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Ausverkauf der Berge: Experten geißeln DAV

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An schönen Tagen kommt es in den Bergen teilweise zu regelrechten Staus © Dorner

München - Everest für alle, Event-Irrsinn in den Alpen - der Deutsche Alpenverein (DAV) bekommt mächtig Gegenwind. Reinhold Messner und Stefan Glowacz üben scharfe Kritik.

Manchmal ist groß eben nicht groß genug. „In Ischgl wird in Super­lativen gedacht und gelebt“, frohlockt der Tiroler Wintersportort auf seiner Homepage und preist sich als „Lifestyle-Insel für Aktive und Naturliebhaber“. Dieses idyllische alpenländische Eiland schaut so aus: 44 Bergbahnen erschließen weit mehr als 200 Pistenkilometer — berieselt von 1100 Schneemaschinen. Aber das reichte den trendbewussten Touristikern nicht. Deshalb haben sie ihrer weißen Fun-Arena heuer den nächsten Berg einverleibt – den Piz Val Gronda. Die Pendelbahn mit bis zu 90 Meter hohen Stützen steht schon, sodass Ischgl künftig 90 200 Personen pro Stunde auf die Berge katapultieren kann. Und zum Start in die neue Saison rockt demnächst die kanadische Band Nickelback auf dem Dorfplatz.

Ischgl ist nur ein Beispiel für den fortschreitenden Ausverkauf der Berge, ähnliche Varianten sind auch direkt vor den Toren Münchens zu besichtigen. In Ehrwald zum Beispiel, wo coole „Canyoning-Guides“ inzwischen sogar ganze Kindergruppen durch Gebirgsbäche abseilen. Oder in Garmisch, wo der Zugspitzgipfel an schönen Tagen einem turnschuh-besohlten Ameisenhaufen gleicht und an der Alpspitze eine gläserne Aussichtsplattform über den Abgrund ragt.

An diesem „AlpspiX“ hat sich Stefan Glowacz sogar mal angekettet.

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Stefan Glowacz © Christina Pahnke / sampics

Mit der Aktion wollte der Garmischer Extremkletterer gegen die Kommerzialisierung seiner Hausberge protestieren. Er stand damals auf ziemlich verlorenem Posten. Der sonst so stimmgewaltige Deutsche Alpenverein hat „herumlaviert, keine klare Kante gezeigt. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert“, sagt Glowacz der tz. „Offenbar will er die Tourismus-Industrie halt nicht verprellen.“

Dass der DAV die Bergwelt längst als lukrative Einnahmequelle entdeckt hat, stellte gerade erst sein hauseigener Reiseveranstalter „Summit Club“ unter Beweis. Er will demnächst sogar Touren auf den Mount Everest anbieten – und reiht sich freudig ein in die Seilschaft der Agenturen, die meist mittelmäßige Kraxler für viel Geld zum höchsten Gipfel der Erde geleiten.

„Das absolut falsche Signal“ nennt Glowacz diese Entscheidung. Aber der Geschäftsführer des „Summit Clubs“ kontert alle ethisch-moralischen Bedenken mit eiskaltem Pragmatismus: Heutzutage wollten nun mal viele Bergsteiger die höchsten Gipfel der Kontinente sammeln, sagt Manfred Lorenz, und ergänzt mit Blick auf unsere Alpen: „Der Großteil der Kunden wünscht sich den Großglockner, das Matterhorn oder den Mont Blanc und nimmt in Kauf, dass man zu bestimmten Zeiten nicht gerade alleine unterwegs ist.“

Solche Aussagen aus dem Munde eines Alpenvereins-Mannes – wie passt das zusammen mit dem Anspruch des DAV, als Naturschutzverband ernst genommen zu werden? Glowacz kann sich da nur wundern: „Der DAV hat eigentlich die Aufgabe, die Bergwelt vor radikaler Erschließung zu schützen – das geht aus seiner Satzung hervor. Am Everest macht er das Gegenteil.“

Reinhold Messner: "Der Kampf ist verloren"

Herr Messner, Ihre Kritik am DAV hat ja schon Tradition.

Messner: Das stimmt. Ich habe schon vor 20 Jahren gesagt: Der Deutsche Alpenverein muss sich fragen lassen, ob er zum Totengräber des Alpinismus werden will. Diese Frage stellt sich heute mehr denn je.

Weil er jetzt auch Touren auf den Everest anbietet?

Messner: Ach wissen Sie, der Kampf um den Everest ist doch sowieso schon längst verloren. Die meisten Touristen, die in den letzten Jahren den Gipfel erreicht haben, sind als Parasiten hinaufgestiegen – über eine aufwändig präparierte, gesicherte Piste. Und ich prophezeie, dass man bereits in zehn Jahren jeden Achttausender der Welt als Touristenpaket im Reisebüro buchen können wird.

Finden Sie es verwerflich, dass der DAV sich an solchen Geschäften beteiligt?

Messner: Wenn der DAV jetzt unbedingt auch solche Touren anbieten will, dann soll er es halt machen – bloß darf er diese Angebote nicht als Alpinismus verkaufen. Der Deutsche Alpenverein hat sich zu einem Dienstleister für Bergtouristen entwickelt. Am echten Bergsteigen hat er wenig Interesse, weil man damit kein Geld verdienen kann.

Aber immerhin beschert der DAV durch seine Aktivitäten auch weniger sportlichen und wagemutigen Menschen schöne Bergerlebnisse…

Messner: Es gibt heute in unseren Alpen mehr Wanderer denn je und auch genügend Wege. Es bestehen also bereits großartige Erholungsmöglichkeiten – übrigens auch dank des Alpenvereins, der viele Wege instand hält. Gerade deshalb braucht man nicht noch mehr Klettersteige in Felswände zu bohren, Gebirgsbäche fürs Canyoning zu präparieren und sogenannte Flying-Fox-Seile durch Schluchten zu ziehen.

Aber die Nachfrage nach solchen sogenannten Trendsportarten wächst.

Messner: Mag sein, und es gibt ja auch immer mehr Investoren,

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Reinhold Messner © dpa

die die Infrastruktur schaffen, um ihren Kunden einen möglichst ungefährlichen Adrenalinkick zu verschaffen. Dabei stellt sich allerdings eine zentrale Frage, die viel lautstarker diskutiert werden müsste: Haben wir Menschen das Recht, immer mehr Berge mit Erschließungen zu überziehen? Oder haben wir die Pflicht, wenigstens einen Teil unserer Bergwelt in ihrer Wildheit zu bewahren? Ich glaube, ein Berg behält seinen größten Wert, wenn er wild bleibt.

Andreas Beez

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