Afghanistan: Deutschland ließ wohl tausende Liter Bier und Wein ausfliegen - doch Ortskräfte blieben zurück

Die Kritik an der Bundesregierung angesichts der Afghanistan-Politik reißt nicht ab. Nicht zuletzt waren im Juni noch Bier und Wein nach Deutschland zurückgeflogen worden.
Berlin/Kabul - Die Machtübernahme durch die Taliban führt zu extremen Zuständen der Ortskräfte in Kabul. Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit breiten sich aus. Wie Bundeswehr-Hauptmann Marcus Grotian am Montagabend im ZDF-„heute journal“ erklärte, sitzen Hunderte Ortskräfte „in der Todesfalle“.
Die Bundesregierung steht ohnehin wegen der späten und chaotischen Evakuierungsoperation massiv in der Kritik. Außenminister Heiko Maas (SPD) wird vorgeworfen, frühzeitige Warnungen der deutschen Botschaft in Kabul in Bezug auf den Vormarsch der radikalislamischen Taliban ignoriert zu haben. Laut Grotian hat zudem seit Juni kein einziges Visaverfahren begonnen. Afghanische Ortskräfte hätten sich mindestens acht bis zehn Wochen lang in Kabul aufgehalten, in der Hoffnung, dort einen Weg in die Freiheit zu finden.
Truppen-Abzug aus Afghanistan: Bier und Wein wurden zurück nach Deutschland geflogen
Just in dieser Lage rückt ein rückblickend brisantes Detail rund um den Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan ins Blickfeld.
Der Spiegel berichtete Anfang Juni von einem außergewöhnlichen logistischen Plan: Nach Informationen des Nachrichtenmagazins sollten enorme Mengen an Bier und kistenweise Wein und Sekt nach Deutschland zurückgeflogen werden. Auch konkrete Zahlen wurden genannt: Von 65.000 Dosen Bier und Radler sowie 340 Flaschen Wein und Sekt war die Rede.
Von Soldaten in Afghanistan hieß es damals, so der Spiegel, dass der Rücktransport entschieden sei. Eine fachgerechte Vernichtung dürfte in Afghanistan kaum möglich sein. Wenngleich keine Vollzugsmeldung publik wurde, scheint es so, als habe Deutschland Transportkapazitäten für Bier und Wein organisiert - afghanische Ortskräfte, die im Sinne der Entwicklungshilfe arbeiteten, wurden zurückgelassen.
„Dann reden wir über 20.000 Menschen“: Lieber Bier als Ortskräfte retten?
„Halten Sie es für richtig, dass es nur eine privilegierte Ausreisemöglichkeit für Kräfte, die den Verteidigungskräften geholfen haben - oder muss es so etwas eigentlich auch für die Entwicklungshelfer geben?“, fragte der FDP-Abgeordnete Christoph Hoffmann Außenminister Maas am 9. Juni in Bundestag.
Dass die Taliban „in wenigen Wochen“ das Zepter in der Hand haben, sei nicht die Grundlage seiner Annahme, antwortete Maas. „So sehr ich das unterstütze, dass alle, die für die Bundesregierung gearbeitet haben, die einer unmittelbaren Gefährdungslage unterliegen, jetzt das Angebot bekommen, nach Deutschland zu kommen. Das auszuweiten auf die Entwicklungshilfe, dann reden wir nicht mehr über 2000 Menschen, dann reden wir über 20.000 Menschen“, erklärte er. Das sehe aus wie ein „Massenexodus“ aus Afghanistan, sagte Maas damals.
Einige Wochen später wird nun über einen Massenexodus anderer Art gesprochen: über eine gewaltige Geflüchteten-Zahl und die offenbar aussichtslose Lage der Ortskräfte. Mittlerweile seien 1900 afghanische Ortskräfte in Deutschland, erklärte Maas am Montag, als er eine „Fehleinschätzung“ der Lage in Afghanistan einräumte. (mbr)