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Ein Selbstversuch zur Fastenzeit: Fluchen ist für einen Tag verboten

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Von: Dominik Stallein

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Verbale Selbstversuche: Fluchen verboten, Schweigen erlaubt.
Ein Selbstversuch: Fluchen ist für einen Tag verboten © dpa

Unsere Redaktion fastet in diesem Jahr anders: Einen Tag lang verzichten wir auf Angewohnheiten. Redakteur Dominik Stallein hat 24 Stunden lang nicht geflucht.

Wolfratshausen – Bei Babys ist es „Mama“ oder „Papa“. Mein erstes Wort an diesem Tag ist nicht jugendfrei. Ich höre den Wecker und reagiere darauf, wie ich meist reagiere: schlaftrunken mit einem Fluch. Was fällt dem Ding ein, mich zu wecken? Es ist der erste Fehltritt an einem Tag, der mir viel Selbstdisziplin abverlangen wird. Ich, der passionierte Grantler, darf einen Tag lang nicht fluchen. Nicht mal ein bisschen. Was für eine Schnapsidee.

Ein Pflaster vor dem Mund
Sicher ist sicher: Unser Redakteur Dominik Stallein grantelt gern – für einen Tag verzichtet er darauf. © SH

Ein Selbstversuch zur Fastenzeit: Fluchen ist für einen Tag verboten

Vorweg möchte ich etwas klarstellen, damit kein falsches Bild entsteht: Ich bin eigentlich ein ganz heiteres Seelchen von Mensch. Ich lache öfter als ich schimpfe und ich meine die beiläufig eingestreuten „F...“-, „Sch..“ und „Verda...“-Wörter gar nicht böse. Manchmal haben sie nicht einmal einen tieferen Sinn. Bisweilen motze ich einfach, um zu motzen.

So wie beim ersten Klingeln meines Weckers und dem täglich feuchten Nasen-Kuss meiner Katze, die sich so narrisch über mein Erwachen freut, wie ich mich darüber ärgere. Ich könnte den Selbstversuch jetzt als gescheitert betrachten, als Fastenbrecher in die Arbeit fahren und am Abend als Versager wieder nach Hause kommen. Aber mein Ehrgeiz ist geweckt. So schwer kann’s nicht sein, mal einen Tag der Sonnenschein selbst zu sein. Denke ich.

Granteln als Hobby: „Manchmal motze ich einfach, um zu motzen“

Auf meinem Weg zur Arbeit habe ich gute Laune – und zwar genau bis zur ersten Kreuzung. Da nimmt mir irgendein Hampelmann die Vorfahrt. Und ich, ich bin die Ruhe selbst. Mein Selbstversuch wird ein Erfolg, ich fühle das. Ich höre während der Fahrt keinen Hip-Hop, sondern Soft-Pop. Da ist die „F“-Wort-Dichte niedriger. Ich habe musikalisch vorgesorgt.

Auch in der Redaktion läuft mein fluchfreier Tag fabelhaft an. Dass der Kaffee alle ist und niemand einen Neuen aufgesetzt hat? Ficht mich nicht an. Dass ich meine Kopfhörer zu Hause vergessen habe? Geschenkt. Dass alle Kollegen etwas fürs Mittagessen dabei haben und ich mir als einziger etwas besorgen muss? Schnurzpiepegal. Das Fluchverbot ist wie eine Therapie. Kann ich nicht schimpfen, lohnt es sich viel weniger, mich zu ärgern.

Fast zwei Stunden geht das gut. Dann unterhalte ich mich mit einem Kollegen über einen Artikel. Der wurde – das erkläre ich wortwörtlich – online nicht nur oft angeklickt, sondern „verdammt oft“. Ich bin enttäuscht von meinem versehentlichen Fastenbrechen. Und was mache ich, wenn ich enttäuscht bin? Ich sage „Sch...“. Zwei Kraftausdrücke in kaum mehr als einer Sekunde. Der Teufel ist ein Eichhörnchen. Verdammtes Eichhörnchen.

Ein Tag ohne Fluchen - an jeder Ecke lauert die Gefahr

Ich muss offenbar schwerere Geschütze auffahren, um mein loses Mundwerk zu zügeln. An jeder Ecke lauert die Gefahr. Ich wähle eine unkonventionelle Vorgehensweise: Ich geißle mich selbst. Statt zu fluchen, schlage ich mir bei jedem Anflug von Zorn mit der Faust auf den Oberschenkel, begleitet von einem in die Länge gezogenen „A“-Laut. Ich schlage mich oft. Die Taktik funktioniert mäßig: Etwa eine Stunde später tut mir mein Bein weh, und ich würde deshalb sehr, sehr gerne fluchen.

Ich brauche eine neue Strategie – und ich finde sie in einem Körbchen. Darin liegen viele kleine Schokoriegel-Variationen. Wenn ich nun Gefahr laufe, dass ein unschönes Wörtchen meinen Mund verlässt, schiebe ich mir stattdessen ein Schokolädchen in meinen Mund. Für meine anvisierte Adonis-Figur ist es pures Gift, für meinen Verzicht aber höchst funktional. Nicht, weil mich Schokolade besänftigt. Aber mit vollem Mund ist schlecht schimpfen.

Am späten Nachmittag werde ich zum Fastenbrecher - aber mit gutem Grund

Am späten Nachmittag brauche ich mehr als Schokolade. Ich lösche aus Versehen einen kompletten Text, den ich gerade fertig geschrieben habe. Die Arbeit von einigen Stunden ist mit einem Knopfdruck futsch. Für immer. Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen der guten Laune: Ich habe nicht zwischengespeichert. Ein einziges Mal ist mir das bisher passiert. Damals habe ich geflucht wie ein Bierkutscher. Heute gehe ich rauchen. Schnell. Still. Ich gehe nicht rauchen, ich stampfe rauchen. Bei meiner Rückkehr sage ich meinen Kollegen nicht, dass ich vor der Türe heimlich geflucht habe. Ich habe „Sch...“ gesagt. Aber leise – und mit einem ganz schlechten Gewissen.

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