Sein Schicksal bewegt Wolfratshausen: Allahyar ist einer von Seehofers Abgeschobenen
Er wollte in Wolfratshausen heimisch werden und war laut Helferkreis „super integriert“. Doch Allahyar musste zurück nach Afghanistan. Der 21-Jährige gehörte zu den 69 Asylbewerbern, die jüngst abgeschoben wurden.
Wolfratshausen – Erwin Braukmann kennt Allahyar gut. In der Radlwerkstatt, die der Wolfratshauser leitet, engagierte sich der 21-Jährige regelmäßig. „Er hat angepackt, hat anderen Asylbewerbern und deutschen Bedürftigen selbstlos geholfen“, sagt Braukmann im Gespräch mit unserer Zeitung. „Ali“ sei sehr beliebt gewesen. „Er hat immer Deutsch gesprochen, wollte so viel wie möglich lernen und hat sich selbst zurückgenommen.“ Als es in der Unterkunft, in der der 21-Jährige lebte, unordentlich war, organisierte Allahyar einen Putzdienst. Wenn ein deutscher Bedürftiger mit seinem kaputten Fahrrad in Braukmanns Werkstatt hereinschneite, schnappte er sich den Drahtesel und brachte ihn auf Vordermann. Wenn das erledigt war, widmete er sich in der Werkstatt seinem eigenen Rad. „Ali hat es mit viel Leidenschaft gepflegt“, sagt Braukmann.
Dem Fahrrad des abgeschobenen Flüchtlings soll ein Ehrenplatz zuteil werden: Der Leiter „möchte es in der Werkstatt aufhängen – als Erinnerung an Ali und als Mahnmal für die völlig verfehlte Asylpolitik.“ Für den Helferkreis und die Radlwerkstatt sei das ein Stück weit Trauerbewältigung.
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Allahyar selbst ist ebenfalls todtraurig
Allahyar selbst ist ebenfalls todtraurig. Der ARD – sie hatte als erstes im Magazin „Panorama über das Los des 21-Jährigen berichtet – gab er nach seiner Rückkehr in Afghanistan ein Interview, natürlich auf Deutsch: „Manchmal dachte ich, das sei ein schlechter Traum oder so etwas. Diese Abschiebung ist falsch“, beschreibt er seine Gefühlslage. „Im Flugzeug habe ich nur geweint.“ Er sucht die Antwort auf die Frage: „Warum?“ Die ersten Tage in seiner Heimat machten Allahyar schnell klar, dass es dort kein Leben in Sicherheit gibt: „Gestern war ein Anschlag hier. Vorgestern auch.“
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Die Abschiebung versteht in Wolfratshausen keiner, der den jungen Mann kannte. „Er war super integriert. Ein ruhiger und besonnener Mann“, betont Ines Lobenstein, Leiterin des Helferkreises. Braukmann kritisiert das Bundesinnenministerium: „Menschen wie Ali müssen als Opfer für Symbolpolitik herhalten.“
Der Afghane war einer der 69 Asylbewerbern – 51 aus Bayern –, die am 4. Juli per Direktflug von München aus abgeschoben wurden. In einer Pressekonferenz sagte Bundesinnenminister Seehofer: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden.“ Ein Satz, der bundesweit Empörung auslöste.
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Abschiebung nach Afghanistan? „Das ist kein sicheres Herkunftsland“
Bislang waren nur Straftäter und sogenannte Gefährder abgeschoben worden. Für Ines Lobenstein dürfte niemand in die Krisenregion zurückgeschickt werden: „Das ist kein sicheres Herkunftsland.“ Über die Sicherheitslage in Afghanistan wird hierzulande kontrovers diskutiert. Ein UN-Bericht lieferte kürzlich Zahlen: Demnach starben dort heuer bisher 1692 Zivilisten, 3430 Frauen, Männer und Kinder wurden verletzt. Laut UN war die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) für über die Hälfte aller tödlichen Selbstmordanschläge und komplexen Angriffe verantwortlich.
Von Bomben und Waffengewalt war Allahyar weit weg, als er sich vor wenigen Wochen mit Braukmann über seine Zukunftspläne unterhielt. „Er hat viele verschiedene Praktika hier gemacht. Sie liefen alle gut, und die Chefs waren zufrieden“, erinnert sich der Wolfratshauser. „Ali hat alles getan, um einen Job zu finden und in Deutschland anzukommen.“ Zuletzt plante der 21-Jährige, sich um eine Lehrstelle als Altenpfleger zu bewerben.
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Bevor Allahyar in die Flößerstadt kam, lebte er in Unterschleißheim. Dort machte er Ende 2016 ein Praktikum in einer Zimmerei. Deren Chef, Andreas Vollrath, ist bestürzt: „Die Abschiebung kann ich absolut nicht verstehen.“ Vollraths Stimme stockt. „Das geht einem normalen Menschen nicht in den Kopf.“ Der Zimmerer-Meister erinnert sich an einen „zuverlässigen, fleißigen, pünktlichen Top-Mitarbeiter“. Einige Wochen arbeitete der junge Afghane in seinem Betrieb – und suchte den Kontakt zu seinen Kollegen. „Er konnte sich mit allen auf Deutsch unterhalten.“ Vollrath hätte den jungen Mann gerne eingestellt: „Alle reden vom Fachkräftemangel, und solche Leute, die sich nie etwas haben zuschulden kommen lassen, werden abgeschoben.“
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Dominik Stallein