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Willkommen im Freiluft-Wohnzimmer

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Ihre absoluten Lieblingsstücke: Angela Clemens ist gespannt, wie ihr „Couch-Projekt“ in Wolfratshausen ankommt. Auch auf diesen beiden Sesseln dürfen die Besucher Platz nehmen.
Ihre absoluten Lieblingsstücke: Angela Clemens ist gespannt, wie ihr „Couch-Projekt“ in Wolfratshausen ankommt. Auch auf diesen beiden Sesseln dürfen die Besucher Platz nehmen. © Stallein

Wolfratshausen – Die bunten Sofas und Sessel sehen einladend aus. Aber etwas irritiert. Die Polstermöbel stehen nicht im Wohnzimmer, sondern an der Straße. Auf dem Gehweg, neben Hauseingängen, vor Schaufenstern. Doch sie warten nicht darauf, zum Sperrmüll transportiert zu werden, sondern fordern auf, Platz zu nehmen, zu kommunizieren, zu schauen. „Couch-Projekt“ nennt Angela Clemens diese ungewöhnliche Installation im Obermarkt. Sie ist nur am Samstag beim Bürgerfest zu erleben.

Das Projekt ist eine Hommage an Neuseeland. Besser gesagt: an die Angewohnheit der Neuseeländer, Polstermöbel mit nach draußen zu nehmen. Sechseinhalb Jahre verbrachte die gebürtige Münchnerin auf den Inseln im südlichen Pazifik, wo sie als Professorin an der Victoria University of Wellington unterrichtete. Jeden Tag auf dem Weg zur Uni faszinierte sie ein Haus, in dessen Garten mehrere Sessel standen. „Das sah sehr surrealistisch aus, aber auch sehr einladend.“

Nachdem es ihr gelungen war, die Szene mit der Kamera festzuhalten, bevor die Sessel auf der Mülldeponie landeten, suchte sie weitere Möbelstücke. Sie fand sie auf Hausdächern, in Vorgärten, auf Verandas. Sogar an den Strand und zu Open-Air-Festivals schleppten die Neuseeländer ganze Polstergarnituren mit. „Ich fand das interessant“, sagt die Designerin. „Viele Teile haben mich auch ästhetisch angesprochen. Es hat einen ästhetischen Schick, wenn Sachen verrotten. Ich finde den Verfall interessant und wie Leute versuchen, das zu kaschieren.“

Als sie ihre Fotografien und Collagen in einer Galerie präsentierte, weckte die Künstlerin ungeahntes Interesse bei den Einheimischen. „Die Leute löcherten mich mit Fragen, die ich nicht beantworten konnte“, erzählt Angela Clemens. So entstand eine von ihrer Uni unterstützte Studie über diese seit Generationen gepflegte neuseeländische Tradition. Auf die Frage, warum das jemand macht, erhielt die Professorin verblüffend einfache Antworten: „Drinnen ist nicht genügend Platz.“ „Man sitzt bequemer.“ „Es ist billig.“ Oder auch: „Sie sind zu schäbig für drinnen.“

Dieser Aspekt der Nachhaltigkeit, „nicht gleich alles wegzuschmeißen, sondern zu nutzen, bis es wirklich nicht mehr geht“, hat auch die Designerin beeindruckt. Vor drei Jahren bekam ihr Projekt, das bis dahin nur als Fotoband existierte, eine neue Facette. Auf dem Nationenfest in Wasserburg am Inn konfrontierte sie erstmals deutsche Stadtspaziergänger mit ihren Couchen an der Straßenecke.

„Die Neuseeländer pflegen so ein ,easy going’. Sie machen sich nicht so einen Kopf wie wir Deutschen“, sagt Angela Clemens. „Ich habe mich gefragt: Wie ist das für Deutsche, wenn man sie mit so etwas konfrontiert?“ Die Reaktionen waren überraschend positiv. Nun sei sie gespannt, wie die Wolfratshauser beim Stadtbummel auf die 15 Couchen und acht Sessel reagieren. „Ich hoffe, dass die Bürger die Couchen auch toll finden.“ Sie glaubt zwar nicht, dass sie jemanden dazu bringen wird, seine Möbel künftig nach draußen zu stellen. „Aber ich glaube, dass sie sich gerne eine Weile bequem hinsetzen.“

rs

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