Update vom 7. September, 17.10 Uhr: Die russische Nationale Ärztekammer hat im Fall des vergifteten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, der inzwischen aus dem künstlichen Koma aufgeweckt werden konnte, offenbar Kontakt mit der Bundesärztekammer (BÄK) aufgenommen. Wie das Deutsche Ärzteblatt am Montag berichtete, soll von russischer Seite der Vorschlag unterbreitet worden sein, eine gemeinsame Kommission aus Vertretern der Nationalen Ärztekammer Russlands und der BÄK einzurichten. Auch die Hinzunahme von Toxikologen aus anderen Ländern wäre eine Option.
Das Deutsche Ärzteblatt zitiert aus dem Schreiben, die russischen Mediziner hätten das Ziel, eine „unparteiische endgültige Entscheidung“ darüber zu treffen, ob Nawalny vergiftet worden sei oder nicht. In der medizinischen Fachwelt gebe es „Zweifel an der Schlussfolgerung von Forschern des Militärlaboratoriums der Bundeswehr über das Vorhandensein von Giftstoffen“, schreibt die russische Ärztekammer weiter.
Dem treten die deutschen Kollegen entgegen. Die BÄK stärkte den deutschen Medizinern laut Ärzteblatt den Rücken. Es gebe an der Qualität der medizinischen Untersuchungen der ärztlichen Kollegen in Deutschland „keine Zweifel“.
Update vom 7. September, 8.42 Uhr: Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat im Konflikt um die Aufklärung des Giftanschlags auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny Vorwürfe der russischen Regierung zurückgewiesen. Maas sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“, der Vorwurf, dass Deutschland die Ermittlungen verzögere, sei „eine weitere Nebelkerze“.
Die Bundesregierung habe einem Rechtshilfeersuchen der russischen Staatsanwaltschaft „längst zugestimmt“ und dies auch bereits vor einer Woche dem russischen Botschafter in Berlin mitgeteilt. Dagegen sieht eine Linken-Politikerin Schuldzuweisungen gegen Russland kritisch. Dagegen hat sich Kanzlerin Angela Merkel neu positioniert und zieht harte Sanktionen* in Betracht.
Maas verwies zugleich auf noch laufende Untersuchungen an der Berliner Charité, wo Nawalny behandelt wird. Deren Ergebnisse seien noch nicht an Russland weitergeleitet worden. Maas hob hervor, Russland müsse seinerseits seine Untersuchungsergebnisse nach der stationären Behandlung Nawalnys im sibirischen Omsk an Deutschland übergeben: „Herr Nawalny ist zwei Tage in Russland behandelt worden. Also viele Spuren, die es dort gibt, Untersuchungen, die dort stattgefunden haben, die Ergebnisse, die liegen nur dort vor“, sagte Maas.
Deutschland habe an Moskau die Erwartung signalisiert, „dass ein wirklich schreckliches Verbrechen, ein Verstoß gegen internationale Recht, aufgeklärt wird, und dass sich Russland einfach nicht zurückziehen kann. Wenn Russland keine Beiträge zur Aufklärung liefert oder weiter solche Nebelkerzen gestartet werden, wie das schon seit Tagen der Fall ist, dann ist das ein weiteres Indiz dafür, dass man etwas zu verbergen hat“, fügte Maas hinzu.
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hatte der Bundesregierung zuvor eine Verzögerung der Ermittlungen im Fall Nawalny vorgeworfen. „Berlin verzögert die Untersuchung, zu der es selbst aufruft. Mit Absicht?“, erklärte Sacharowa im Online-Netzwerk Facebook.
Berlin habe nicht auf ein Rechtshilfeersuchen der russischen Staatsanwaltschaft vom 27. August reagiert, erklärte Sacharowa. Lieber Herr Maas, wenn die deutsche Regierung es mit ihren Äußerungen ernst meint, sollte sie daran interessiert sein, so bald wie möglich eine Antwort auf eine Anfrage der russischen Generalstaatsanwaltschaft zu erstellen“, fügte die Sprecherin hinzu. „Bislang sind wir nicht sicher, ob Deutschland nicht ein doppeltes Spiel spielt.“ Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schließt nach dem Giftanschlag auf Kreml-Kritiker Nawalny Sanktionen gegen Russland nicht mehr aus.
Update vom 6. September, 21.11 Uhr: Für den SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans wäre ein Stopp des Pipeline-Projekts Nord Stream 2 als Reaktion auf den Fall Nawalny der falsche Weg. Mit Außenminister Heiko Maas (SPD) sei er sich einig, dass man nach der Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny über wirksame Sanktionen diskutieren müsse, sagte Walter-Borjans am Sonntagabend in der ZDF-Sendung Berlin direkt. Allerdings sollten diese zielgerichtet sein.
Da es sich bei Nord Stream 2 um ein Infrastrukturprojekt handele und dieses zudem zu 90 Prozent fertiggestellt ist, wäre ein Boykott des Projekts durch Deutschland für den Co-Vorsitzenden der Sozialdemokraten nicht ratsam. Zudem diene die Pipeline den eigenen Versorgungsoptionen.
Nach Ansicht von Walter-Borjans müssten mögliche Sanktionen in erster Linie auf Bereiche wie den Handel oder auch auf Persönlichkeiten, „die in diesem Regime tätig sind“, zielen. Der Politiker weiter: „Wir wollen nicht das russische Volk treffen, und wir wollen auch nicht uns treffen, sondern wir wollen dann, wenn wir Sanktionen erheben, auch gegen die vorgehen, die hier ganz offenbar die Hintermänner eines Verbrechens sind.“
Update vom 6. September, 20.08 Uhr: Der Ton zwischen Deutschland und Russland wird nach der Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny langsam rauer. Bundesaußenminister Heiko Maas erneuerte im Bericht aus Berlin in der ARD seine Forderung, die russische Regierung solle bei der Aufklärung des Falls aktiv mitwirken.
„Russland muss sich an der Aufklärung beteiligen. Bislang ist das überhaupt nicht der Fall“, meinte der SPD-Politiker. Zudem verteidigte sich Maas gegen Vorwürfe aus Moskau, dass die Bundesregierung die Ermittlungen behindern würde.
Vielmehr sei einem russischen Rechtshilfeersuchen schon längst zugestimmt worden. „Das haben wir, als wir in der letzten Woche ein Gespräch mit dem russischen Botschafter geführt haben, ihm auf Nachfrage auch gesagt“, schilderte der Außenminister.
Zudem bestehe kein Grund, dem Ersuchen nicht zuzustimmen. „Insofern ist das eine weitere Nebelkerze, von denen wir in den letzten Tagen schon einige gesehen haben. Und ich befürchte, es wird in den nächsten Tagen noch andere geben“, beurteilte Maas das Verhalten der russischen Staatsführung kritisch.
Erstmeldung vom 6. September, 14.39 Uhr: Berlin/Moskau – Nachdem der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny am 20. August auf einem Flug in seiner Heimat plötzlich ins Koma gefallen war, war er auf Drängen seiner Familie in die Berliner Charité eingeliefert worden. Ein Labor der Bundeswehr konnte in seinem Blut einen Nervenkampfstoff nachweisen. Dass Nawalny vergiftet wurde, sieht die Bundesregierung als „zweifelsfrei“ erwiesen an. „Er sollte zum Schweigen gebracht werden“, sagte Angela Merkel.
Laut Charité ist Nawalnys Gesundheitszustand weiter ernst. Die Symptome der nachgewiesenen Vergiftung seien rückläufig, doch eine künstliche Beatmung auf der Intensivstation sei weiterhin nötig. Die Ärzte rechnen mit einem längeren Krankheitsverlauf und können Langzeitfolgen der schweren Vergiftung nicht ausschließen.
Die Bundesregierung fordert Russland auf, den Giftanschlag aufzuklären. Es stünden „sehr schwerwiegende Fragen“ im Raum, die nur die russische Regierung klären könne und müsse, sagte Merkel* in einer ungewöhnlich deutlichen Stellungnahme. Auch ihre persönliche Betroffenheit fand darin Ausdruck. Das Verbrechen gegen Nawalny richte sich „gegen die Grundwerte und Grundrechte, für die wir eintreten“, sagte sie. „Die Welt wird auf Antworten warten.“
Das Auswärtige Amt bestellte den russischen Botschafter Sergej Netschajew ein, um Russland zu einer vollumfänglichen Aufklärung „mit voller Transparenz“ aufzufordern. Russland müsse die Verantwortlichen ermitteln und zur Rechenschaft ziehen, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD).
Zahlreiche westliche Staaten haben russische Diplomaten ausgewiesen. Die Bundesregierung hat sich für ein abgestimmtes Vorgehen der westlichen Verbündeten ausgesprochen. Merkel und Maas sagten, es müsse eine „angemessene“ Reaktion gefunden werden. Wie diese ausfällt, „werden wir auch im Lichte dessen entscheiden, wie Russland sich verhält“, sagte Maas.
Auch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach Merkel über die Angelegenheit – was deutlich macht, wie hoch sie die Bedeutung einschätzt. Zudem informierte die Bundesregierung auch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) über den Labor-Befund. Der Konvention für die Ächtung von Chemiewaffen ist auch Russland beigetreten.
Immer mehr Politiker fordern vor dem Hintergrund des Fall Nawalnys den Stopp des Projekts Nord Stream 2. „Der offenkundige Mordversuch durch die mafiösen Strukturen des Kreml kann uns heute nicht mehr nur besorgt machen sondern er muss echte Konsequenzen haben“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Merkel hatte noch am Dienstag gesagt, dass sie das Projekt vollenden möchte. FDP-Parteichef Christian Lindner sagte im ARD-“Morgenmagazin“: „Ein Regime, das Giftmorde organisiert*, ist kein Partner für große Kooperationsprojekte - auch nicht für Pipeline-Projekte.“
Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft sprach sich gegen einen Abbruch des Erdgas-Projekts Nord Stream 2 aus. „Auf die Vergiftung Nawalnys mit weiteren Wirtschaftssanktionen zu reagieren, die dann wieder an der Sache völlig unbeteiligte Unternehmen und die russische Bevölkerung treffen würden, halten wir für falsch“, sagte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Oliver Hermes. Auch der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, warnte vor einem Boykott Russlands. „Wir brauchen Russland in der Klimapolitik, in der Ukrainepolitik, in vielen anderen Bereichen. Wir können jetzt nicht sozusagen hier eine Mauer aufziehen zwischen dem Westen und Russland“, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“.
Auch Außenminister Heiko Maas hat nun erstmals über einen möglichen Stopp von Nord Stream 2 gesprochen. „Wenn es in den nächsten Tagen auf der russischen Seite keine Beiträge zur Aufklärung gibt, werden wir mit unseren Partnern über eine Antwort beraten müssen“, schreibt Maas via Twitter. Der Bild am Sonntag sagte Maas: „Ich hoffe jedenfalls nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern.“ Der Fall Nawalny* sei ein so drastischer Verstoß gegen das internationale Chemiewaffen-Abkommen, dass es nicht ohne eine spürbare Reaktion bleiben könne.
Maas betonte jedoch, ein Stopp der fast fertig gebauten Pipeline würde auch deutschen und europäischen Firmen schaden: „Wer das fordert, muss sich der Konsequenzen bewusst sein. An Nord Stream 2 sind mehr als 100 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern beteiligt, etwa die Hälfte davon aus Deutschland.“ Die Debatte jetzt allein auf Nord Stream 2 zu verengen, werde dem Fall nicht gerecht, warnte der Minister.
Vielmehr forderte er vom russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut Aufklärung: „Wir haben hohe Erwartungen an die russische Regierung, dass sie dieses schwere Verbrechen aufklärt“, sagte Maas der BamS. „Sollte sie nichts mit dem Anschlag zu tun haben, dann ist es in ihrem eigenen Interesse, das mit Fakten zu belegen", sagte Maas der BamS.
Russland wirft Deutschland nun vor, die Aufklärung des Giftanschlags auf Nawanly zu blockieren. „Berlin verzögert die Untersuchung, zu der es selbst aufruft. Mit Absicht?“, erklärte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Sonntag im Onlinedienst Facebook. Denn auf ein Rechtshilfeersuchen der russischen Staatsanwaltschaft vom 27. August habe Berlin nicht reagiert.
„Lieber Herr Maas, wenn die deutsche Regierung es mit ihren Äußerungen ernst meint, sollte sie daran interessiert sein, so bald wie möglich eine Antwort auf eine Anfrage der russischen Generalstaatsanwaltschaft zu erstellen“, erklärte die Sprecherin und fügte hinzu: „Bislang sind wir nicht sicher, ob Deutschland nicht ein doppeltes Spiel spielt“. Die Berliner Justizbehörden hatten am Freitag den Eingang des Rechtshilfeersuchens der russischen Justiz bestätigt. *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.