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EU-Wut über Scholz: Macron „verärgert“ - Italiens Draghi sieht „immensen Schaden“

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Von: Bedrettin Bölükbasi

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Scholz in der Ukraine
Schätzen sich eigentlich: Mario Draghi, Emmanuel Macron und Olaf Scholz, hier auf dem Weg zu einem Kiew-Besuch. © Ludovic Marin/AFP POOL/AP/dpa

Inmitten des Ukraine-Krieges und der Energiekrise soll ein 200 Milliarden-Paket der Ampel die Bürger entlasten. Frankreichs Präsident Macron ist offenbar nicht gerade erfreut über die fehlende Absprache.

Update vom 20. Oktober, 22.55 Uhr: „Draghi attackiert Berlin“. Das titelte die italienische Tageszeitung La Repubblica am Donnerstagabend. Hintergrund ist der geplante, aber längst nicht beschlossene EU-Gaspreisdeckel. Ein Beschluss scheitert derzeit vor allem an Deutschland.

Zwar unterstützt die Bundesrepublik mittlerweile gemeinsame Gas-Einkäufe, lehnt aber die von der Mehrheit der EU-Staaten geforderte Deckelung der Gaspreise ab. Ohne Deutschland zu nennen, meinte der zurückgetretene, aber de facto Noch-Ministerpräsident Italiens Mario Draghi nun laut La Repubblica: Wenn jemand „Mächtiges“ nein zur Obergrenze sagt, steigen die Preise, und diese Denkweise verursacht „immensen Schaden“, weil „wir Putins Krieg finanzieren und eine Rezession verursacht haben.“ Draghi sprach in diesem Zusammenhang auch von einer „zersplitterten EU“. Zuvor hatte bereits Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Deutschland für seine derzeitige Krisenpolitik kritisiert.

Macron offenbar „wütend“ über Scholz wegen fehlender Absprache - „nicht gut für Europa“

Erstmeldung vom 20. Oktober: München/Paris — Der Ukraine-Krieg stellt Europa nicht nur vor politische oder militärische, sondern auch wirtschaftliche Herausforderungen. Dazu gehören in erster Linie steigende Preise, besonders im Energiesektor. Mit einem Mega-Paket von 200 Milliarden Euro will die Ampel-Koalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gegen die Energiekrise vorgehen.

In Paris sorgte das Paket jedoch offenbar für Unmut. Der französische Präsident Emmanuel Macron zeigte sich laut einem Bericht der britischen Zeitung Telegraph verärgert über die riesige Entlastungsmaßnahme ohne vorherige Absprache mit Berlins EU-Partnern. Dem Bericht zufolge geht es aber wohl auch um Deutschlands Einkauf von amerikanischen Waffen.

Scholz-Abwehrschirm: Macron fordert „kohärenten“ Ansatz — Paris privat wohl „verärgert“

EU-Quellen bestätigten gegenüber der britischen Zeitung die Reiberei zwischen Paris und Berlin. „Die Franzosen sind wirklich verärgert über die Deutschen, vor allem über Scholz“, betonte eine Quelle. Zwar bringe man dies öffentlich nicht zum Ausdruck, doch im privaten sei man „wütend“. Weiterhin hieß es von der anonymen Quelle: „Die Deutschen machen gerade das, was den Franzosen oft vorgeworfen wird. Sie treffen Entscheidungen für ihre eigenen Interessen, ohne mit ihren Partnern zu beraten.“

In erster Linie dürfte sich diese Aussage auf das Entlastungspaket im Wert von 200 Milliarden Euro beziehen. So wirft Frankreich Deutschland in der Energiekrise vor, mit seiner Wirtschaftskraft auf EU-Ebene für Wettbewerbsverzerrungen zu sorgen. Paris ist unzufrieden über den Alleingang Deutschlands. „Wenn wir einen kohärenten Ansatz wollen, dann dürfen nicht nationale Strategien adoptiert werden, sondern eine europäische Strategie“, mahnte Macron in der französischen Finanzzeitung Les Echos.

Deutschland-Frankreich: Abwehrschirm und Einkauf von US-Waffen sorgen für Unmut in Paris

Paris beschwert sich nicht nur über das Energie-Entlastungspaket, sondern auch über das 100 Milliarden-Paket zur Stärkung der Bundeswehr. Genauer: Es geht darum, wie das Geld eingesetzt wird. Frankreich widerspricht Deutschlands Einkauf von Waffen aus den USA. Vielmehr will das Land dieses Geld in gemeinsame europäische Verteidigungsprojekte investiert sehen. Macron betont immer wieder die Idee einer europäischen Verteidigungsinitiative.

Lange hatte Frankreich Deutschland vorgeworfen, zu wenig Geld auszugeben. Seit Deutschland seinen Verteidigungshaushalt massiv erhöht hat, sieht Frankreich jetzt mit Schrecken zu, wie US-Kampfjets gekauft und militärische Ringtausche mit osteuropäischen Ländern organisiert werden. Dabei geht es vordergründig um die Unterstützung für die Ukraine, aber letztlich auch um Absatzmärkte für die eigene Rüstungsindustrie.

Die gemeinsame Entwicklung des Kampfflugzeugsystems FCAS hat sich wegen industrieller Rivalitäten bereits verzögert. Das französische Unternehmen Dassault will sich nicht in die Karten sehen lassen, die in Deutschland ansässige Rüstungssparte von Airbus will sich nicht mit der Rolle als Zulieferer zufriedengeben. Frankreich will sich zudem keine Exportregeln vorschreiben lassen. Gegenüber Telegraph sprach ein französischer Regierungsbeamter auch bei Problemen beim Panzerprojekt MGCS.

Deutschland-Frankreich: Ministerrat auf Januar verschoben — inhaltliche Differenzen

Die Streitpunkte in Energie und Verteidigung wirkten sich nun auch auf ein in der Nähe von Paris geplantes Treffen der deutschen und französischen Regierungsmitglieder aus. Der für nächste Woche geplante deutsch-französische Ministerrat wurde auf Januar verschoben. Dabei gaben beide Seiten überraschend offen zu, dass die Verschiebung mit inhaltlichen Differenzen zu tun hat. Französische und deutsche Beamte bestätigten Telegraph gegenüber, sie bräuchten „mehr Zeit“. Beide Seiten hielten es wohl für „vernünftig“, die Gespräche zu verschieben.

„Mein Wunsch ist es immer, die europäische Einheit zu bewahren, und auch die Freundschaft und das Bündnis zwischen Deutschland und Frankreich“, betonte Macron am Donnerstag in Brüssel am Rande des EU-Gipfels. Er traf sich vor Beginn eine halbe Stunde mit Bundeskanzler Scholz. Danach verkündete er, es sei „nicht gut für Europa“, wenn Deutschland „sich isoliert“. (bb/AFP)

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