Spezialisten für ein Leben im richtigen Körper

Im falschen Körper geboren zu sein, ist für Betroffene äußerst belastend. Wenn das gefühlte Geschlecht mit dem physischen nicht übereinstimmt, ist für manche der Suizid der einzige Ausweg. Heute gibt es mit der operativen Geschlechtsangleichung eine potenziell lebensrettende Lösung. Die erste Adresse dafür in Deutschland ist die Urologische Klinik München-Planegg.
Planegg – „Wir sind eine kleine Abteilung und wollen nicht viel Aufsehen erregen“, sagt Dr. Bernhard Liedl. „Aber wir leisten wichtige Arbeit.“ Das ist untertrieben. Bernhard Liedl ist eine in Fachkreisen international bekannte Koryphäe auf seinem Gebiet – der rekonstruktiven Urogenitalchirurgie. 2016 kam er in die Planegger Privatklinik und baute dort sein Zentrum auf, dessen Grundlage eine interdisziplinäre Kooperation von hocherfahrenen plastischen Chirurgen, Gynäkologen und Urologen ist. Sie bewältigen im Schnitt drei Operationen pro Woche, meistens zwei Geschlechts-angleichungen von Frau zu Mann und eine von Mann zu Frau. Das Missverhältnis hat pragmatische Gründe: Die Operation von Mann zu Frau ist komplex, jedoch viel einfacher als jene von Frau zu Mann, die weit weniger Spezialisten in Deutschland beherrschen. „Wir sind gemeinsam mit Hamburg, wo ich die Kollegen ausgebildet habe, führend in rekonstruktiver Chirurgie“, sagt Bernhard Liedl. „Und wir haben die längste Warteliste. Sie beträgt drei Jahre.“
Weit über 1000 Operationen
Bernhard Liedl blickt auf eine jahrzehntelange Laufbahn zurück, in der er weit über 1000 Operationen zur Geschlechtsangleichung durchführte. Ab 1983 arbeitete er in der Urologie des Klinikums Großhadern. „Ich bekam dort schreckliche OP-Ergebnisse bei Patienten zu sehen und dachte: Das geht besser“, berichtete der Chefarzt jetzt im Rahmen eines Vortrags für die VHS im Würmtal. „Gelegenheitschirurgen sind gefährlich, das geht oft in die Hose. Dann haben wir viel zu reparieren“, sagt der Chefarzt. 2007 gründete er in Bogenhausen ein Zentrum für Urogenitalchirurgie, 2016 wechselte er mit seinem Team nach Planegg.
Wenn seine Patienten zu ihm kommen, haben sie Jahre des Leidens hinter sich, 50 Prozent auch einen Suizidversuch. Diesen hohen Leidensdruck zu diagnostizieren, ist eine Voraussetzung für die Operation. Sie steht erst ganz am Ende. Vorher müssen Psychotherapeuten und Psychiater die Patienten über längere Zeit begleiten und Gutachten anfertigen. Erst auf dieser Grundlage sagen die Krankenkassen die Kostenübernahme zu – bei einer Phalloplastik etwa 18 000 Euro. Und erst wenn auch diese Zusage erfolgt ist, kommen die Patienten auf die begehrte Planegger OP-Warteliste.
Die Gesetzgebung hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Sie soll sicherstellen, dass diese Eingriffe wirklich nötig sind und nicht einer Laune entspringen. Und natürlich soll sie einen verlässlichen legalen Rahmen in einem lange zu gering definierten Bereich schaffen. „Nur fünf von 100 000 Menschen sind wirklich transsexuell und kommen für eine solche Operation in Frage, aber 30 bis 50 Prozent der Bevölkerung sind non-binär“, sagt Dr. Liedl, weisen also eine der vielen chromosomatischen Zwischenvarianten auf, die zu unterschiedlichen Ausprägungen oder Neigungen führen, wie etwa der Homosexualität, die aber in den allermeisten Fällen nicht empfunden oder gar gelebt werden. Da gelte es genau zu trennen. „Wir brauchen Rechtssicherheit, und die haben wir; das entlastet uns als Chirurgen.“
Strenge Vorgaben
Noch strenger sind die Regeln bei Minderjährigen. Hier kommt eine Operation überhaupt nur nach Gerichtsbeschluss und dem Votum einer interdisziplinären Kommission in Frage. „Ich operiere vorläufig niemanden unter 18 Jahren“, sagt Dr. Liedl.
Die Operationen selbst sind schwierig, sie haben heute jedoch hochgesteckte Ziele und zeigen umfassende Ergebnisse: Die Geschlechtsorgane werden aus körpereigenem Material nachgebaut und alle Funktionen ermöglicht – bis auf die Erektion, bei der eine Hydraulik zum Einsatz kommt. Wird ein Mann zur Frau umoperiert, hat sie anschließend eine 15 Zentimeter tiefe Vagina, innere und äußere Schamlippen, eine empfindliche Klitoris, die aus der Eichel gebaut wird und größer ist als bei der Frau, um genügend erogene Zone für einen Geschlechtsverkehr mit Orgasmus zu erhalten.
Bei der maskulinisierenden Geschlechtsangleichung arbeiten zwei Operationsteams mit insgesamt neun Personen parallel, um in sechs Stunden aus einer Frau einen Mann zu machen. Um den 15 Zentimeter langen Penis zu konstruieren, entnimmt ein Team meist vom Unterarm einen Lappen mit Haut, Muskeln, Blutgefäßen und Nervenbündeln. Der Unterarm wiederum wird mit Haut vom Unterbauch abgedeckt. Währenddessen ist das andere Team im Genitalbereich tätig. Aus den großen Schamlippen entsteht beispielsweise die Skrotum-Plastik. „Daran haben wir auch lange gebastelt, bis wir zufrieden waren“, sagt Dr. Liedl und zeigt ein Foto mit einem wohlgeformten Hodensack.
Hohe Zufriedenheitswerte
Die VHS-Kursteilnehmer konfrontierte der Arzt überhaupt mit höchst expliziten Bildern, auch von verschiedenen Stadien der Operation. Dabei dürfte manchem bewusst geworden sein, dass einen solchen Eingriff niemand leichtfertig auf sich nimmt. Die wissenschaftliche Nachbetrachtung des Planegger Zentrums ergab jedoch hohe Zufriedenheitswerte bei jenen, die den Schritt gingen: Schon vor Jahren gaben 96,7 Prozent an, dass sie die Operation erneut würden durchführen lassen. „Heute sind die Werte sicher noch höher, weil die OP-Technik und die Ergebnisse besser geworden sind“, so Dr. Liedl.
In der anschließenden Diskussion sagte der Urologe auf die Frage nach seinen fachlichen Wünschen: „Mein Traum wäre, weniger vermurkste Fälle zu sehen.“ Dafür tut er eine Menge – vor allem durch Offenheit.
Sein spezielles Fachwissen teilt das Planegger Zentrum, zu dem auch die Fachärztin für Gynäkologie Dr. Magdalena Witczak und der Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie sowie Handchirurgie PD Dr. Jens Christian Wallmichrath gehören, freimütig mit anderen Ärzten. Liedl hält Vorträge, besucht Konferenzen und lernt Kollegen an. Schließlich stehe über allem das Ziel, menschliches Leid zu verringern. Dr. Bernhard Liedl: „Stolz bin ich auf die Fälle, bei denen nicht nur die Operation, sondern auch die Sozialisierung optimal gelingt.“