100 Jahre Vorlauf für Umzug der Käfer

Dicke Bäume als Lebensraum für schwere Käfer: Auf einer sechs Hektar großen Fläche im Planegger Holz wird alles dafür vorbereitet, dass der Eremit und andere seltene Arten in 100 Jahren ein neues Zuhause finden. Die Arbeiten sind Teil eines Projekts, das 2019 mit dem Umweltpreis der Vereinten Nationen ausgezeichnet wurde: „Eremiten im Klosterwald Maria Eich.“
Planegg – Seit vergangenem Mittwoch sind die Motorsägen zu hören. Waldarbeiter der Bayerischen Staatsforsten fällen im Klosterwald von Maria Eich auf einer sechs Hektar großen Fläche nördlich der Germeringer Straße markierte Bäume, lassen die Kronen liegen und holen die Stämme zum Wallfahrerweg, von wo sie abtransportiert werden. All das, damit die seltenen Urwaldreliktkäferarten, die 2015 rund ums Kloster Maria Eich gefunden wurden, in 100 Jahren einen neuen Lebensraum finden. „Der Förster denkt in sehr langen Zeiträumen“, sagt Wilhelm Seerieder, Leiter des Forstbetriebs München der Bayerischen Staatsforsten, zu dessen 18 300 Hektar auch das Planegger Holz gehört.
Biodiversitätsprojekt
Auf Anregung der Planegger Gemeindeverwaltung wurden vor acht Jahren die etwa 50 bis zu 300 Jahre alten „Methusalem-Eichen“ beim Kloster untersucht. Das Ergebnis geriet zur Sensation: 240 Holzkäferarten, darunter 88 Arten auf der Roten Liste und vor allem acht Urwaldreliktarten wie der „Eremit“, auch Juchtenkäfer genannt, wurden entdeckt. Die Eigentümer des Waldes, die Bayerischen Staatsforsten, die Erzdiözese München und Freising sowie das Augustinerkloster Maria Eich riefen gemeinsam mit dem Landkreis München und der Gemeinde Planegg ein Biodiversitätsprojekt ins Leben, um das Überleben dieser seltenen Arten zu sichern. Seerieder: „Was wir hier haben, ist einmalig in Mitteleuropa. Da kann man nicht sagen, Pech gehabt, in 50 Jahren gibt es die Eichen nicht mehr.“
Auf 60 Hektar, aufgeteilt in vier Zonen, soll durch Rotation erreicht werden, dass die xylobionten, also holzbewohnenden Käfer immer wieder ein passendes Biotop finden. Die „Methusalem-Eichen“ beim Kloster stellen die Zone eins dar. „Da wohnen die Käfer jetzt“, sagt Seerieder. Doch irgendwann werden die alten Eichen sterben. „Unser Konzept ist, die Käferarten zum Umziehen zu zwingen“, so Seerieder. Als Nächstes sollen sie sich in der Zone zwei ansiedeln, die sich wie das Kloster auf der Südseite der Germeringer Straße befindet. Die Bäume dort sind 100 Jahre älter als auf der Nordseite. „Die Zone zwei ist fast schon bezugsfertig“, sagt Seerieder. Dort seien bereits erste Urwaldkäfer gesichtet worden. In diesen Wochen wird die Basis für den Umzug gelegt, der in etwa 100 Jahren ansteht. Bis dahin müssen Eichen und Buchen in Zone drei noch deutlich an Stammumfang zulegen, denn je dicker der Baum sei, desto höher der Biotopwert.
„Kennzeichen der xylobionten Käferarten ist, dass sie schwer sind und nicht sehr weit fliegen“, sagt Seerieder. „Ich kann nicht hergehen und sagen: Fliegt’s bitte in den Nymphenburger Park, da hätten wir auch alte Eichen. Das funktioniert nicht. Ich muss das im Nahbereich anbieten. Wenn ich das in einem Ringschluss über Jahrzehnte, über Jahrhunderte mache, habe ich eine gute Chance, dass diese Urwaldreliktkäferarten und natürlich andere Käferarten auch erhalten bleiben.“
Krumm und bucklig statt schlank und astfrei
Bäume, die einen Strich in Neonorange tragen, müssen verschwinden, um den Erhalt von Bäumen, die als Zukunftsbäume, kurz Z-Bäume, angesehen werden, zu sichern. Dabei handeln Seerieder und seine Mitarbeiter gegen forstwirtschaftliche Kriterien. „Während wir im Normalfall den schlanken, astfreien Stamm fördern, fördern wir hier genau den, der eine möglichst hohe Biotoperwartung für uns signalisiert, das heißt, abgestorbene Äste, Spechtlöcher, Pilzkonsolen, die sich schon abzeichnen“, sagt der Betriebsleiter.
Biotopbäume gibt es immer wieder in forstwirtschaftlichen Beständen. Sie werden registriert und so belassen, wie sie sind. „Hier ist das Schöne, dass wir uns schwerpunktmäßig darauf konzentrieren“, sagt Forstreferendar Felix Schnurbein.
Die Arbeiten dauern drei bis vier Wochen. Sie wurden so terminiert, dass sie stattfinden, wenn Minustemperaturen am wahrscheinlichsten sind. Denn Bodenfrost minimiert die Schäden, die die Forstmaschinen hinterlassen, wenn sie die Stämme auf den eigens geschaffenen Rückegassen wegbringen. Die Reifen sind extra breit, der Reifendruck ist niedrig, sodass das Gerät ähnlich wenig Druck auf den Boden bringt wie ein Pferd mit Reiter. Die Stämme werden verwertet, gehen etwa als Möbelholz in ein Sägewerk nach Mühldorf. Die Kronen, die sonst zu Zellulose, Spanplatten oder Brennholz verarbeitet werden, bleiben am Boden liegen, um als Totholz Lebensraum zu liefern. „Wir verzichten auf den Ertrag zugunsten des Naturschutzes“, sagt Seerieder.
Eiche Spitzenreiter
Besonders geeignet sind Eichen. Sie bieten über 2000 Arten, Vögeln, Kleinsäugern, Insekten und Pilzen, einen Lebensraum und sind „Spitzenreiter der Biodiversität“, wie Forstreferendar Benedikt Kovacs sagt. Doch auf den sechs Hektar werden auch schwache Eichen für Buchen mit hohem Biotopwert entnommen. Wenn ihre Kronen die Kronen der Z-Bäume stören, werden sie gefällt. Seerieder: „Ein Baum kann nur Photosynthese betreiben, wenn die Krone frei ist.“ Also sorgen er und seine Leute dafür, dass sie Luft und Raum bekommen.
Dass die Urwaldreliktkäferarten bei Maria Eich einen Lebensraum vorgefunden haben, verdanken sie der Viehhaltung vergangener Jahrhunderte. Die heutigen „Methusalem-Eichen“ sind hier nicht heimisch. Sie wurden einst angepflanzt, um einen Hutewald zu schaffen, in den Schweine getrieben werden, um sich von den Eicheln zu ernähren. Auch auf der Nordseite der Germeringer Straße wollte man vor über 100 Jahren Voraussetzungen für diese Bewirtschaftungsform schaffen und pflanzte Eichen, nur kam es nicht mehr zur Nutzung des Hutewalds.
„Wenn man Wald komplett sich selbst überlassen würde, wären in 200, 300 Jahren sämtliche Eichen abgestorben und die Buche wäre die dominierende Baumart“, sagt Kovacs. Die Eiche brauche besonders viel Licht und sei gerade im Kronraum schwach und angreifbar, die Buche aber konkurrenzstark. Wilhelm Seerieder: „Dieser Eichenwald hier und auf der anderen Seite der Straße, auch wenn er einen noch so hohen Biotopwert hat, ist absolut menschengemacht und künstlich.“ Der Artenschutz stehe im Fokus. „Das hat nichts mit naturnah zu tun.“
Westlich des Wallfahrerwegs beginnt die Zone vier. Dorthin sollen die Urwaldreliktkäferarten wandern, wenn die Eichen in Zone drei nahe am Absterben sind. Die Bäume sind noch schwach, und relativ viele Fichten stehen dort. „In den nächsten 20 Jahren werden wir die Fichten liquidieren und Eichen anpflanzen“, sagt Seerieder. Ziel sei, auf dieser Fläche in etwa 300 Jahren ein Biotop anbieten zu können.
„Das hat auch etwas Radikales“, so der Betriebsleiter. Nicht nur, dass man die künftigen Eichen nicht sich selbst überlassen könne, weil sonst Edellaubhölzer und Buchen die Oberhand gewinnen würden. „Wenn ich in das Stadium komme, die Eiche etablieren zu wollen, muss ich die Fichte kahlschlagsartig nutzen und schnell die Eiche pflanzen, bevor andere Baumarten das Areal besetzen.“ Dafür, dass es sich letztlich nur um 60 von insgesamt 18 300 Hektar handelt, „steckt man ganz schön viel Energie rein“, findet Wilhelm Seerieder. Und dass die Käfer Glück haben, denn die Waldbesitzer, die Bayerischen Staatsforsten, die Erzdiözese und das Augustinerkloster, stellen Artenschutz vor Profit.