Von der Rossnatur zum Todeskandidaten: Die Esche stirbt

Ein japanischer Einwanderer schwächt die einst als unverwundbar geltende Esche. Zahlreiche Bäume müssen gefällt werden.
Wolfratshausen – Robert Nörr ist mit Leib und Seele Förster. Man spürt seine Betroffenheit, als er beim Ortstermin im Auwald zwischen Loisach und der Weidacher Kläranlage über das Sterben einer ganzen Art spricht. Der aktuelle Todeskandidat ist die Esche. Ein aus Japan importierter Pilz, das Falsche Weiße Stengelbecherchen, schwächt den Baum derart heftig, dass in der Folge Sekundärschädlinge wie der sich mit dem Klimawandel ausbreitende Hallimasch, ebenfalls ein Pilz, und der Eschenbastkäfer leichtes Spiel haben und der Esche den Rest geben (siehe Kasten). 2008 traten die ersten Krankheitsfälle in Deutschland auf, 1992 bereits in Polen. Mittlerweile ist das Eschentriebsterben zu einem flächendeckenden Phänomen geworden. Allein in seinem relativ kleinen Revier muss der Wolfratshauser Förster aktuell „an vier Orten“ Fällungen vornehmen lassen, bevor komplette geschädigte Bäume oder zumindest ihre abgestorbenen Äste Menschen auf den Kopf krachen. In den angrenzenden Bezirken sei das nicht anders. Das Tückische: Selbst der Fachmann kann oft nicht erkennen, wie groß tatsächlich die Gefahr ist, die von befallenen Eschen ausgeht. Denn der Hallimasch weicht das Wurzelwerk unsichtbar von ganz tief unten auf, bis es den Baum nicht mehr halten kann.
Achtung! Lebensgefahr! steht in großen Lettern auf den Hinweisschildern, die das Betreten des Auwalds am Klärwerk in Weidach untersagen. Rot-weiße Absperrbänder riegeln das Areal ab. Grundeigentümer sind der Abwasserzweckverband Isar-Loisachgruppe und das Wasserwirtschaftsamt Weilheim. Deshalb sind Geschäftsleiter Lorenz Demmel und Dora Schulze, für den Landkreis zuständige Abteilungsleiterin in der Behörde, mit von der Partie. Um die Sicherheit der Anlage geht es konkret in diesem Fall. „Hier arbeiten ja meine Mitarbeiter“, sagt Demmel, „nicht auszudenken, wenn ihnen etwas durch umstürzende Bäume passieren sollte.“
Anhand einer bereits umgestürzten Esche erklärt Nörr die Symptome. „Hier sieht man gut, dass die Wurzeln total schwammig sind. Das ging rasant, innerhalb von einem Jahr.“ Untersuchungen hätten ergeben, dass die Wurzeln von 60 Prozent der Eschen, „die noch total gesund ausschauen“, bereits vom Hallimasch zersetzt worden sind. Er beobachte die Bäume in seinem Revier sehr penibel, sagt der Revierförster, „aber ich muss zugeben, dass mir schon einer umgefallen ist, von dem ich das nie und nimmer gedacht habe“.
Seltsamerweise kann das Falsche Weiße Stengelbecherchen den in Japan heimischen Eschen nichts anhaben. Warum es hierzulande eine solch verheerende Wirkung hat, ist weitgehend unerforscht. Weil sich einzelne ausgewachsene Eschen oft wieder etwas erholen, hofft Nörr, „dass sich noch Resistenzen gegen den Pilz bilden“. Derzeit liefen in dieser Richtung Versuche. Unter anderem würden besonders vitale Eschen bewusst mit dem Pilz infiziert. Sollten sie dies überleben, würde man versuchen, sie zu vermehren.
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Warum die Wissenschaft derartige Klimmzüge macht, um die Esche zu retten, liegt an deren Bedeutung für das Ökosystem. „Die Esche galt lange als der Baum, den nix umbringt“, sagt Nörr, „manche haben sie fast als Unkraut bezeichnet.“ Der Tanne wegen des sauren Regens, der Fichte wegen des Borkenkäfers und der Kiefer wegen der zunehmenden Erwärmung wurde und werde keine große Zukunft prophezeit. Auch Buche und Erle hatten mit Pilzen zu kämpfen. Nur die Esche stand lange Zeit – einer unantastbaren Säule gleich – in unseren Wäldern. Sie könne sich unglaublich verjüngen, besitze tiefe Wurzeln und sei entsprechend stabil, sagt Nörr. „Und sie hat ein sehr schönes, lebhaft gemasertes Holz und war deshalb zeitweise sehr gefragt.“ Zudem wachse auf nassen Böden wie in den Flussauen nicht viel anderes. Doch „wie es momentan ausschaut, stirbt sie aus“.
Klar ist: Die morschen Exemplare am Klärwerk müssen weg. Dabei wollen die Grundeigner in Zusammenarbeit mit dem Revierförster und der Unteren Naturschutzbehörde – das Areal ist als Biotop kartiert – so schonend wie möglich vorgehen. Es soll genügend Totholz liegen bleiben, das diversen Tierarten Lebensraum bietet. Beim Auszeichnen hat Nörr „darauf geachtet, dass keine Biotopbäume mit Spechthöhlen und Fledermausquartieren gefällt werden“ – bis auf einen „Harakiribaum“, der zu kappen „extremst gefährlich“ ist. Deshalb gehe das nur maschinell. Die Kosten für die Abholzung teilen sich Wasserwirtschaftsamt und Abwasserzweckverband. Geschäftsleiter Demmel wird im Nachgang vier, von den Oberlandwerkstätten gekaufte Fledermaushöhlen und sechs Vogelhäuser installieren. „Für die Tiere wird das dann eher besser als vorher.“ Und noch ein Gutes hat die Misere am Klärwerk: Durch die Ausdünnung des Auwalds und das gleichzeitige Liegenlassen von Totholz entsteht laut Nörr „ein Spiel aus Licht und Schatten“, das der Artenvielfalt eher dienlich ist.
peb
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