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Selbstversuch zur Fastenzeit: Einen Tag die nackte Wahrheit sagen

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Von: Dominik Stallein

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Schriftzug: Ich darf nicht lügen
Ich darf nicht lügen: Unser Kollege hat 24 Stunden lang nicht geschwindelt - nicht mal aus Freundlichkeit. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Unsere Redaktion fastet in diesem Jahr anders: Redakteur Dominik Stallein hat 24 Stunden lang nicht geschwindelt – nichtmal aus Freundlichkeit.

Wolfratshausen – „Cogito ergo sum“: Ich denke, also bin ich. Das hat der Philosoph René Descartes gesagt, und der wird noch Jahrhunderte nach seinem Tod zitiert. „Mentio, ergo sum“: Ich lüge, also bin ich. Das sage ich, und kein Mensch wird mich damit jemals zitieren. Recht habe ich trotzdem. Es ist eine hässliche Wahrheit. Aber weil es in diesem Text um Wahrheiten geht, darf er so beginnen: Menschen lügen. Ständig. Wenn sie sagen, wie es ihnen geht, wenn sie nett sein wollen, wenn sie Angst haben. Es gibt unterschiedliche wissenschaftliche Befunde, wie oft am Tag wir alle die Unwahrheit sagen. Vier Mal, 200 Mal? Mir egal. Ich will kein einziges Mal schwindeln. Zumindest für einen Tag.

Dominik Stallein
Redakteur Dominik Stallein © Sabine Hermsdorf-Hiss

Menschen lügen ständig - keine großen Märchen, aber nette, kleine Freundlichkeiten

Ich glaube, dass mir das nicht schwerfällt. Ich erzähle ohnehin keine Münchhausener Märchen. Aber ich möchte nett zu meinen Mitmenschen sein. Und manchmal hilft es, wenn man die Wahrheit ein klitzekleines Bisschen dehnt. Ich gebe gerne ein Beispiel: Wenn ein Kumpel ein zum Niederknien hässliches Oberteil trägt und fragt, wie ich es finde, ist „zum Niederknien hässlich“ eine schlechte Antwort und der Kumpel danach ein Bekannter. Also würde ich „ganz okay“ lügen – und wir wären dann immer noch Kumpels.

„Ich darf nicht lügen“: 24 Stunden-Fasten wird zur Herausforderung... vor allem für meine Mitmenschen

Schwindeln aus Freundlichkeit ist etwas anderes als Lügen. So sehe ich das. Die Kollegen sehen es anders. Es ist also nicht meine Schuld, dass ich meiner dauerschwatzenden Gegenüberin beim Mittagessen ehrlich antworte. Sie fragt mich nämlich nach vier Minuten Geschwätz, wieso ich gerade so grimmig gucke. „Weil ich mir wünsche, dass Du Dir Essen in den Mund steckst, damit es für ein paar Sekunden ruhig ist.“ Immerhin: Es ist ruhiger danach. Die Stimmung aber nicht mehr sonderlich heiter. Eine kleine Lüge hätte alle zufriedengestellt. Kleine Lügen sind wie Schokolade. Vielleicht bereut man sie manchmal, aber gut dosiert tun sie niemandem weh und unterm Strich machen sie glücklicher.

Dummerweise kommen nicht nur meine Kollegen in den höchst zweifelhaften Genuss schonungsloser Ehrlichkeit. Als eine Kollegin das dritte Mal an dem noch jungen Arbeitstag durchlüften möchte und ich zum dritten Mal das Fenster schließe, muss ich mich erklären. „Weil ich ein Weichei bin.“ Kurz, ehrlich, schmerzhaft. Kleine Lügen – sie sind so viel schonender als die nackte Wahrheit.

Fasten-Selbstversuch: 24 Stunden die nackte Wahrheit sagen

Als zwei ganz besonders lustige Kolleginnen Wind davon kriegen, dass ich heute keiner noch so unschönen Wahrheit aus dem Weg gehen kann, kommen sie auf eine ganz besonders lustige Idee: Sie quetschen mich über meine Jugendsünden aus. An dieser Stelle werde ich nicht ins Detail gehen – aus Gründen. Die unfreiwillige Fragestunde lässt mich im Nachgang an mir selbst zweifeln. Nicht wegen der süßen, kleinen, Teenager-Fehltritte, sondern weil mir erst nach Abschluss des Tribunals auffällt, dass ich zwar nicht lügen durfte – aber ich mein Zeugnisverweigerungsrecht hätte nutzen können. „Ich habe keine Lust, auf Eure blöden Fragen zu antworten“ wäre die ehrlichste aller Antworten gewesen. Für dieses Gespräch ist es zu spät. Über den Nachmittag rettet mich diese fantastische Ausflucht aber zuverlässig.

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Lediglich für eine Falle habe ich nicht vorgesorgt – und ich tapse immer wieder hinein. Ein Großteil meines Humors besteht aus blank-ironischen Feststellungen. Ironie – das lassen mich meine spitzfindigen Kollegen wissen – ist ja auch nicht wahr, also eine Lüge, also ein Fastenbruch. Vier Mal passiert es mir, dass ein Witzchen schneller herauspurzelt, als mein Gehirn mich stoppen kann – ich breche also meine Fastenzeit. Ich sehe es aber nicht so eng. Lieber eine gute Wette verlieren als eine gute Pointe.

Wenn mich morgen jemand fragt, wie mein Lügen-Fasten gelaufen ist, werde ich „großartig“ antworten. Und das wird eine dicke, fette Schwindelei.

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