtschaft neu definiert. Ist dieser Krieg bei aller Tragik auch eine Chance?
Demmel: Die Landwirtschaft kriegt wie alle Lebensbereiche die negativen Konsequenzen zu spüren, Stichwort Dieselpreis. Der macht natürlich auch uns Landwirten viel zu schaffen. Es gibt aber momentan auch diesen Hallo-wach-Effekt, dass Eigenversorgung enorm wichtig ist. Es ist höchste Zeit, die europäische Agrarpolitik neu anzugehen.
Anastasiadis: Wo würden Sie ansetzen?
Demmel: Man müssten eine ehrliche Eröffnungsbilanz machen, die vor allem zeigt, wie viele Menschen in Zukunft ernährt werden müssen. Ich persönlich gehe von 550 Millionen in Europa aus, wenn man die zu erwartenden Fluchtbewegungen mit einrechnet. Und dann müsste man überlegen, wie man vorgeht. Nur bio wird es nicht gehen, wir brauchen auch die konventionelle Landwirtschaft.
Anastasiadis: Die Grünen sagen, dass die Getreideknappheit furchtbare Folgen für die Dritte Welt haben wird. Wir sollen den Fleisch- und Milchkonsum reduzieren, damit das Getreide zu den Menschen in Afrika kommt und nicht in die Tiermägen. Stimmen Sie zu?
Demmel: Es steht außer Frage, dass es sinnvoller ist, weniger Fleisch zu essen. Aber die Pauschalisierung hilft uns nicht weiter. Im Grünlandgürtel wie bei uns im Tölzer Land geht ohne Tiermägen nichts. Über ihn wandeln wir Gras in Milch und Fleisch um. Das ist inzwischen auch bei Landwirtschaftsminister Özdemir angekommen.
Anastasiadis: Sie haben vorhin von Leuchtturm oder Mahnmal gesprochen. Hand aufs Herz: Geht es aktuell in Richtung Leuchtturm oder Richtung Mahnmal?
Demmel: Im Moment bin ich nicht optimistisch. Es muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Aber noch ist es Zeit aufzurütteln.
VON VOLKER UFERTINGER (TEXT) UND MARCUS SCHLAF (FOTOS)
Schönrain – Franz Demmel (51) führt den Huabahof in der zehnten Generation. Er war Eishockey-Profi für die Kölner Haie und die Tölzer Löwen und hat Technischen Umweltschutz studiert. 2019 entschied er sich, einige hundert Meter vom ursprünglichen Hof entfernt einen neuen, möglichst tier- und umweltfreundlichen Milchviehstall zu bauen, der CO2-neutrale Rinderhaltung ermöglicht.
Zusammen mit seiner Frau Gerlinde, Tochter Kathi und Sohn Xaver führt er den Familienbetrieb. Hier ein paar Beispiele, was den Betrieb einzigartig macht.
- Für die Stallkonstruktion, das Dach und die Fassade hat Demmel Fichten- und Lärchenholz verwendet. Die massiven Holzplatten sorgen dafür, dass sich der Stall im Sommer nicht aufheizt. Für einen zusätzlichen Dämmeffekt sorgen die Ziegel sowie die Photovoltaikanlage auf dem Dach.
- Der Laufstall ist 55 Meter lang und 30 Meter breit. Der First hat eine Höhe von 10,55 Meter. Die Lauffläche besteht aus Beton und Gummi. Unter dem Stallboden befinden sich Gummiklappen mit einem schmalen Schlitz, die sich nur öffnen, wenn Gülle kommt. Dann zieht sich der Gummi wieder zusammen. So werden bis zu 60 Prozent der Ammoniak-Emissionen reduziert. Ein Spaltenroboter reinigt den Boden und trägt dazu bei, dass die Klauen der Kühe gesund bleiben.
- Das Melken übernehmen zwei Roboter. Seit dem Umzug in den Stall im März 2020 geben sie deutlich mehr Milch. Am Tag unseres Besuchs hat Kuh Minosch 46 Liter gegeben, sehr viel für eine Biokuh. Eine Mastitis, also eine Euterentzündung, kommt nur sehr selten vor.
- Am Huabahof fahren alle Fahrzeuge elektrisch, bis auf die Traktoren. Dazu gehören die E-Hoflader, ein E-Radlader sowie der E-Futtermischwagen. Den Prototyp eines E-Traktors hat Xaver Demmel kürzlich ausprobiert und gute Erfahrungen gemacht. Franz Demmel würde sich wünschen, dass die Hersteller ihre Fahrzeuge bidirektional bauen, sprich: be- und entladefähig. Das würde es ermöglichen, landwirtschaftliche Maschinen als mobile Speicher zu nutzen.
- Den benötigten Strom produzieren die Demmels mit der Photovoltaikanlage fast ausschließlich selbst. Das sind an die 300 000 Kilowattstunden pro Jahr. Ein stationärer Lithium-Ionen-Akku speichert den Sonnenstrom und verteilt ihn je nach Bedarf auf die Maschinen und Geräte. Den meisten Strom verbrauchen die Melkroboter, rund 20 Kilowattstunden am Tag. Auch die Milch kühlen die Demmels mit Sonnenstrom.
- Die Familie hofft, dass bald auch andere Landwirte auf den E-Zug aufspringen. Ihre Vision ist es, ein regionales Energienetz aufzubauen. 10 000 Höfe könnten 2500 Megawatt Strom erzeugen.
- Beim Bau seines Milchviehstalls hat Franz Demmel mit der Wissenschaft zusammengearbeitet, und zwar mit der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und der TU München. Der Huabahof ist Partner der Initiative „Stall 4.0 – Cow Energy“. Gemeinsam entwickelte man einen Prototyp des Energie-Management-Systems, das den mit der Photovoltaikanlage erzeugten Strom intelligent verteilt. „Je nachdem, was gerade anliegt, schafft das System Prioritäten“, erklärt Prof. Jörn Stumpenhausen. Der Melkroboter etwa muss ständig laufen, die Viehbürste jedoch nicht. Doch der Strom dient nicht nur dem Betrieb des Bauernhofs, sondern kann etwa zur Hälfte auch ins Netz eingespeist werden. Demnächst soll das in Schönrain erprobte Prinzip auf weitere Höfe übertragen werden, etwa einen Hopfenanbau-Betrieb.
Stumpenhausen ist überzeugt, dass viele Landwirte mitziehen würden, aber: „Von einer unbürokratischen Regelung sind wir weit entfernt.“ Der Huabahof sei „weltweit einzigartig“ und allseits bekannt. „Den kennt man auch in St. Petersburg und Peking.“