„National stehen wir zweifellos an der Spitze“

Martinsried – Professor Ralf Huss hat zu Jahresbeginn die Nachfolge von Professor Horst Domdey als Geschäftsführer der BioM Biotech Cluster Development GmbH angetreten. Die Entwicklungs- und Managementorganisation des Münchner Biotechnologie-Clusters leistet Netzwerkarbeit und unterstützt Unternehmensgründer. Der 60-jährige Pathologe arbeitete zuletzt am Universitätsklinikum Augsburg. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Waakirchen. Im Interview erzählt er, was ihn an der neuen Aufgabe reizt. Und warum er selbst schon seit Langem auf die U-Bahn-Verlängerung nach Martinsried wartet.
Was macht ein Pathologe bei BioM?
Er wendet das an, was er gelernt hat. Wir sind die, die Krankheiten erkennen und beschreiben, aber auch die, die Konsequenzen für die Therapie ableiten. Das ist unser Tagesgeschäft. Wir diagnostizieren Krankheiten, basierend meistens auf Gewebeproben, und sagen dem Kliniker: Das sieht so und so aus, überleg dir doch die Therapie für die und die Krankheit.
Bewirbt man sich für so einen Posten, oder wird man gefragt?
Beides, man hat mich gefragt, ob ich mich nicht bewerben möchte. Also habe ich mich beworben.
Obwohl Sie noch gar nicht lange in Augsburg waren.
So ist es. Ich war drei Jahre in Augsburg und habe dort viele Tätigkeiten gehabt. Ich war geschäftsführender Oberarzt der Pathologie, Leiter des Instituts für Digitale Medizin und zuletzt stellvertretender Ärztlicher Direktor. Deshalb habe ich mir das auch lange überlegt. Aber die Position war so reizvoll und hier in der Nähe meiner alten Klinik Großhadern. Ich habe meine ganze Facharztausbildung und Habilitation an der LMU gemacht und war Pathologe am Klinikum Großhadern. Deshalb kenne ich das hier alles ziemlich gut.
Was reizt Sie an der Aufgabe?
Es ist diese Schnittstelle zwischen Industrie – ich habe lange Jahre in der Industrie gearbeitet – und Anwendung in der Klinik. Wie kann ich neue Therapien schneller und besser zum Patienten bringen? Das finde ich so spannend. Wie bringe ich die Ideen der Gründer und Ärzte schneller in die Klinik.
Sehen Sie Möglichkeiten, neben Ihrer Aufgabe bei BioM weiter zu forschen?
Ja, ich befasse mich mit dem Thema Künstliche Intelligenz (KI) im Zusammenhang mit Digital Health, also Mustererkennung, Datenanalyse. Ich werde weiter forschen und Kollaborationen weiterführen, aber das ist nur noch sehr, sehr wenig. Die Hauptaufgabe liegt zweifellos bei BioM, und das ist auch gut so.
Sie sind Pathologe, Ihre Fachgebiete sind die Krebs- und die Stammzellenforschung, außerdem die digitale Medizin. Wovon profitieren Sie bei BioM am meisten?
Von allem. Ich habe das 30 Jahre gemacht. Ich habe in der Schweiz und den USA gearbeitet. Das Thema Krebsforschung und Stammzellenforschung steckte vor 30 Jahren in den wissenschaftlichen Kinderschuhen. Und jetzt sehen wir, dass es in die Klinik geht, weil wir inzwischen Möglichkeiten aus der digitalen Medizin haben. Wie können wir in der Krebsforschung als Pathologe schneller erkennen, ob diese Krankheit sehr bösartig oder weniger bösartig ist. Das waren früher vielfach Vermutungen, und wir mussten große Studien machen. Heute haben wir Computer und die Künstliche Intelligenz, die Bioinformatik. Wir können all diese Dinge, an denen auch ich zehn, 20 Jahre geforscht habe, umsetzen.
Auf der BioM-Website wird als Vision Bayern als Standort für die Medizin der Zukunft genannt. Wo steht der Freistaat, wo Martinsried? National und international?
National stehen wir zweifellos an der Spitze. Das ist kein Selbstlob, sondern das ist de facto so. Wir haben die meisten Unternehmen, die meisten Gründungen. Wir haben Universitäten, Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz Zentrum, Max-Planck-Gesellschaft und das Genzentrum vor der Tür. Wir wollen unseren internationalen Rang in Zusammenarbeit mit den Universitäten halten. Da haben wir gegenüber den Amerikanern noch ein bisschen Nachholbedarf. Gerade so um Harvard herum und im Bereich der digitalen Medizin auch Kalifornien. Aber es gibt auch genug Konkurrenz im europäischen Ausland. Die Franzosen, die Skandinavier, die Engländer, die wissen auch, wo der Barthel den Most holt.
Hat die Corona-Pandemie etwas Positives bewirkt?
Ich glaube, die Wahrnehmung ist stärker geworden für das, was Industrie und Wissenschaft zusammen leisten können. Wo es zweifellos einen Riesenfortschritt gegeben hat, gerade hier in Deutschland, ist das Thema Anschub für die Digitalisierung. Zum ersten Mal haben wir es geschafft, eine gemeinsame Datenbank aufzubauen für alle Standorte, die sich mit dem Thema Corona und Pandemie beschäftigen. Wir haben an BionNTech gesehen, wie schnell man neue Medikamente, die gebraucht werden, zulassen kann. Wenn es drauf ankommt, können wir’s und dann machen wir’s. Und wir haben jetzt mit der Digitalisierung und der Immunologie wirklich die Möglichkeiten dazu.
Gibt es in der Biotechnologiebranche, bei den Firmen, die Sie mit BioM betreuen, auch einen Fachkräftemangel?
Den haben wir im klinischen Umfeld sowieso. Aber auch im Mittelbau bei den handwerklich tätigen Forschern haben wir Probleme. Es ist eine junge Generation, die kommt. Die Millennials drängen in den Arbeitsmarkt, die andere Vorstellungen von Work-Life-Balance haben. Der große Vorteil ist, dass es sich um Digital Natives handelt, die Computer und Daten mit einer Selbstverständlichkeit nutzen, die KI nicht abschreckt. Aber gleichzeitig suchen sie sinnstiftende Aufgaben. Sie wollen nicht mehr die 24/7-Arbeit, nicht mehr die 16 Stunden am Tag, sondern eine ausgewogene, sinnstiftende Tätigkeit. Genau das müssen wir zusammenbringen. Das ist die Chance, aber auch die Herausforderung.
Vor welchen Herausforderungen sehen Sie insgesamt BioM und die Münchner Lifesciences-Region?
Das eine ist: Wie bekommen wir motiviertes Personal. Wir haben das große Problem, dass München ein teurer Standort ist. Wie bringen wir Familien unter, wie können wir optimale Ressourcen schaffen. Auch eine Herausforderung ist, hier Unternehmen anzusiedeln, die von außen kommen. Amerikaner zu überzeugen, nach München, nach Bayern zu kommen. Gibt es genug Laborflächen? Es gibt genug Möglichkeiten, nicht unbedingt in Martinsried, zum Beispiel in Holzkirchen, Hallbergmoos. Gerne möchte jemand aber vielleicht noch morgens im Klinikum als Arzt tätig sein oder im Genzentrum und nachmittags in der Firma die wichtigen Experimente vor Ort machen. Das müssen wir ermöglichen, deswegen bauen wir gerade das MAxL (Munich Accelerator Life Sciences & Medicine, Anm. der Red.). In der ersten Ausbaustufe stehen rund 850 Quadratmeter in der Westerweiterung des IZB in räumlicher Nähe zur BioM zur Verfügung. Diese Nähe ist sehr wertvoll für den direkten Kontakt und den Austausch mit den Teams. Wir wollen gerade für die frühen Entwicklungen niederschwellig Laborflächen schaffen. Ein junger Wissenschaftler hat nicht die Möglichkeiten, Fläche im IZB oder irgendwo anzumieten. Wir bieten Raum, um überhaupt gründungsfähig zu werden, und wertvolles Coaching und Mentoring.
Martinsried wird als Biotechnologie-Cluster bezeichnet. Wie wichtig ist ein Cluster in Zeiten der digitalen Kommunikation?
Cluster ist mehr als ein Netzwerk, mehr als eine Verbindung zwischen Leuten. Cluster entstehen aus Schwerpunkten heraus. Wir organisieren diese Netzwerke. Dass wir die überwiegend digital verbinden, ist heutzutage keine Frage mehr.
Dann ist es nicht mehr so wichtig, in Martinsried angesiedelt zu sein?
Für bestimmte Dinge nicht mehr. Der persönliche Austausch ist nach wie vor wichtig. Man geht immer noch zum Mittagessen, man trifft sich immer noch zum Kaffee. Aber es ist nicht mehr essenziell. Man muss nicht mehr auf das nächste Treffen warten, sondern hat schneller mehr Antworten, mehr Informationen. Gewisse Ideen trifft man aber nur, indem man einfach über den Campus geht. Das bleibt so. Wir sind Menschen mit Kommunikationsbedarf.
BioM hat in 25 Jahren über 200 Firmengründungen begleitet. Geht das in diesem Tempo in den nächsten 25 Jahren weiter?
Ich hoffe, wir beschleunigen noch etwas. Ich bin absolut zuversichtlich, dass wir gerade mit dem MAxL, mit dem, was wir schon haben in Hinblick auf die Digitalisierung, die Zusammenführung von digitalen Lösungen – Thema Deep Tech – mit der Biotechnologie noch mehr Unternehmen sehen werden. Vor allem Unternehmen, die nachhaltig und langfristig finanziert sind. Wir müssen die Investoren dafür begeistern, einen langen Atem zu haben.
Diese Geduld hat die Gemeinde Planegg aufgebracht, die die ersten 20 Jahre keine Gewerbesteuer aus der Biotechnologie erhalten hat.
Das ist vorbildlich. Das ist der Grund, warum Unternehmen sagen, dann bleibe ich doch hier oder komme her. Genau so muss es sein. Das sind Anreize.
Was würden Sie sich wünschen für ideale Arbeitsbedingungen?
Der Campus ist an sich schon sehr gut. Wir haben eine Infrastruktur, wie wir sie in Amerika vorfinden, mit kurzen Wegen. Ich würde mir noch mehr Begegnungsmöglichkeiten wünschen, dass wir ein soziales Environment schaffen, um mehr Interaktion zu ermöglichen. Vielleicht das eine oder andere Café.
Wie sehen Sie die Verlängerung der U6 vom Klinikum Großhadern nach Martinsried?
Die U-Bahn ist toll. Ich warte seit 30 Jahren darauf. Seitdem ich an der Uni war. Ich bin immer von Großhadern mit dem Radl oder zu Fuß herübergelaufen für Versuche am Max-Planck-Institut.