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Erinnerung an „75 Jahre DP Lager Föhrenwald“

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Von: Volker Ufertinger

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Badehaus, Exponat
Historische Aufbereitung: Im Badehaus können Besucher das Leben und teils ergreifende Schicksal der DPs (Displaced Persons, heimatlose Ausländer) auf drei Stockwerken sehr gut nachvollziehen. © Hans Lippert

Das Lager Föhrenwald war eine Zuflucht für viele Juden, die den Holocaust überlebt hatten. Daran erinnert ein Festakt im Badehaus. Doch er steht noch unter Vorbehalt.

Wolfratshausen – Historisch betrachtet, hat es die Zahl 75 heuer in sich. Denn: 75 Jahre ist es her, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, mit einem Sieg der Alliierten über Deutschland. Vor genau 75 Jahren setzte sich der Todesmarsch in Bewegung, bestehend aus KZ-Häftlingen, und führte der Bevölkerung im Oberland das Grauen des Nazi-Regimes vor Augen. Doch im Frühjahr 1945 wurde auch ein wichtiger Neuanfang gemacht, als die Amerikaner das Lager Föhrenwald – den Namen übernahmen sie von der einstigen NS-Mustersiedlung – errichteten. Dort fanden viele überlebende Juden aus Osteuropa eine neue Heimat.

Wenn wir Pech haben, müssen wir alles absagen

Jonathan Coehnen, stellvertretender Vorsitzender des Badehaus-Vereins

Genau daran soll mit einem Festakt am Sonntag im Badehaus erinnert werden. Doch noch steht er unter Vorbehalt. Alles hängt davon ab, was die Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Mittwoch entscheidet. 100 Gäste sind geladen. „Wenn wir Pech haben, müssen wir alles absagen“, fürchtet Jonathan Coehnen, stellvertretender Vorsitzender des Vereins.

2020 war nicht einfach für den Badehaus-Verein

Das Jahr war eigentlich kompliziert genug für den Badehaus-Verein und die Waldramer Erinnerungsstätte. Im Frühjahr musste wegen des Lockdowns 82 Tage geschlossen werden, erst ein überzeugendes Hygienekonzept ermöglichte die Wiedereröffnung. Danach war keineswegs alles wie zuvor: An Freitagen ist aktuell das Haus am Kolpingplatz geschlossen, weil die Schulklassen, die bis dahin nach Waldram strömten, ausbleiben. Und auch der Festakt, eigentlich als großes Zeitzeugentreffen geplant, musste corona-bedingt umgeplant werden. Dazu muss man wissen: In Waldram wird alles, wirklich alles ehrenamtlich erledigt. Kein Wunder, dass viele der Helfer am Rande ihrer Kräfte sind.

Ein Film, eine Vernissage und einige Festreden

Stand Dienstag ist für den Sonntag Folgendes geplant: Der Festakt – der übrigens fast auf den Tag genau zwei Jahre nach der Badehaus-Eröffnung stattfindet – beginnt um 17 Uhr. Die geladenen 100 Gäste verteilen sich auf die drei Stockwerke, sodass der notwendige Abstand problemlos eingehalten werden kann. Der eigentliche Akt findet im dritten Stock unter den Bäumen der Erinnerung statt. Als Gastredner ist unter anderem Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) eingeladen. Vom großen Zeitzeugentreffen ist ein Interview übrig geblieben, das der zweite stellvertretende Vorsitzende Emanuel Rüff mit der in Föhrenwald aufgewachsenen Esther Alexander-Ihme aus Frankfurt führen wird. Gezeigt wird außerdem der Film „Von Zeit und Hoffnung“, der durch Live-Schalten in die Wohnzimmer von Zeitzeugen zustande kam, die sich an ihre Kindheit im „jüdischen Stetl“ erinnerten. Und: Justine Bittner, Fotografin und Beirätin, wird ihre Bilder von Zeitzeugen – aufgenommen bei der Badehaus-Eröffnung, in der Münchner Synagoge und in Frankfurt – den Gästen präsentieren und erläutern. Ihr Buch „Lebensbilder“ erscheint demnächst.

Babyboom direkt nach dem Krieg

Ein Festakt „75 Jahre DP-Lager Föhrenwald“ wäre mehr als angebracht. Denn die Bedeutung von Föhrenwald kann man kaum überschätzen: Es handelte sich um das größte und am längsten bestehende Lager für jüdische DPs (Displaced Persons) in ganz Deutschland. Heimatlos gewordene Juden warteten hier auf ihre Ausreise oder hofften, in einem anderen Land als dem der Täter ein neues Leben beginnen zu können. Sich selbst bezeichneten sie als „She’erit Hapletah“, was so viel bedeutet wie „Rest der Geretteten“. Ein Zitat aus dem Alten Testament.

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In dem umzäunten Areal entwickelte sich unter UN-Verwaltung eine autonome Gemeinschaft. Die amerikanisch-jüdische Hilfsorganisation „Joint“ baute Kindergärten, Schulen, Sport- und Ausbildungsstätten. Es gab ein Kino, ein Theater, ein Krankenhaus und eine Lagerzeitung mit Namen Bamidar.

Es gab wenige alte Menschen in Föhrenwald, viele von ihnen waren im KZ umgebracht worden. Die, die überlebt hatten, waren meist schwer traumatisiert. Der verstorbene Max Mannheimer – übrigens Mitglied Nummer eins des BadehausVereins – kümmerte sich um die sogenannten „hard cases“. Dennoch: Viele der heute noch lebenden Zeitzeugen erinnern sich an eine glückliche Jugend. Man fasste nach all dem Grauen den Mut für einen Neubeginn. Es gab sogar einen wahren Kinderboom in Föhrenwald.

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1955 kaufte das Katholische Siedlungswerk die Liegenschaft, um Wohnraum für Vertriebene zu schaffen. 1957 mussten die letzten DPs das Lager verlassen, sie wurden nach München, Frankfurt, Düsseldorf und Köln gebracht. Die Geschichte der jüdischen Enklave war zu Ende. Ob an all das am Sonntag gebührend erinnert wird? Es ist ungewiss.

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