Interview mit Grünen-Rätin: „Was haben Sie gegen Autos, Frau Heinloth?“

Zum Interview mit unserer Zeitung kommt Annette Heinloth (Grüne), Dritte Bürgermeisterin von Wolfratshausen, mit dem Fahrrad - und verrät, dass sie das Auto „an und für sich“ für eine „geniale Erfindung“ hält.
- Unsere Zeitung traf sich mit Wolfratshausens Dritter Bürgermeisterin Annette Heinloth (Grüne) zum Interview.
- Sie stellt fest: Die Grünen sind nicht gegen Autos, sondern gegen fossile Brennstoffe jeder Art.
- Für Radfahrer in Wolfratshausen kann laut Heinloth noch einiges getan werden.
Wolfratshausen – Für die Energiewende ist nach Meinung der Wolfratshauser Grünen eine „echte Verkehrswende“ unabdingbar. Die könne aber nur gelingen, „wenn der motorisierte Individualverkehr zugunsten des ÖPNV und nicht motorisierten Verkehrs zurückgedrängt wird“, ist auf der Homepage des Ortsverbands zu lesen. Unsere Zeitung traf sich zum Interview mit Annette Heinloth, Dritte Bürgermeisterin und Grünen-Stadträtin. Zur Redaktion kam die 52-Jährige mit dem Fahrrad und sprach über eine „an und für sich“ geniale Erfindung und Fahrradschutzstreifen. Und sie beantwortete die Frage, ob die Loisachstadt den Titel „Fahrradfreundliche Kommune“ zurecht trägt.
Frau Heinloth, was haben Sie gegen Autos?
Ich habe gar nichts gegen Autos. Autos sind eigentlich eine wunderbare Erfindung, ein Meilenstein der Mobilität. Das Auto hat es vielen Menschen ermöglicht, von A nach B zu kommen, wann immer sie wollen. Dazu stellen sich bei vielen Menschen beim Thema Auto noch Gefühle ein wie das von Freiheit, Spaß und Kontrolle. Das Auto ist an und für sich eine geniale Erfindung.
Was fahren Sie für ein Auto?
Ich habe genau genommen nur ein halbes Auto, weil ich es mir mit meinem Lebenspartner teile. Eine uralte Mercedes A-Klasse mit Dieselmotor – aber der Wagen wird jetzt endlich gegen ein E-Fahrzeug ausgetauscht. Wir haben nur das Problem: Wir haben keine E-Ladestation vor unserer Haustür beziehungsweise in der Nähe. Aber ich persönlich fahre extrem selten mit dem Auto.
Obwohl Sie in München arbeiten...
...genau. Ich fahre mit dem Fahrrad zur S-Bahn, dann weiter mit der Bahn und an meinem Endhaltepunkt in München habe ich wieder ein Fahrrad stehen. Ich fahre damit auch durch München – und das mit Begeisterung. Weil man dort sieht, wie die Fahrrad-Infrastruktur fast monatlich verbessert wird.
Sind es nur böse Zungen, die behaupten, dass die Grünen das Autofahren verbieten wollen?
Die Grünen wollen weg von fossilen Brennstoffen jeder Art. Die Grünen wollen den Klimawandel stoppen. Und das gelingt nur, wenn wir uns von fossilen Brennstoffen verabschieden. Das weiß die Menschheit seit 40 Jahren. Die Verkehrswende vorantreiben bedeutet nicht, dass wir einfach gerne Bäume umarmen oder es gerne grün haben, sondern weil es eine Notwendigkeit für das Überleben der Menschheit ist.
Das kennt man ja von Herrn Söder. Wenn es wahltaktisch sinnvoll ist, übernimmt er gerne langjährige grüne Vorschläge und verkauft sie als seine eigenen.“
Dann umarmen Sie derzeit keine Bäume, sondern Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der sich für ein Zulassungsverbot von fossilen Verbrennungsmotoren ab 2035 ausgesprochen hat?
Das kennt man ja von Herrn Söder. Wenn es wahltaktisch sinnvoll ist, übernimmt er gerne langjährige grüne Vorschläge und verkauft sie als seine eigenen. Es ist auf der einen Seite erfreulich, dass er erkannt hat, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Andererseits ist es ein wenig bitter, dass es ihm nur auffällt, weil es aus seiner Sicht wahltaktisch Sinn macht – und dass es Herrn Söder erst fünf nach zwölf auffällt.
Der Abschied von fossilen Verbrennungsmotoren kostet laut Kritikern in Deutschland Millionen Arbeitsplätze.
Hätte man vor 40 Jahren wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich des Klimawandels ernst genommen, hätte man ohne großen Aufwand umschwenken können auf alternative Antriebe. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo dieser Switch immens aufwendig ist, weil fast unsere gesamte Industrie, fast unsere gesamte Mobilität auf fossiler Energie fußt. Nun ist das Umschwenken mit einem enormen Einsatz von Geld und Ressourcen verbunden. Die deutsche Ingenieurskunst hätte in den vergangenen 40 Jahren sehr viel bewegen können.
Aber dieses Umschwenken wird Arbeitsplätze kosten. Ist es eine Abwägung zwischen dem Abbau von Jobs und dem Stopp des Klimawandels?
Es muss eine Umwandlung in eine ökologische Moderne gelingen. Wir wollen ja nicht zurück zum Pferdefuhrwerk. Und diese Umwandlung wird neue Arbeitsplätze schaffen. Dass das nicht unproblematisch wird und mit viel Transformation und Weiterbildung verbunden ist, ist klar. Aber darin liegen auch riesige Chancen.
Auf welche Energie setzen Sie?
Es wird zu einer Verbreiterung des Angebots kommen, weg vom fossilen Verbrennungsmotor als Normalität. Ändern muss sich auch die Mobilitätsform, das heißt, es muss Schluss damit sein, dass ein einzelner Mensch in einer tonnenschweren Blechhülle individuell unterwegs ist. Dazu gehört, dass der Öffentliche Personennahverkehr und das Radfahren gestärkt werden. In puncto Individualverkehr ist E-Mobilität eine gute Alternative, nach meiner Einschätzung aber nicht der Stein der Weisen.
Warum nicht?
Wir wissen, dass E-Mobilität, zum Beispiel aufgrund der Gewinnung seltener Erden wie Kobalt, eine gewisse Problematik mit sich bringt. Zudem ist die Stromspeicherung nach wie vor technisch nicht ausgereift.
Ist es dann nicht absurd, quer durch Deutschland E-Ladestationen aufzubauen?
Ich denke, es wird in den nächsten Jahren dahin gehen müssen, parallele Systeme aufzubauen. Auch Wasserstoff ist eine interessante Technologie. Wie in der Evolution wird es Zweige geben, die schließlich nicht mehr weiterverfolgt werden. Im Moment geht es vor allem darum, Alternativen zum Verbrennungsmotor und zum Individualverkehr zu finden. Und: Wir müssen insgesamt weniger Auto fahren.
Wolfratshausen leidet laut Gutachten vor allem unter innerörtlichem Fahrzeugverkehr.
Ja, der Binnenverkehr ist ein großes Problem. Das bedeutet, Menschen fahren aus Wolfratshausen nach Wolfratshausen mit dem Pkw, beispielsweise von Waldram in die Altstadt. Hier gilt es, die Notwendigkeit, mit dem Auto zu fahren, zu ersetzen. Die Bürger und Bürgerinnen müssen eingeladen werden, andere Formen der Mobilität zu nutzen. Heißt: Öfter auf den Stadtbus oder das Fahrrad umsteigen.
Was ist hinsichtlich dieses Ziels in den vergangenen Jahren getan worden?
Unser Stadtbus hat sich recht positiv entwickelt, ich würde mir aber noch deutlich mehr Verbesserungen wünschen. Kommen wird ein dynamisches Fahrgastinformationssystem, das heißt, man sieht künftig etwa am Wasen auf einer Anzeigentafel, dass der nächste Stadtbus in fünf Minuten eintrifft. Das kann im Bewusstsein der Menschen, die nur den Pkw zur Fortbewegung auf dem Schirm haben, viel verändern.
Auch für die Radfahrer in der Stadt setzen sich die Grünen seit Jahren ein. Doch der Schutzstreifen entlang der Sauerlacher Straße hat Proteste ausgelöst.
Der Schutzstreifen dort war übrigens keine Forderung der Grünen. Aber die kontroverse Debatte macht ein Grundproblem deutlich: Viele Autofahrer stören diese und andere Maßnahmen zum Schutz von Radfahrern in ihrer Überzeugung, dass der öffentliche Raum, sprich die Straßen, ihnen, den Autofahrern gehört. Das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Privilegierung des Pkw-Verkehrs durch die Politik. Seit den 1970er-Jahren ist der öffentliche Raum quasi exklusiv für Autofahrer gestaltet worden. Viele fahren in dem Bewusstsein Auto, dass das so sein muss und seine Richtigkeit hat...
Unter dem Motto: mein Revier?
(lacht) Richtig! Man wird als Radfahrer ja manchmal angehupt oder sogar beschimpft, obwohl man sich absolut nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung verhält. Weil der Autofahrer nicht das Gefühl hat, dass er „seinen“ Raum mit anderen Straßenverkehrsteilnehmern teilen muss. Da ist ein Umdenken erforderlich, denn den öffentlichen Raum kann man nur einmal vergeben. Gerade in eng bebauten Städten wie Wolfratshausen ist die öffentliche Fläche eine endliche Ressource. Wenn ich den Radverkehr ausbauen und mehr Aufenthaltsqualität in der Stadt schaffen möchte, dann kann das durchaus zu Lasten des Autoverkehrs geschehen. An manchen Stellen kann er verlangsamt werden oder durch verkehrsberuhigte Zonen geleitet werden. Das ist einem Pkw-Fahrer auch zuzumuten, denn er ist ja ein erwachsener, intelligenter Mensch.
Die grüne Verkehrssenatorin in Berlin plädierte dafür, alle Autos mit Verbrennungsmotor aus der Bundeshauptstadt zu verbannen...
Ich denke, in Großstädten ist das ein unaufhaltsamer Prozess. Es werden immer mehr Auto-freie Zonen entstehen. Diese Entwicklung wird – langsam – auch in kleinen Städten zu spüren sein. Aber das ist nichts, was von heute auf morgen passiert. In jedem Fall muss vorab genau geprüft werden, was für das Gemeinwohl am meisten Sinn macht. Denn es gibt ja weiterhin Notwendigkeiten des Individualverkehrs. Eine dörfliche Bevölkerung kommt ohne Auto nicht klar und auch viele Bürger und Bürgerinnen einer Kleinstadt brauchen hin und wieder ein Auto. Oder Pflegedienste, Menschen mit Handicap sowie selbstredend Rettungskräfte.
„Umsteigen“! Nur dieser Appell wird mutmaßlich nicht fruchten.
Stimmt. Aufgabe von Politik und kommunaler Verwaltung ist es, Anreize zu schaffen und die Infrastruktur dafür herzustellen.
Stichwort Infrastruktur: Mitten im Bürgermeister-Wahlkampf erklärten Sie, dass Sie den Bau eines Parkhauses am Hatzplatz ablehnen.
Das stimmt so nicht. Gegen den Bau eines großen Parkhauses an der Stelle war ich von Beginn der Debatte an und habe dagegen gestimmt. Inzwischen ist es ja allgemeiner Tenor im Stadtrat, dass der Bau eines Parkhauses quasi mitten in der historischen Altstadt städtebaulich nicht zeitgemäß ist.
Ist der Standort Hatzplatz ein No-Go? Oder sind Parkhäuser in Stadtzentren generell aus der Zeit gefallen?
Aus meiner Sicht wäre es wichtig, den Hatzplatz verträglich und sicher umzugestalten. Wenn dabei mehr Parkplätze rauskommen, wäre das zu begrüßen. Doch Hand aufs Herz: Es ist nicht so, dass man auf dem Hatzplatz oder auf dem Loisachhallen-Parkplatz nie einen freien Platz findet. Wir brauchen ein sinnvolles Parkraumkonzept. Das sieht so aus, dass ich möglichst an den Rändern der Stadt Parkplätze schaffe sowie gut zu bewältigende Wege anlege, sodass jeder bequem dahin kommt, wo er in der Stadt hin möchte. Und: Je näher ich im Stadtzentrum parke, desto teurer sollte es sein.
Es ist ein Trugschluss zu denken, wenn ich Parkflächen in der Stadt anbiete, kommen die Kunden.“
Wo könnte in der Peripherie ein solcher Parkplatz angelegt werden?
Aufgrund der Topografie, Bergwald und Loisach, sind unsere Möglichkeiten bekanntlich begrenzt. Auf dem Reißbrett findet sich schnell eine Lösung – doch die ist nicht leicht umzusetzen. Ich denke, es müssen realistischerweise kleine, dezentrale Lösungen angedacht werden.
Die Wolfratshauser Liste hat vorgeschlagen, hinter dem ehemaligen Isar-Kaufhaus in der Altstadt ein großes Parkhaus zu bauen.
Es ist ein Trugschluss zu denken, wenn ich Parkflächen in der Stadt anbiete, kommen die Kunden. Aktuelle Studien zeigen, dass die Menschen eine Aufenthaltsqualität höher schätzen. Der Handel blüht in denjenigen Innenstädten auf, in denen wenig Autos fahren.
Was muss für die Radfahrer in der Flößerstadt noch konkret getan werden?
Wir haben kaum echte Fahrradwege, vieles sind Provisorien, die Radfahrer leiden unter – sagen wir mal – suboptimalen Zuständen. Auch das ist häufig der Topografie und der engen Bebauung geschuldet. Der Stadtrat kann sich nur im Abwägen um Kompromisslösungen bemühen.
Und dazu gehören unter anderem Fahrradschutzstreifen...
Die haben an vielen Stellen ihre Berechtigung. Auch, um dem Autofahrer zu signalisieren, dass es außer ihm noch andere Verkehrsteilnehmer auf diesem Straßenabschnitt gibt. Wir müssen auch über Fahrradstraßen nachdenken, die es in München schon zigfach gibt. Autofahrer dürfen diese Straßen nutzen, aber Radfahrer sind bevorrechtigt. Zugegeben: In Kleinstädten ist das noch ein Novum. Die Geltinger Straße wäre in meinen Augen sehr gut dazu geeignet, sie in eine Fahrradstraße umzuwidmen. Auch wenn Wolfratshausen kaum je zum Fahrrad-Paradies werden wird, gibt es doch reichlich Verbesserungspotenzial. Ich wünsche mir zum Beispiel eine durchgehende Fahrradstrecke von Waldram in die Innenstadt, die entsprechend farblich markiert ist. Unterm Strich braucht’s intelligente Lösungen für alle Verkehrsteilnehmenden.
Dazu zählt das Einbremsen von Pkw und Lkw?
Wir haben in sehr vielen Bereichen aufgrund des Lärmaktionsplans, den der Stadtrat verabschiedet hat, mittlerweile Tempo 30. Aber die Überwachung funktioniert noch nicht. Wenn’s keine Kontrollen gibt, macht das Aufstellen von Schildern wenig bis keinen Sinn. Es ist eine Aufgabe von Politik, die Schwächsten in unserer Gesellschaft zu schützen – nicht zuletzt im Straßenverkehr. Aus meiner Sicht könnte in Wolfratshausen in diesem Zusammenhang durchaus mehr Aktivität entwickelt werden. Aber: Nicht selten scheitert’s an überörtlichen Behörden. Hier muss die Verwaltungsspitze weiter um Verbesserungen für Wolfratshausen ringen. Doch auch für Behörden wie das Staatliche Bauamt galt über Jahrzehnte: Der motorisierte Individualverkehr hat Vorrang, der muss fließen. Alles andere ist nachrangig. Glücklicherweise findet hier mittlerweile ein Umdenken statt. Auch gesetzliche Grundlagen ändern sich.
Wolfratshausen trägt seit 2018 die Auszeichnung „Fahrradfreundliche Kommune“. In Ihren Augen zurecht?
(zögert) In den vergangenen Jahren sind viele Schritte auf diesem Weg gegangen worden. Es ist eine Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen in Bayern, das Wolfratshausen diesen Titel verdient hat.
Teilen Sie diese Einschätzung?
(zögert) Es ist noch Luft nach oben.
Lesen Sie auch: Das müssen Radfahrer in Wolfratshausen jetzt beachten.