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Den Wirten geht das Personal aus – 400 Gastro-Mitarbeiter haben den Job geschmissen

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Von: Dominik Stallein

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Flößerei-Wirt Dominik Tabak schreibt auf eine Werbetafel: „Wir suchen Servicemitarbeiter“
Servicekräfte verzweifelt gesucht: Vor dem Wirtshaus Flößerei steht seit einigen Wochen ein Hilferuf von Wirt Dominik Tabak – inzwischen wurde er gehört. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Endlich wieder Biergarten-Wetter und kein Lockdown: Die Menschen strömen zu den Wirten. Die haben aber große Personalsorgen: Viele Mitarbeiter haben den Job an den Nagel gehängt. Die Gastronomen suchen verzweifelt. Manche müssen die Öffnungszeiten reduzieren.

Schweinebraten und Burger gibt es erst ab 17 Uhr. Nur am Samstag sperrt Otmar Fagner seinen Humplbräu in der Wolfratshauser Marktstraße schon in den Mittagsstunden auf. Das Problem: Dem Wirt fehlt Personal. Fünf neue Mitarbeiter – einen Koch und vier Aushilfen – möchte er am liebsten einstellen. Die Chancen stehen schlecht.

Wenn Fagner die Situation auf dem Jobmarkt in seiner Branche sieht, kommt der Wirt zu dem Schluss: „In der Gastronomie wird sich viel verändern.“ Denn mit seinem Personal-Problem steht der Humplbräu-Chef nicht alleine da. Ganz im Gegenteil.

Gewerkschaft schlägt Alarm: 400 Gastro-Mitarbeiter haben die Branche gewechselt

Überall wird derzeit nach Aushilfen, Service-Kräften und Köchen gefahndet. Die Gewerkschaft Nahrung-Genussmittel-Gaststätten (NGG) schlägt Alarm: Jeder achte Mitarbeiter in der Gastronomie im Landkreis hat die Branche im Corona-Jahr verlassen. Das sind rund 400 Arbeitskräfte. Noch schlimmer ist die Lage in München: Jeder fünfte Gastro-Mitarbeiter hat den Job gewechselt. Wirtschaften, Cafés und Bars sind unterbesetzt – mitten in der Sommersaison nach Monaten der Schließung.

„Es rührt sich so gut wie nichts“, sagt Josef Wagner. Der Küchenmeister im Eglinger Gasthaus Bruckenfischer sucht dringend nach Verstärkung. Aushilfen, Festangestellte Kellner, Schankkellner: Einige Stellen sind im Restaurant unbesetzt. „Da geht’s vielen Kollegen ganz genauso“, weiß Wagner. Dass er als Gastwirt eine gewisse Fluktuation hinterm Tresen hat, sei völlig normal. „Aber im Moment ist es besonders schwierig.“ Ein Grund ist offensichtlich die Corona-Pandemie. „Einige Leute, die vor den Lockdowns in der Gastronomie gearbeitet haben, haben etwas Neues angefangen“, so Wagner. Die Bezüge in der Kurzarbeit seien für manche Angestellten einfach zu wenig gewesen. Aushilfskräfte verdienten bei manchen Arbeitgebern gar nichts.

Schuld ist nicht nur die Pandemie - die Gewerkschaft kritisiert die Unternehmen

Die NGG sieht weitere Faktoren, die nichts mit der Pandemie zu tun haben: „Schon davor stand das Gastgewerbe nicht gerade für rosige Arbeitsbedingungen. Unbezahlte Überstunden, ein rauer Umgangston und eine hohe Abbruchquote sind nur einige strukturelle Probleme, sagt Georg Schneider, der als Geschäftsführer der Region Rosenheim-Oberbayern auch für den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zuständig ist. „Die Unternehmen haben es über Jahre versäumt, die Arbeit attraktiver zu machen.“ Das räche sich jetzt.

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Auch im Bruckenfischer gab es Abgänge, „die hatten aber zum Großteil andere Gründe“, sagt Wagner. Wie er die Stellen neu besetzen soll? Der Gastronom sieht keine Lösung. „Im Moment müssen die anderen Mitarbeiter das auffangen.“

Schüler und Studenten müssen aushelfen - der Fachkräftemarkt ist leer gefegt, auch im Ausland

Giuseppe Tedesco, den seine Gäste nur „Pino“ rufen bräuchte ebenfalls dringend neue Mitarbeiter. Wegen des Personalmangels kann er nur einen Teil seines Pinocchio in Münsing aufsperren. „Das Problem hat die Gastronomie in ganz Europa“, sagt Tedesco. Er muss es wissen: Auf der Suche nach neuen Servicekräften hat sich der Münsinger sogar in Italien umgehört. Auch dort habe er niemandem die Arbeit schmackhaft machen können. Statt Fachkräften habe er nun immerhin Schüler gefunden, die als Aushilfe einspringen: „Sie sind keine Profis, aber sie haben Lust auf die Arbeit.“

Es ist dieses Jahr besonders schwer gewesen, neue Kollegen zu finden

Dominik Tabak, Wirt der Flößerei

Auf Neulinge baut auch das Wolfratshauser Wirtshaus Flößerei. Vier Wochen lang stand eine Tafel vor dem Lokal: „Wir suchen Service-Mitarbeiter“ stand darauf. Wirt Dominik Tabak sagt: „Es ist dieses Jahr besonders schwer gewesen, neue Kollegen zu finden.“ Obwohl der absolute Großteil seiner Stammbesetzung – „wir haben hier eigentlich nie eine hohe Fluktuation“ – erhalten geblieben ist, sei er auf weitere helfende Hände angewiesen. Nach Wochen meldeten sich Studenten, die sich im Service ein paar Euro dazu verdienen wollen. „Zum Glück“, sagt Tabak. Denn mitten in der Biergartensaison und der Urlaubszeit einiger Angestellter seien die jungen Zuwächse besonders gefragt.

Es gibt auch Positivbeispiele

Das Landhotel Huber in Münsing dagegen hat keine Personalsorgen. Chefin Ingrid Sebald-Weindl hat keinen Mitarbeiter während der Pandemie verloren. „Wir haben niemanden entlassen und wollten das ganze Team mitnehmen“, sagt sie. Der Plan ging auf. Als das Hotel nur für Geschäftsreisende öffnen durfte, „haben wir die Stunden unter allen Kollegen aufgeteilt“. So blieben alle Mitarbeiter am Ball. Trotzdem sucht Sebald-Weindl noch nach Kollegen – aber nur, weil eine Azubi-Stelle in der Küche frei wird. „Und auch da gibt es schon Bewerbungen“, freut sich die Wirtin.

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